Gewalt wandeln: Das Anti-Aggressivitäts-Training AAT

Gewalt wandeln: Das Anti-Aggressivitäts-Training AAT

 

 

 

von: Michael Heilemann, Gabriele Fischwasser-von Proeck

Pabst Science Publishers, 2001

ISBN: 9783935357531

Sprache: Deutsch

188 Seiten, Download: 2283 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Gewalt wandeln: Das Anti-Aggressivitäts-Training AAT



7 Therapeutischer Extremismus: Therapeutenvariablen

7.1 Die Gier nach Wirksamkeit

Der Schläger und Körperverletzer ist extremst radikal - die Therapeuten müssen immer etwas radikaler sein, um seine Anfangs- Blockade zu durchbrechen.

Therapeuten im AAT zeichnen sich durch extrem hohe Wirksamkeitsansprüche aus: Sie müssen häufig noch paradoxer und verrückter agieren als es der schon an einiges gewöhnte Täter je erlebt hat. Dieser "Irrsinn der Therapeuten" führt erst zu einer Verunsicherungs- und dann zu einer Orientierungsreaktion beim Täter. Nichtausrechenbarkeit ist das oberste Gebot für den Anti-Gewalt-Trainer: Er muss fähig sein, bei Kleinigkeiten auszuflippen und er muss gleichzeitig bei Kleinigkeiten extreme Liebe vermitteln können. Diese "Rein-Raus-Methode" gibt den Therapeuten höchstmögliche Freiheitsgrade: Sie selbst bestimmen in jeder Mikrosituation, welche Inszenierung notwendig ist, damit der Täter entweder aufgescheucht wird - oder aber wieder "zurück ins Boot kommt".

Wechsel der Sprachebenen dient hierbei ebenso als "Behandlungsturbo" wie das direkte Berühren, das unmittelbare Zugehen auf den Täter und die autoritär-direktive Abforderung von Verhaltensproben seinerseits. Der Therapeut darf sich niemals "zu schade sein", auch das Unmögliche zu fordern. Vor allem muss er in der Lage sein, es jedes Mal vorzumachen, es mitzumachen, es beizubehalten und sich "im Haifisch-Becken" wirklich wohl zu fühlen. Dazu gehört auch, dass der Therapeut gut kann, was der Täter beherrscht: Backgammon zu spielen, Blitzschach, Tischtennis, Liegestütz, Kampfsportfiguren, Beleidigungsakrobatik und cooles Auftreten. Das "Charisma" des Trainers besteht darin, dass er sowohl "summa cum laude" als auch "extrem ordinär" sein kann. Der fliegende Wechsel zwischen dargestellten theoretischen Ableitungen einerseits und unmittelbar einsetzenden, unerwarteten, distanzlosen Handlungen andererseits beweist dem Täter die "therapeutische Vollkommenheit". Sie wird in jedem einzelnen Training erarbeitet - die Vision eines "integrativen Therapeuten" ist langfristige Zielvariable und konkreter Handlungsauftrag gleichzeitig.

gibt natürlich auch andere Vorstellungen, die allerdings beim AAT keinen Platz haben, aber von den TrainerInnen aber trotzdem berücksichtigt werden müssen. M. Hermer etwa schreibt: "Oft fordern Patienten von Therapeuten Ratschläge im Sinne von Patentlösungen. Sie unterstellen dem Therapeuten, allmächtig zu sein, den Klienten voll und ganz zu durchschauen und die Problemlösung nur nicht zu verraten... Das Geheimnis des charismatischen Therapeuten liegt in all diesen Situationen in einer geschickten Handhabung dessen, was Bateson als Doppelbindung bezeichnete: Das nonverbale Signal hebt die sprachliche Aussage des Therapeuten sofort wieder auf und bestätigt den Klienten in seiner Vermutung, dass der Therapeut alles kann und weiß. Das Resultat ist nicht wie bei Bateson eine Schizophrenie, sondern das blinde Vertrauen in die Fähigkeit des Therapeuten." Davon allerdings sind die Probanden des AAT anfangs weit entfernt. Vertrauen, gar blindes Vertrauen, müssen sie überhaupt erst lernen, vor allem aber müssen sie lernen, auf sich selbst zu vertrauen.

Problem der Therapeuten im Knast besteht in der Konkurrenz: Der Pate der organisierten Kriminalität, der Chef des subkulturellen Bezirks, hat genügend Lockmittel, um den "potenten" Schläger in seine Organisation hineinzuziehen. Die Chefs der Subkultur lassen im Jugendstrafvollzug Schaulaufen - wer es von den Tätern schafft, die anderen 500 Mitinsassen für ein oder zwei Jahre in Schach zu halten, der ist auch im Rotlichtviertel als "rechte Hand des Chefs" zu gebrauchen. Der Strafvollzug bezahlt viel Geld, um Täter "im geschlossenen Kessel" zu domestizieren - der "Pate" schaut sich einfach das Ergebnis an und lässt über seine "Headhunter" die Besten aufkaufen. Er macht es sich ziemlich leicht - auf Steuerzahlers Kosten. Die Faszination des Trainerteams entsteht aus der Unterschiedlichkeit der Einzelpersonen: Der Bluffer, der Theoretiker, die Amazone, das Model, die kühl Berechnende, die Sängerin, der Karatekämpfer, die ganz normale Studentin, der Polizeichef und eben die professionellen Sozialpädagogen und Psychologen mit ihren unterschiedlichsten Talentprofilen bilden die Mischung, welche die Faszi-nation ausmacht.

hoher Professionalisierungsgrad des Teams ist erreicht, wenn das "psychologische Skalpell der Schlägertherapeuten" dazu führt, dass der Schläger das Angebot zur Veränderung tatsächlich als attraktiv erlebt: Professionelle Schlägertherapeuten sind mithin Under-Cover-Agents im Gehirn und im Herzen des Schlägers, die ihn dazu bringen, seine stumpfen Unterschichtideale - Berühren ist Schubsen; Kontaktaufnahme ist Schlagen; Gegenwehr erwirkt Tötungsberechtigung - aufzugeben. Professionelle Schlägertherapeuten verführen den Täter zum "Verrat an seiner Schicht", damit er die Möglichkeiten mittelschichtorientierter Handlungsweisen für sich erkennen, erarbeiten und in seine Schicht zurücktragen kann. Er soll die Option erhalten, sich mittelschichtadäquat zu verhalten, ohne dass er tragfähige und positiv zu bewertende Anteile seiner Herkunft aufgeben muss. Letztlich ist er ein Wanderer zwischen den Welten, der bilingual beide Schichtsprachen spricht und als Tutor oder Agent für Friedfertigkeit vermittelt.

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