Jean-Jacques Rousseau

Jean-Jacques Rousseau

 

 

 

von: Dieter Sturma

C.H.Beck, 2001

ISBN: 9783406419492

Sprache: Deutsch

208 Seiten, Download: 2704 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Jean-Jacques Rousseau



V. Freiheit und Selbstbewußtsein (S. 88-89)

1. Die Perspektiven des Freiheitsbegriffs

In Rousseaus Denken nimmt der Begriff der Freiheit eine herausragende Stellung ein. In berühmten Sätzen setzt er sich formelhaft mit der menschlichen Freiheit auseinander: „Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten." (OC III 352/W IV 270) „Der Freiheit entsagen heißt seiner Eigenschaft als Mensch, den Menschenrechten, selbst seinen Pflichten entsagen." (OC III 356/W IV 275) Das semantische Feld des Freiheitsbegriffs reicht in alle Verästelungen seiner Philosophie. Bis auf Passagen im Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars liegen jedoch keine argumentativ wirklich durchgearbeiteten Analysen zum Freiheitsbegriff vor, was zu einer komplizierten Theoriesituation führt. Erschwerend kommt hinzu, daß der Befund der analytischen Grundlegung vorhergeht, denn die systematischen Abschnitte im Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars entstehen nach der Kritik der Diskurse. Sie sind zudem mit den gleichzeitig verfaßten freiheitstheoretischen Begründungen im Gesellschaftsvertrag methodisch nicht ohne weiteres deckungsgleich.

Die gebräuchlichen freiheitstheoretischen Unterscheidungen kommen auch bei Rousseau zur Anwendung. Im Durchgang der verschiedenen philosophischen Untersuchungen läßt er sich auf die Freiheitsproblematik in der ganzen Komplexität metaphysischer, erkenntnistheoretischer, ethischer und sozialphilosophischer Fragestellungen ein. Die Besonderheit seiner Position besteht darin, daß er sowohl mit einem Begriff negativer Freiheit im Sinne der Abwesenheit von innerem oder äußerem Zwang als auch mit einem Begriff positiver Freiheit im Sinne von Selbstbestimmung operiert. Damit schlägt er eine Brücke vom Großteil der sich am Begriff negativer Freiheit orientierenden angelsächsischen und französischen Philosophen – z. B. Hobbes, Locke, Hume, Voltaire und Diderot – zu der ihm nachfolgenden klassischen deutschen Philosophie von Kant bis Hegel, die in ihren Systemen anspruchsvolle Konzepte positiver Freiheit entwickeln.

Rousseaus erste Überlegungen zur Ethik und Politik der Freiheit werden von negativen Bestimmungen wie Entfremdung, Unfreiheit, Ungleichheit und Ungerechtigkeit beherrscht. Dabei un terstellt er in noch wenig durchgearbeiteter Form die interne Verbindung von Freiheit und dem, was er im Gesellschaftsvertrag mit dem Begriff der droits de l’humanité ansprechen wird. Der kritische Befund lautet, daß die Verweigerung von ethischer und politischer Freiheit eine offenkundige Behinderung der Ausbildung und Ausübung von Humanität ist. Die Diskurse können als kulturkritische Rekonstruktion der ideologisch induzierten Unterdrückung und Ablenkung menschlicher Freiheit gelesen werden. Der von korrumpierter Herrschaft erzeugte Schein der Freiheit hat danach immer wieder die Menschen davon abgehalten, auf der Höhe ihrer moralischen und politischen Möglichkeiten zu leben.

Der Diskurs über die Ungleichheit unter den Menschen enthält über die extensiven kulturkritischen Diagnosen hinaus bereits die Konturen eines Begriffs positiver Freiheit im Sinne von Autarkie und Selbstbestimmung. Seine Einführung erfährt er in der Kritik falscher Bedürfnisse und Anerkennungsverhältnisse. Wenn die Menschen lernen, die vielfältigen und unter gesellschaftlichen Konventionen verborgenen Abhängigkeiten zu durchschauen, eröffnen sich ihnen Perspektiven zum Verständnis dessen, was wirklich in ihrem Interesse liegt. Damit sie sich nicht in ihren Abhängigkeiten und falschen Bedürfnissen verlieren, müssen sie begreifen, was in den Bereich ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten fällt. Zur konstruktiven Bewältigung dieser Aufgabenstellung trifft Rousseau im Diskurs über die Ungleichheit unter den Menschen die Unterscheidung zwischen der ursprünglichen Selbstbehauptung und einem künstlich induzierten selbstzerstörerischen Eigennutz (siehe Abschnitt III. 2).

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