Panorama der neuen Religiosität - Sinnsuche und Heilsversprechen zu Beginn des 21. Jahrhunderts

Panorama der neuen Religiosität - Sinnsuche und Heilsversprechen zu Beginn des 21. Jahrhunderts

 

 

 

von: Reinhard Hempelmann ua. (Hrsg.)

Gütersloher Verlagshaus GmbH, 2006

ISBN: 9783579023205

Sprache: Deutsch

689 Seiten, Download: 3536 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Panorama der neuen Religiosität - Sinnsuche und Heilsversprechen zu Beginn des 21. Jahrhunderts



III. Suche nach Erkenntnis und Erleuchtung – moderne esoterische Religiosität (S. 201-202)

1. Begriff und Erscheinungsformen von Esoterik
Im Kontext der »neuen Religiosität« taucht seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts verstärkt das Stichwort »Esoterik« auf und wird seitdem immer mehr zur Chiffre religiöser Individualkultur überhaupt. Im populären Wortgebrauch gilt »Esoterik« daher geradezu als Inbegriff des die »neue Religiosität« weithin kennzeichnenden religiösen Subjektivismus, Eklektizismus und Individualismus nach dem Motto: »Meine Religion mach ich mir selbst!« Esoterik erscheint so vielen als typischer Ausdruck des postmodernen »Cocktailglaubens« mit seinem Mix aus religiös-weltanschaulichen Versatzstücken verschiedenster Herkunft, obwohl das traditionelle esoterische Schrifttum aus religionswissenschaftlicher Sicht eher die Züge moderner »säkularer Religiosität« widerspiegelt.

Als reine Worthülse für den kaum kaschierten religiösen Subjektivismus tritt Esoterik vor allem auf der Publikums- und Konsumentenebene in Erscheinung. Man muss damit rechnen, dass jemand sagt, alles was andere als »Esoterik« bezeichnen, habe gar nichts mit dem zu tun, was er selbst dafür hält. Verallgemeinernde Thesen über Esoterik oder Kritik versucht man damit abzuwehren, sie entsprächen nicht der »eigenen Erfahrung«. Esoterik ist dann nur eine Worthülse für die absolut gesetzte »eigene religiöse Erfahrung«, die man jedoch ebenso gut mit jedem anderen beliebigen Schlagwort bezeichnen könnte. Wegen seines verbreiteten Missbrauchs als »Containerbegriff« sind daher begriffsgeschichtliche Überlegungen für die Aufhellung des Phänomens Esoterik notwendig. Im Unterschied zu seinem populären Ge- bzw. Missbrauch gehen die folgenden Überlegungen daher von der (religions)-wissenschaftlichen Verwendung des Begriffs aus. Zu berücksichtigen sind dabei zwei Bedeutungsvarianten – je nachdem, ob man vom Adjektiv »esoterisch« oder vom Substantiv »Esoterik« ausgeht.

Das Adjektiv »esoterisch« leitet sich ab vom griechischen »esôterikós« mit der Bedeutung: »zum inneren Kreis gehörig«. Es wurde bereits in der Antike verwendet für nur einem »inneren« (griech.: esôteros = innerer) Kreis zugängliche Lehren – allerdings weniger Lehren esoterischer Art im heutigen Sinn, sondern ganz allgemein für das »Insider«-Wissen griechischer Philosophenschulen. Die Vertreter eines Verständnisses von Esoterik im Sinne von »inneren Wegen spiritueller Erfahrung« beziehen sich zwar häufig auf den Wortsinn des Adjektivs (»innen«, »innerlich«), übersehen dabei aber, dass dieses keineswegs ursprüng lich auf romantische Innerlichkeit verweist, sondern auf die Geheimhaltung von »Lehren«.

Im Unterschied zu dem bereits in der Antike belegten Adjektiv »esoterisch« zuerst im 3. Jahrhundert n. Chr. bei Lukian) ist das davon abgeleitete Substantiv Esoterik« ziemlich junger Herkunft und bezeichnet ursprünglich dasselbe wie das zur gleichen Zeit – Ende des 19. Jahrhunderts – aufkommende Wort »Okkultismus «: Als Sammelbegriff für die verschiedenen überlieferten okkulten und magischen Praktiken und Anschauungen – von Astrologie und Alchemie über Magie und Mantik bis Hexentum, Rosenkreuzertum und Theosophie – gibt es wenig her für die sich vom Adjektiv vermeintlich herleitende »Innerlichkeit«. Seine Popularisierung seit ca. 1856 verdankt das 1828 erstmals nachweisbare Substantiv »Esoterik « (frz.: l’ésotérisme) dem Franzosen Eliphas Lévi [Alphonse-Louis Constant, 1810–1875] , der auch als Erfinder des Begriffs »Okkultismus« (frz.: l’occultisme) gilt (in Anlehnung an Agrippa von Nettesheims »De occulta philosophia libres tres«, 1531). Dieser »Hegel des Okkulten« begründete damit zugleich eine neue Phase in der Begriffsgeschichte von »esoterisch«/»Esoterik«, die seither eng mit den Bezeichnungen »okkult«/»Okkultismus« verbunden ist: 1883 begegnet das Substantiv »occultism« auch in englischer Form bei dem Theosophen Sinnett, und von da an breiten sich beide Substantive »Esoterik« und »Okkultismus« vor allem über die angloindische Theosophie weiter aus: Helena Blavatsky gründete 1888 eine »Esoterische Sektion« der Theosophischen Gesellschaft, und der posthum hinzugefügte dritte Teil ihrer »Geheimlehre« trägt die Überschrift »Esoterik«.

Gegenwärtig werden die beiden Bedeutungsvarianten von »Esoterik« und »esoterisch « recht willkürlich verwendet: Die sich am Wortsinn des Adjektivs (»innen«, innerlich«) orientierende Variante vertreten vor allem mit der Jung-Schule sympathisierende Autoren. So versteht etwa Georg Schmid unter Esoterik »die Liebe zum überall verborgenen inneren Geheimnis alles Wirklichen bzw. zur Innenseite aller Dinge«. Dementsprechend versucht man weitgehend, die genuine Beziehung zum Begriff »Okkultismus« zu bestreiten und zwischen »neuer« und »klassischer Esoterik« zu unterscheiden. Demgegenüber orientiert sich der Esoteriker Hans- Dieter Leuenberger stärker an der auf Lévi zurückgehenden Begriffsvariante, indem er Esoterik als »das Wissen um eine Energie, die in allem vorhanden ist«, definiert, d. h. als Äquivalent zum modernen monistischen Okkultismus.

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