Geschichte des Christentums in Grundzügen

Geschichte des Christentums in Grundzügen

 

 

 

von: Bernd Moeller

Vandenhoeck & Ruprecht, 2004

ISBN: 9783825209056

Sprache: Deutsch

437 Seiten, Download: 1235 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Geschichte des Christentums in Grundzügen



V. TEIL

Das frühe Mittelalter
(S. 128-129)

§ 19: Die Christianisierung der Germanen

Im Unterschied zum Orient erlebte Westeuropa, der lateinische Teil des Imperium Romanum, mit dessen Untergang zwischen dem 5. und 8. Jahrhundert die tiefste Wandlung seiner Geschichte. Hier ging mit dem Unvermögen des römischen Staates und seiner Kultur, im Innern und nach außen eine beständige Ordnung der Verhältnisse zu bewahren, die Überwältigung durch die jungen Völker der Germanen Hand in Hand. So wandelte sich hier die politische Organisation vollständig, und der Schwerpunkt des Geschehens verlagerte sich aus dem Mittelmeerraum in das Gebiet nördlich der Alpen. Mehr als das: Es waren durchaus andere Menschen, die von nun an Fühlen, Denken und Handeln bestimmten, und so verkehrte sich das gesamte Gefüge des gesellschaftlichen Lebens, der Geistigkeit und Kultur. Ein neues Zeitalter, das „Mittelalter", entstand.

Diese Wandlung der Dinge bedeutete auch in der Geschichte des abendländischen Christentums einen tiefen Einschnitt. Sein Herrschaftsbereich verschob sich: Im Norden wuchsen ihm weite neue Gebiete zu, uralte und einst blühende Kirchenprovinzen aber, Nordafrika und Spanien, gingen durch die Araberstürme so gut wie verloren. Zugleich veränderte sich mit dem Eintritt der Germanen – und in geringerem Maß in späterer Zeit auch der Westslawen – in die lateinische Kirche deren äußere Gestalt und die Frömmigkeit und Theologie. Hat Byzanz an seinem Ort das antike Erbe kontinuierlich fortgeführt, der Islam es völlig beseitigt, so standen die Germanen zwischen beiden. Schon Jahrhunderte vor dem Untergang Westroms allmählich da und dort in das Reich hineinwachsend, hatten sie es als Soldaten und Politiker erst in vielerlei Hinsicht gestützt und gekräftigt, ehe sie sich nach und nach aus Foederaten in Beherrscher der westlichen Provinzen verwandelten und 476 den letzten Kaiser des Westens stürzten. Auch weiterhin war ihre Stellung zu dem alten Imperium und dessen Kultur nicht grundsätzlich feindselig, aber auch keineswegs gleichgültig. Nur mit ihrer physischen Kraft überwanden sie das Reich, nicht mit einer neuen Idee und schon gar nicht mit ihrer Religion. So konnten sie sich von der antiken Welt tief beeindrucken und von deren fremdartigem Zauber gefangen nehmen lassen. Ein Mann wie der Ostgotenkönig Theoderich suchte das Imperium wiederherzustellen, indem er sich bewusst und geradezu freiwillig an Byzanz band. Nicht weniger ehrfurchtsvoll standen die Germanen der fremden Kultur der Römer gegenüber, und in derselben Weise begegneten sie auch der Kirche. „So (suchte) auch Roma capta [das besiegte Rom], wie einst Graecia oder Palaestina, den wilden Sieger mit geistiger Rache heim" (Dove).

All das gilt zunächst für die so genannten Ostgermanen, diejenigen Germanenvölker, die am frühesten ihre ursprünglichen Wohnsitze und damit ihre alten Heiligtümer verlassen hatten und daher von der bäuerlichen Sesshaftigkeit und den alten religiösen Bindungen am weitesten entfernt waren. Sie haben sich der antiken Welt, der sie begegneten, besonders rasch erschlossen, und sie wurden als erste Germanen Christen. Im großen Stil begann die Christianisierung bei ihnen um die Mitte des 4. Jahrhunderts. Berühmt ist der Missionar Wulfila (ca. 311– 383), Enkel kappadozischer Christen, die von den Goten entführt worden waren, und also, obgleich selbst wohl Halbgote, schon als Christ geboren. Er hat mit großem Eifer und zugleich in bedachtsamer Planung das Christentum seinem Volk nahe gebracht. Seine Übersetzung der Bibel ins Gotische, für die er, in einer gewissen Entsprechung zu den orientalischen Nationalkirchen, eine eigene gotische Schriftsprache entwickelte, zeigt die Spuren bemerkenswerter missionsmethodischer Umsicht.

Das Verhalten der Ostgermanen zum Christentum bewies freilich in der Folge, dass sie eine unbefangene Stellung zur antiken Welt noch nicht erreicht hatten. Wulfilas Mission fällt in die Zeit, in der in der griechischen Kirche der arianische Streit auf seinen Höhepunkt gekommen war und die Arianer mit Hilfe der Gunst der kaiserlichen Regierung das Übergewicht hatten (s.o. S. 98). Der gotische Missionar trat, wohl durch illyrische Bischöfe veranlasst, auf deren Seite, und er hat sich auch ausdrücklich, ja schroff zu ihnen bekannt. So überlieferte er seinem Volk arianische („homöische") Gottes- und Christusvorstellungen. Die Goten aber hielten an dieser theologischen Richtung durch Jahrhunderte fest und folgten den Entscheidungen der Reichskirche gegen den Arianismus nicht, wie zunächst auch andere Germanenvölker, die von ihnen aus christianisiert wurden.

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