Psychische Störungen bei behinderten Kindern und Jugendlichen

Psychische Störungen bei behinderten Kindern und Jugendlichen

 

 

 

von: Klaus Sarimski

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2005

ISBN: 9783840914621

Sprache: Deutsch

216 Seiten, Download: 1184 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Psychische Störungen bei behinderten Kindern und Jugendlichen



2.4 Kommunikationsfähigkeit als Voraussetzung für das Gelingen sozialer Beziehungen (S. 35-36)

Aneignung basaler kommunikativer Fertigkeiten in der Eltern-Kind-Interaktion

Das Gelingen sozialer Beziehungen setzt – wie die Übersicht zur Entwicklung sozialer Kompetenzen hat erkennen lassen – vielfältige kommunikative Fertigkeiten voraus. Im gemeinsamen Spiel unterhalten sich gleichaltrige Kinder über ihre Aktivitäten, koordinieren ihre Ideen, Vorschläge und Absichten, sprechen sich über Rollen ab, vereinbaren Regeln, müssen erkennen, welche Informationen der Spielpartner braucht, sein Verständnis für das Gesagte kontrollieren und mögliche Missverständnisse klären.

Basale kommunikative Fertigkeiten für diese Entwicklungsaufgaben werden in den ersten Lebensjahren in der Eltern-Kind-Interaktion erworben. Die moderne Säuglingsforschung hat gezeigt, dass das Baby dazu mit einem erstaunlichen Repertoire angeborener Fähigkeiten aus Blickverhalten, Mimik, Vokalisation und Motorik ausgestattet ist, die es zur Aufmerksamkeitsregulation, Handlungssteuerung, Reaktion und Informationsverarbeitung einsetzt.

Zur störungsfreien Entfaltung, Ausreifung, Einübung und Differenzierung seiner zunächst noch eingeschränkten selbstregulatorischen Kompetenzen ist es jedoch auf eine komplementäre Hilfe durch seine Bezugspersonen angewiesen. Verhaltensmikroanalysen der vorsprachlichen Kommunikation haben gezeigt, dass Eltern ihrerseits dazu ein intuitives Repertoire von spezifischen Verhaltensmustern (Ammensprache, Grußreaktion), förderlichen Angeboten (einfache Anregungsmuster, Wiederholung mit spielerischer Variation, Nachahmung und Modelle zur Nachahmung) und Anpassungen in der Verhaltensdynamik (Intensität und Zeitstruktur mit Tempo, Rhythmus und Pausen) mitbringen. Ihr Verhalten ist sensibel und responsiv auf die kindlichen Verhaltenssignale abgestimmt (Papousek, 1994).

In diesem komplementären System der frühen Eltern-Kind-Beziehungen erlebt das Kind, dass seinen vorsprachlichen Signalen von den Eltern eine kommunikative Bedeutung zugeordnet wird, und lernt, diese zu Gesten und sprachlichen Äußerungen zu konventionalisieren. Es handelt sich dabei um einen kontinuierlichen Entwicklungsprozess der Integration kognitiver, sozial-affektiver und sprachlicher Fähigkeiten, der die Abstimmung der Aufmerksamkeit von Eltern und Kind voraussetzt.

Die Koordinierung der Aufmerksamkeit erlaubt Episoden gemeinsamen Handelns („joint engagement") und Erfahrungsaustausches („secondary intersubjectivity") über Ereignisse mit einem sozialen Partner. Diese Fähigkeit entwickelt sich im Laufe der normalen Entwicklung etwa ab dem sechsten Lebensmonat. Zu dieser Zeit können Objekte bereits inspiziert, ergriffen und erkundet werden. Sie werden zum Focus der gemeinsamen Aufmerksamkeit dadurch, dass der Erwachsene sie ebenfalls in den Blick nimmt und zum Thema seiner Kommentare macht. Das Kind beginnt dann, den Interaktionspartner in seine Aktivitäten einzubeziehen, indem es sich mit dem Blick rückversichert, ob er noch aufmerksam ist, und Blickrichtung und Gesten als Mittel verwendet, um vom Erwachsenen einen bestimmten Gegenstand zu erbitten oder ihn auf etwas aufmerksam zu machen.

Die Koordination gemeinsamer Aufmerksamkeit wird konsolidiert in standardisierten ritualisierten Spielformen (z. B. Geben-und-Nehmen-Spiele) und beim gemeinsamen Betrachten von Bilderbüchern. Mit 12 bis 13 Monaten gelingt dann ein flexibles (triadisches) Ausrichten der Aufmerksamkeit auf die Bezugsperson und das Objekt des Interesses. In solche Episoden gemeinsamen Handelns wird Sprache eingeführt. Das Kind führt mit dem Gegenstand Handlungen aus, die der Erwachsene vorschlägt; es hört von ihm sprachliche Kommentare, die sich auf das Objekt oder die Handlung beziehen, und beginnt sie allmählich zu übernehmen. Auf der Grundlage der vorsprachlichen Verständigung entwickeln sich dann die semantischen und syntaktischen Sprachfähigkeiten. Das Kind speichert und generalisiert Wortbedeutungen, klassifiziert Dinge, die zusammengehören, unter Oberbegriffen, erwirbt abstrakte Bedeutungen, lernt, wie Worte zu komplexeren Äußerungen verbunden werden können und welche Regeln (z. B. der Verbflexion, der Mehrzahl- oder Zeitenbildung, der Wortstellung im Satz) bei der Satzbildung zu beachten sind.

Pragmatische Kompetenz: Kollaborative Gestaltung von Dialogen

Die Gestaltung von Dialogen ist – abstrakt gesprochen – ein „kollaborativer Prozess", in dem beide Partner Äußerungen produzieren, die geeignet sind, dem „Gesprächsziel" näher zu kommen und aufeinander abgestimmt sind („meeting of the minds"). Die Teilnehmer müssen berücksichtigen, über welches Vorwissen der Gesprächspartner verfügt und welche Informationen aus dem Kontext abzuleiten sind, ob die jeweilige Äußerung auf das gemeinsame Thema bezogen ist und weiterführt. Im Zweifel muss jeder der beiden Gesprächspartner vom anderen eine Rückmeldung erbitten, wie seine Äußerungen verstanden worden sind, um eventuelle Missverständnisse aufzuklären.

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