Frühförderung mittendrin - in Familie und Gesellschaft

Frühförderung mittendrin - in Familie und Gesellschaft

 

 

 

von: Britta Gebhard, Andreas Seidel, Armin Sohns, Sebastian Möller-Dreischer

Kohlhammer Verlag, 2016

ISBN: 9783170302594

Sprache: Deutsch

376 Seiten, Download: 4349 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Frühförderung mittendrin - in Familie und Gesellschaft



Die gefährdete Spezies »Familie«: Gifte und Gegenmittel aus Sicht der Familienpsychologie


Klaus A. Schneewind


Wie geht’s der Familie in Deutschland?


Wenn man vom Familienbegriff der amtlichen Statistik ausgeht, der sich am Haushaltsbegriff orientiert und Ehepaare, nicht-eheliche und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften mit Kindern sowie Alleinerziehende umfasst, dann ist es um die »Familie« in Deutschland nicht gut bestellt. In der Tat stellt nach den letzten aktuell verfügbaren Daten des Mikrozensus aus dem Jahr 2014 diese Haushaltsgruppe mit 27,7 % der amtlichen Statistik den geringsten Anteil aller Haushalte dar – knapp gefolgt von Haushalten mit Paaren ohne Kinder (28,5 %) und deutlich gefolgt von den Haushalten der Alleinstehenden (43,8 %) (Statistisches Bundesamt 2015). Auch wenn in einer repräsentativen Umfrage die Befragten aller Altersgruppen aus den alten und neuen Bundesländern mit einem hohen Prozentsatz (West: 75 %; Ost: 81 %) angeben, dass »Familie und Kinder sehr wichtig« sind, steht dagegen, dass sich von 1960 bis 2014 die Zahl der Lebendgeburten in Deutschland nahezu halbiert hat. Hingegen hat die Zahl der Ehescheidungen im gleichen Zeitraum um das 2,3-fache und die Anzahl der davon betroffenen Kinder um das Zweifache zugenommen (Statistisches Bundesamt 2015).

Hinzu kommt, dass es in Familien nicht immer friedlich zugeht. So erleben z. B. nach einer von Ziegler (2013) durchgeführten repräsentativen Studie insbesondere Kinder und auch Jugendliche, die unter prekären sozio-ökonomischen Bedingungen aufwachsen, ein höheres Ausmaß an Gewalt als dies für die unter privilegierten Umständen Aufwachsenden der Fall ist. Erwähnenswert sind auch die Daten einer groß angelegten Studie zur akuten und latenten Kindeswohlgefährdung, die in der Statistik der Kinder- und Jugendhilfe im Jahr 2012 ihren Niederschlag gefunden haben. Danach wurden in rund 107.000 Verfahren für 21.000 Fälle (d. h. 20 %) eine akute und für 17.000 Fälle (d. h. 16 %) eine latente Kindeswohlgefährdung diagnostiziert. In 93,4 % dieser Fälle waren Familien beteiligt, und zwar zu 35,5 % Eltern, zu 43,6 % Alleinerziehende, zu 12,4 % ein Elternteil mit neuem Partner/neuer Partnerin und zu 1,9 % Großeltern und Verwandte.

Aber nicht nur Kinder erleben im Familienkontext Gewalt, und zwar vornehmlich körperliche bzw. sexuelle Gewalt – oder auch beides. Bei einer EU-weiten Befragung von insgesamt 42.000 Frauen durch die Agentur der europäischen Union für Grundrechte (2014) berichteten 37 % der deutschen Frauen, dass sie im Alter von unter 15 Jahren körperliche Gewalt erlitten hätten, und jeweils 13 % gaben zu Protokoll, dass sie in dieser Altersspanne sexueller Gewalt sowie psychischer Gewalt ausgesetzt gewesen seien.

Kommunikation – die Basis unserer Beziehungen


Die Qualität von Beziehungen im Kontext der Familie ist entscheidend bestimmt durch die Art der Kommunikation, die zwischen den Eltern sowie zwischen den Eltern und ihren Kindern stattfindet. Hierzu sollen im Folgenden einige grundsätzliche Überlegungen zur Kommunikation angestellt werden, die in besonderer Weise auch für den Familienkontext von Bedeutung sind.

Ohne in extenso auf die fünf Grundaxiome menschlicher Kommunikation im Sinne von Watzlawick (2001) näher einzugehen, sei zumindest sein erstes Axiom genannt, welches besagt, dass man »nicht nicht kommunizieren« könne – eine Erfahrung, die jeder von uns machen kann, wenn wir etwa versuchen, in Gegenwart einer anderen Person nicht zu kommunizieren. Wir verfügen – v. a. mit Bezug auf unsere sprachliche Kommunikation – über verschiedene Kommunikationskanäle, d. h. (a) den verbalen, auf unseren Sprachinhalt (Aussagen, Beschreibungen) bezogenen, (b) den paraverbalen, auf unsere Sprechweise (Tonfall, Lautstärke, Tonhöhe) bezogenen und (c) den nonverbalen, auf unseren Körperausdruck (Mimik, Gestik) bezogenen Aspekt unserer Kommunikation.

Diese Ausstattung an Kommunikationskanälen ist gleichermaßen bei unseren Kommunikationspartnern vorhanden. Sie bestimmt, wenn wir eine Botschaft an einen bestimmten Kommunikationsempfänger senden, wie diese Botschaft von uns intern vorbereitet wird, d. h. wie sie wahrgenommen und (gedanklich, gefühlmäßig und körperlich) empfunden wird und schließlich bei uns einen Handlungsimpuls auslöst. Dieser Handlungsimpuls wird aufgrund einer womöglich unerfreulichen Folgeerwartung bezüglich der Reaktion des Empfängers mehr oder weniger korrigiert, um schließlich zu unserer dann eigentlich beobachtbaren Reaktion zu führen.

Unsere beobachtbare Handlung stellt dann die Botschaft an unseren Kommunikationspartner dar, bei dem nun seinerseits ein interner Verarbeitungsprozess der empfangenen Botschaft stattfindet, der nach den gleichen Prinzipien abläuft wie bei uns. Im Übrigen ist in der Regel unser Kommunikationspartner auch ohne seine tatsächliche Anwesenheit in uns selbst repräsentiert. Mehr noch: dieser interne Kommunikationspartner können auch wir selbst (oder Teile von uns selbst) sein. All dies macht die Dynamik von Beziehungen zu anderen Personen und zu uns selbst aus. Familienmitglieder stellen dabei eine herausgehobene Personengruppe dar.

Familienbeziehungen in familienpsychologischer Sicht


Mit dem Blick auf Familienbeziehungen tritt eine familienpsychologische Perspektive in den Vordergrund. Dabei geht es nicht nur um strukturelle Aspekte der Zusammensetzung von Familien, sondern insbesondere auch um die Qualität von Beziehungen, die sich als Vehikel für die Erfüllung bestimmter Zwecke erweisen. Um welche Zwecke es sich dabei handelt, wird im Siebten Familienbericht der Bundesrepublik Deutschland spezifiziert. Mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft wie der Bundesrepublik Deutschland steht zum einen die »Produktion gemeinsamer Güter« im Vordergrund, womit unter anderem die Pflege und Sorge für die ältere Generation, die Bereitstellung einer ausreichenden Kinderzahl sowie die Erziehung und Bildung von Kindern gemeint ist. Zum anderen geht es um die »Produktion privater Güter«, d. h. die »Befriedigung emotionaler Bedürfnisse von Menschen wie Intimität, Liebe, persönliche Erfüllung« als eine »notwendige Voraussetzung […], damit überhaupt jene gemeinsamen Güter entstehen können.« (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2006, 5). Demnach lässt sich »Familie« wie folgt begrifflich fassen:

Familien sind biologisch, sozial oder rechtlich miteinander verbundene Einheiten von Personen, die – in welcher Zusammensetzung auch immer – mindestens zwei Generationen umfassen und bestimmte Zwecke verfolgen. Familien qualifizieren sich dabei als Produzenten gemeinsamer, unter anderem auch gesellschaftlich relevanter Güter (wie z. B. die Entscheidung für Kinder und deren Pflege, Erziehung und Bildung) sowie als Produzenten privater Güter, die auf die Befriedigung individueller und beziehungsspezifischer Bedürfnisse (wie z. B. Geborgenheit und Intimität) abzielen. Als Einheiten, die mehrere Personen und mehrere Generationen umfassen, bestehen Familien in der zeitlichen Abfolge von jeweils zwei Generationen aus Paar-, Eltern-Kind- und ggf. Geschwister-Konstellationen, die sich aus leiblichen, Adoptiv-, Pflege- oder Stiefeltern (Parentalgeneration) sowie leiblichen, Adoptiv-, Pflege- oder Stiefkindern (Filialgeneration) zusammensetzen können.

Den privaten Gütern kommt in diesem Definitionsvorschlag – wie im Siebten Familienbericht ausdrücklich erwähnt – als Voraussetzung für die Produktion gemeinsamer Güter eine primäre Stellung zu und begründet damit auch die besondere Bedeutung einer beziehungs- oder familienpsychologischen Perspektive von Familien als intimen Beziehungssystemen (Schneewind 2010). Dabei stehen v. a. einerseits Paarbeziehungen und andererseits Eltern-Kind-Beziehungen im Vordergrund.

Gute und weniger gute Beziehungen zwischen Partnern


Angesichts des bereits erwähnten deutlichen Anstiegs an Scheidungen ist davon auszugehen, dass die Beziehungsqualität zwischen Ehepartnern häufig zu wünschen übrig lässt. Zentrale Aspekte der Beziehungsqualität zwischen Ehepartnern im Besonderen und Partnern im Allgemeinen sind einerseits das Ausmaß an wahrgenommener Positivität, die sich an den Kriterien einer sicheren Bindung, persönlichen Verpflichtung, sexuellen Zufriedenheit und Verbundenheit festmachen lässt. Zum anderen manifestiert sich die Beziehungsqualität an dem Ausmaß an Konfliktkompetenz, worunter v. a. konstruktives Problemlösen, geringe verbale Aggressivität und wenig Rückzugsverhalten in Konflikten zu verstehen ist (Wunderer & Schneewind 2008). Auf der individuellen Ebene spielt die Qualität der Beziehungspersönlichkeit eine wesentliche Rolle, wobei im Falle...

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