Gastarbeiterinnen in der Bundesrepublik

Gastarbeiterinnen in der Bundesrepublik

 

 

 

von: Monika Mattes

Campus Verlag, 2005

ISBN: 9783593378664

Sprache: Deutsch

344 Seiten, Download: 1699 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Gastarbeiterinnen in der Bundesrepublik



A. Anwerbepolitik zwischen staatlicher Regulation, betrieblicher Praxis und weiblichen Migrationsstrategien (S. 26-28)

Zwischen 1955 und 1968 schloss die Bundesrepublik unter anderem mit Italien, Spanien, Griechenland, Türkei, Portugal und Jugoslawien bilaterale Abkommen mit dem Ziel, ausländische Arbeitskräfte für die bundesdeutsche Wirtschaft anzuwerben. Entwicklung, Struktur und Problemlagen der Anwerbung waren entscheidend dadurch geprägt, dass die Nachfrage nach und das Angebot von ausländischen Arbeitskräften nach Geschlecht spezifiziert waren. In diesem ersten Teil des Buches gilt es aufzuzeigen, warum und wie die geschlechtsspezifische Nachfragestruktur des westdeutschen Arbeitsmarktes ganz entscheidend die Politik und Praxis der staatlichen Anwerbung beeinflusst hat. Zunächst wird herausgearbeitet, dass die Knappheit weiblicher Arbeitskräfte ab 1959/60 für den Abschluss fast aller auf das deutsch-italienische Abkommen folgenden bilateralen Anwerbeabkommen erhebliche Bedeutung erlangte. In einem zweiten Schritt werden die Institutionen, Regeln und praktischen Verfahren der staatlichen Anwerbung, die von den Arbeitgebern ins Spiel gebrachten Interessen und die speziell mit der Anwerbung von Frauen verbundenen Widersprüchlichkeiten und Schwierigkeiten untersucht. Ein dritter Schritt führt hin zu der interessanten Beobachtung, dass es zwischen deutscher Arbeitsverwaltung, Innenverwaltungen und Konsulaten eine komplizierte und spannungsreiche Zusammenarbeit gab, wenn es insbesondere bei weiblichen ausländischen Arbeitskräften darum ging, als Komplement zur vertraglich geregelten Anwerbung weiterhin die Möglichkeiten der Einreise mit Sichtvermerk oder Touristenvisum zuzulassen, aber je nach Bedarf zu kontrollieren und zu regulieren. Eine Fallstudie über Siemens schließt den ersten Teil ab und zeigt für den Standort Westberlin, wie die extrem hohe betriebliche Nachfrage nach jungen Arbeiterinnen jahrelang nur über die Anwerbung im Ausland erfüllt werden konnte.

1. Phasen der staatlichen Anwerbepolitik und der Anwerbung von Arbeitsmigrantinnen

Industriezweige, die wie die Textil- und Bekleidungsindustrie, die Nahrungs- und Genussmittelindustrie, die Metall verarbeitende und die Elektroindustrie, stets auf preisgünstige Frauenarbeit gesetzt hatten, hatten seit den späten 1950er Jahren wachsende Schwierigkeiten, ihren Personalbedarf mit deutschen Frauen zu decken. Auch im Pflegesektor und im Hotel- und Gaststättengewerbe herrschte akuter Arbeitskräftemangel. Dementsprechend wurden Verlauf, Größenordnung und Probleme der westdeutschen Anwerbepolitik zwar auch durch außenpolitische Faktoren, aber nicht weniger entscheidend durch die Dynamik des nach Geschlecht segmentierten und segregierten westdeutschen Arbeitsmarktes bestimmt.

In der Entwicklung der Anwerbepolitik lassen sich drei Phasen unterscheiden. Die erste Phase umfasst die Jahre 1955 bis 1959/60. Auf den Abschluss des Anwerbeabkommens mit Italien von 1955 hatte die Lage auf dem westdeutschen Frauenarbeitsmarkt noch keinen Einfluss; das Abkommen selbst blieb auch in der Folgezeit relativ bedeutungslos für die Anwerbung weiblicher Arbeitskräfte. Vier Jahre später hatte sich die Ausgangssituation geändert: 1959/60 trieb der Mangel an weiblichen Arbeitskräften die Anwerbeverhandlungen mit Spanien und Griechenland entscheidend voran. Die zweite Phase zwischen 1960 und 1966/67 war geprägt von einer raschen Steigerung der Anwerbezahlen, die im Fall weiblicher Arbeitskräfte allerdings weit hinter der wachsenden Nachfrage zurückblieb. Das Abkommen mit der Türkei von 1961 zielte zwar ursprünglich nicht auf die Anwerbung von weiblichen Arbeitskräften, zeitigte jedoch mittelfristig auch für diese besonders große Wirkung. Als Folge der Rezession von 1966/67 kamen Anwerbung und Zuwanderung vorübergehend fast zum Erliegen. Die dritte Phase zwischen dem deutsch-jugoslawischen Abkommen von 1968 und dem Anwerbestopp Ende 1973 war durch Massenanwerbungen und verstärkten Familiennachzug gekennzeichnet. Infolge der expansiven Rekrutierung in der Türkei und in Jugoslawien konnte der Bedarf an ausländischen Arbeiterinnen erstmals gedeckt werden.

1.1 Anfänge mit dem deutsch-italienischen Abkommen 1955–1959/60

Der Arbeitsmarkt der frühen Bundesrepublik entwickelte sich nach Regionen und Branchen sehr unterschiedlich. Während in den überwiegend landwirtschaftlich ausgerichteten Bundesländern mit starkem Flüchtlingsanteil an der Bevölkerung, namentlich in Bayern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen, noch Mitte der 1950er Jahre eine relativ hohe Arbeitslosigkeit herrschte, war sie in industriestarken Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen und Baden- Württemberg bereits zurückgegangen. Schon früh wurde allerdings nahezu bundesweit in der Landwirtschaft, dem Baugewerbe und dem Hotel- und Gaststättengewerbe die Knappheit an saisonal angeforderten Kräften zum strukturellen Dauerproblem.

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