Was ist eine Borderline-Störung?
von: Gerd Möhlenkamp
Vandenhoeck & Ruprecht, 2005
ISBN: 9783525462171
Sprache: Deutsch
63 Seiten, Download: 485 KB
Format: PDF, auch als Online-Lesen
Die Suche nach Halt (S. 14-15)
Das Spaltungskonzept der Borderline-Störung, das heißt die Neigung, immer wieder in eine undifferenzierte Schwarz-weiß-Weltsicht zurückzufallen, wurde im Lauf der Psychotherapieforschung um einen weiteren Aspekt ergänzt. Die heftigen Affekte und andere Symptome wie Suchtverhalten, Essstörungen, Zwänge oder Selbstverletzungen wurden als Hilfeschrei einer Seele interpretiert, die sich dauernd überfordert und allein gelassen fühlt.
Dieses schmerzhafte Gefühl des Verlassen- und Alleinseins, das viele auch als Leeregefühl erleben, wird immer von neuem angestoßen, wenn es zu Störungen im Beziehungsumfeld kommt oder wenn auch nur eine Zeitlang Kontakte unterbrochen sind. Die absolute Katastrophe ist die Trennung von einer wichtigen Bezugsperson: Trennung wird als Verlust von etwas erlebt, was elementar zu einem gehört, als würde etwas im tiefsten Inneren zerbrechen, als sei man ohne den anderen nicht lebensfähig. Dieses Gefühl, halt- und kraftlos zu sein, spiegelt reale Erfahrungen der frühen Kindheit wider, ist also nichts Eingebildetes. In den ersten Lebensjahren ist es überlebenswichtig, dass eine versorgende Bezugsperson – in der Regel die leibliche Mutter – zuverlässig zur Verfügung steht und dass die Grundhaltung der Mutter liebevoll und einfühlend ist.
Ohne die Erfahrung einer solchen haltenden Beziehung kann sich kein stabiles Selbstbewusstsein entwickeln. Dass etwas Wichtiges fehlt, wird zu einem Grundgefühl. Entsprechend stark ist die Sehnsucht, die heilende, alles wieder gutmachende Liebe doch noch zu finden. Unterschiedlichste Süchte dienen als Notlösung, um das als Leere oder dunkles Loch erlebte Defizit auszugleichen und sich zumindest zeitweilig gut zu fühlen.