Umgang mit psychotischen Patienten

Umgang mit psychotischen Patienten

 

 

 

von: Thomas Bock

Psychiatrie-Verlag, 2005

ISBN: 9783884147023

Sprache: Deutsch

145 Seiten, Download: 653 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Umgang mit psychotischen Patienten



Annäherung an Psychosen (S. 11-13)

Wie sind Psychosen zu verstehen und zu behandeln: als Transmitter- Mangelerscheinung oder als existenzielle Lebenskrise besonders sensibler Menschen, als Ausdruck eines ver-rückten Hirnstoffwechsels oder als extreme Möglichkeit menschlichen Verhaltens und Wahrnehmens? Oder gilt etwa beides zugleich? Und können wir dann die Spannung zwischen beiden Polen noch halten?

Mit diesem Buch möchte ich versuchen, in die Darstellung der Pathologie auch anthropologische Aspekte von Psychosen mit einzubeziehen (Bock u. a. 2004). Ich möchte Brücken schlagen zwischen der subjektiven und der klinischen Sicht.Wer professionell mit Psychosen zu tun hat, muss um die mögliche Eigendynamik der Biochemie wissen. Doch gleichzeitig dürfen wir deren Kontext nicht aus den Augen verlieren, dürfen nicht aufhören, Psychosen als Ausdruck der tiefen seelischen Krise eines unverwechselbaren Menschen und als Ausdruck menschlicher Möglichkeit überhaupt zu betrachten. Erst diese Spannweite zwischen pathologischer und anthropologischer Sicht gibt unserem professionellen Handeln eine solide Grundlage. Was bedeutet es, in der Wahrnehmung der eigenen Person und der Umgebung zutiefst verunsichert zu sein? Was brauchen wir, wenn unsere schützende psychische Haut durchlässig wird, wenn unsere persönlichen Grenzen verschwimmen, wenn gegenwärtige Wahrnehmungen und die Gefühle, Spuren der Vergangenheit sowie in die Zukunft reichende Hoffnungen und Befürchtungen nicht mehr zu trennen sind, wenn die Orientierung in Zeit und Raum nicht mehr gelingt? Wie kommt es, dass wir in Psychosen wahrnehmen und handeln wie im Traum – nur ohne den Schutz des Schlafes? Was bedeutet es, dass wir zurückgreifen auf die Art der Wahrnehmung eines kleinen Kindes, das alles auf sich bezieht?

Psychotisch werden kann jeder Mensch, doch die Wahrscheinlichkeit ist unterschiedlich hoch.Abhängig von der Dünnhäutigkeit und Sensibilität, mit der wir auf die Welt kommen oder die wir in frühen Tagen entwickeln, bedarf es mehr oder weniger extremer Bedingungen, einer stärkeren Überreizung und/oder einer umfassenderen Isolation. Psychotisch werden können Menschen in verschiedenen Konfliktsituationen und in allen Kulturen, vorrangig wenn innere und äußere Bilder und Anforderungen nicht mehr zur Deckung zu bringen sind.

DEFINITION: In einer Psychose können vor allem Wahrnehmung und Denken wesentlich verändert sein; die Sinne gehen dann eigene Wege und das Denken wird sprunghaft (»schizophrene« oder präziser: »kognitive Psychose«). Oder aber es werden vorrangig die Stimmung und der Antrieb verändert, und zwar entweder extrem in eine Richtung (unipolar, d.h. manisch oder depressiv) oder in beide Richtungen (bipolar, d.h. manisch und depressiv). Das geht so weit, dass auch die äußere Realität nicht mehr angemessen erfasst wird (»affektive Psychosen«).

Mindestens 1 Prozent der Menschen gehen mindestens einmal im Leben den erstgenannten Weg, mindestens 2–5 Prozent (je nach Breite der Definition) den zweiten.

Es gehört ganz offenbar zum psychischen Repertoire des Menschen, an sich zu zweifeln und dabei auch zu ver-zweifeln, über sich hinauszudenken und sich dabei auch zu verlieren sowie in verwirrenden Phasen und Situationen aus der allgemeinen Realität herauszugehen und in eine zunächst unzugänglich scheinende eigene Realität zu wechseln.

In der heutigen Zeit und Kultur gelten Menschen, die in Psychosen geraten, als besonders schwer krank, ihre Therapie als besonders schwierig. Doch die behauptete generelle Schwere der Erkrankung scheint mir etwas kurzschlüssig: Es gibt leichte und schwere Grippen, leichte und schwere Angst- oder Suchterkrankungen.Und ebenso verhält es sich mit Psychosen: Sie können in eine längerfristige Beeinträchtigung münden und den Charakter einer existenziellen Krise annehmen, die zu tiefen Selbsterkenntnissen führt. Meistens gilt sogar beides zugleich. Die Diagnose sagt noch nichts über die Schwere der Erkrankung und sie darf nicht den Weg verbauen zu einer möglichst vielseitigen, individuell angepassten Therapie.

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