Einführung in die Sonderpädagogik

Einführung in die Sonderpädagogik

 

 

 

von: Johann Borchert

De Gruyter Oldenbourg, 2007

ISBN: 9783486582123

Sprache: Deutsch

361 Seiten, Download: 3599 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Einführung in die Sonderpädagogik



2 Blindheit und Sehbehinderung (S. 51)

Sven Degenhardt
2.1 Einführung in die Thematik

Lässt man in einer entwickelten zentraleuropäischen Gesellschaft den Assoziationen zum Begriff „blind" freien Lauf, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit zuerst die Pole bedient, die auch in anderen Kulturen bzw. in vergangenen Zeiten die Spannungen verdeutlich(t)en, in denen blinde Menschen ihren Platz in der Gesellschaft einnehmen bzw. einnehmen mussten: Auf der einen Seite entsteht das Bild vom hilflosen, insbesondere orientierungslosen Menschen, der Unsicherheit erzeugt und Mitleid oder sogar Ablehnung – in all seinen Abstufungen – erfährt. Auf der anderen Seite der Assoziation entsteht aber auch das glänzende, heroische Bild vom blinden Seher bzw. Philosophen, der eben wegen seiner Blindheit in der Lage ist, unabhängig von visuellen Verführungen der Welt in das Innerste, das Wesentliche der Dinge vordringen zu können.

Blind-Sein ist darüber hinaus auf der assoziativen Ebene gleichbedeutend mit Nichts-Sehen und dies wiederum mit Besser-Tasten-und-Hören-Können. Bestätigt werden diese vermeintlich positiven Zuschreibungen durch die Präsenz einer großen Anzahl erfolgreicher und berühmter blinder Musikerinnen und Musiker im offiziellen Gedächtnis unserer Gesellschaft – ob Ray Charles, Stevie Wonder, Wolfgang Sauer, Corinna May, Andrea Bocelli oder Jeff Healey – jede Generation und jedes Musikgenre hat hierfür Beispiele. Aber blinde Menschen hören doch nicht wirklich besser – oder?

Je intensiver das Nachdenken über das Phänomen des Nicht-Sehens wird, je stärker die Assoziation durch Nachdenken, Abwägen, durch emotionale und rationale Fakten aufgeweicht wird, um so deutlicher kommen Symbole in den Fokus des Bildes vom blinden Menschen: der weiße Blindenlangstock, der Blindenführhund, die technisch beeindruckende Braille-Zeile und die Sprachausgabe für den PC ... Blindheit wird in einer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft immer mehr zu einer Herausforderung für die Technik.

Genau an dieser Stelle lauert eine Gefahr: technische High-Tech-Hilfsmittel befreien die Gesellschaft nicht von der Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Unzulänglichkeit im Umgang mit blinden Menschen. Nur die technische Möglichkeit, Texte aus dem Internet via Braille-Zeile für blinde Leser lesbar zu machen, „erlöst" die Gesellschaft nicht von der Verantwortung, das gedruckte Blindenpunktbuch zu erschwinglichen Preisen anzubieten. Gleiches gilt für die pädagogische Seite. Eine Blinden- und Sehbehindertenpädagogik darf in der öffentlichen Wahrnehmung nicht zur Summe aus einer (im Extrem sogar lediglich durch Proklamation hergestellten) „Schule-für-alle" und einer Vielzahl teurer und hochtechnologischer Hilfsmittel für das blinde Kind werden. Eine derart (miss-)verstandene inklusive Pädagogik verkennt die Spezifik und die Notwendigkeiten einer Diagnostik und Förderung im Bereich des Sehens.

2.2 Definitionen und Klassifikationen

Für das Verständnis einer Blinden- und Sehbehindertenpädagogik sind Definitionen von „Blindheit" und „Sehbehinderung" unerlässlich – auf jeden Fall ein geeigneter Einstieg in die Diskussion. Als Oberbegriff wird in der Fachliteratur oft der Begriff der Sehschädigung genutzt. In der Alltagssprache hat sich dieser Oberbegriff jedoch nie wirklich durchsetzen können.

Auf die Frage nach einer Definition von „Blindheit" und „Sehbehinderung" kann nicht eindeutig geantwortet werden, genaugenommen muss diese Frage sogar mit einer oder mit mehreren Gegenfragen beantwortet werden. Es ist zu fragen, in welchem Verwertungszusammenhang „Blindheit" und „Sehbehinderung" definiert werden soll, welcher Zeitbezug gilt und in welcher Kultur bzw. in welchem Gesellschaftsbezug eine derartige Definition vorgenommen werden soll.

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