Ist Altern eine Krankheit? - Wie wir die gesellschaftlichen Herausforderungen der Demenz bewältigen

Ist Altern eine Krankheit? - Wie wir die gesellschaftlichen Herausforderungen der Demenz bewältigen

 

 

 

von: Rüdiger Dammann, Reimer Gronemeyer

Campus Verlag, 2009

ISBN: 9783593407227

Sprache: Deutsch

220 Seiten, Download: 2423 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Ist Altern eine Krankheit? - Wie wir die gesellschaftlichen Herausforderungen der Demenz bewältigen



Akzeptanz, Einfachheit und Liebe (S. 137-139)

Auswege aus dem Demenzdilemma Klaus Dörner, einer der renommiertesten Vertreter der deutschen Sozialpsychiatrie, plädiert seit längerem dafür, dass die Lasten, die in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz zu tragen sind, auf mehrere Schultern verteilt werden müssen. Die Angehörigen sind oftmals emotional sehr verstrickt, deswegen eignen sie sich vielleicht am wenigsten dafür, aktiv zu helfen. Sie bedürfen jedoch mindestens der Unterstützung. Die professionell Pflegenden sind – institutionell, medizinisch, hygienisch, juristisch – vielen Aufgaben, Zwängen und Vorgaben unterworfen. Sie wären mit einem integrierten Pflegeansatz, der den Einzelnen in seiner Individualität wahrnimmt und ihn zugleich als lebendigen Resonanzboden der gesellschaftlichen Verhältnisse begreift, zweifellos überfordert.

Gebraucht wird deshalb ein Bürger-Profi-Mix des Helfens, der den profizentrischen Ansatz der Pflege zu einem bürgerzentrischen Konzept erweitert. Klaus Dörner spricht von einem »dritten Sozialraum der Nachbarschaft«, der neben den privaten und den öffentlichen treten müsse und schon hier und dort tatsächlich bereits sichtbar wird. Man denke nur an die steigende Zahl der freiwilligen Helfer gerade im sozialen und gesundheitlichen Bereich, man denke an die rund 80 000 Helferinnen und Helfer in der Hospizarbeit. Die Chance einer solchen neuen nachbarschaftlichen Lebendigkeit liegt zweifellos auch darin begründet, dass es den Menschen sicherlich schwer fällt, sich für das Elend der ganzen Welt zu engagieren, dass sie sehr wohl aber bereit sind, für den Menschen, den sie kennen und für ihren eigenen begrenzten Sozialraum einzutreten.

Das moderne Individuum hat sich der Eierschalen entledigt, die den Einzelnen in Gemeinschaften beengt und geschützt haben. Es steht nun mit sich, seiner Freiheit und seiner Identität zunächst einmal prinzipiell allein da. Wenn dieses Alleinsein, das haben wir gesehen, nicht durch neue Gemeinschaftsformen überwunden wird, kann es in die Demenz münden. Es kann also einer der Gründe dafür werden, warum das Gehirn, das eben nicht alles nur aus sich selbst schöpfen kann, seinen Dienst quittiert.

Aus dem Alleinsein entspringen dann am Ende die Depression und die Demenz – das »erschöpfte Selbst«, wie der französische Soziologe Alain Ehrenberg sein Buch über die Mühen der Selbstverwirklichung in der Gesellschaft der Gegenwart genannt hat. Die Demenz – wie die Depression – ist immer auch Ausdruck vergangener Lebenserfahrungen und aktueller Lebenslagen. Sie zeigt nicht zuletzt die Krankheit einer Gesellschaft, die kaum noch etwas anderes zusammenhält als ihr pragmatischer Betrieb, einer gleichsam »monadischen« Gesellschaft, die unverbindlich geworden ist und in der alles einst Verbindende sich in die Eigenverantwortung der vielen Einzelnen zerstreut. Aber das Alleinsein ist kein unabwendbares Schicksal. Das erleben wir glücklicherweise immer wieder, nicht nur im Privaten.

Tatsächlich sind die Anfänge einer neuen Solidaritätsbewegung mittlerweile unverkennbar – auch im Bereich der Demenzforschung und Demenzversorgung. Gegen eine zunehmende Pathologisierung von Alterserscheinungen, gegen die geschilderte Elektronifizierung wie auch gegen eine humantechnologische Professionalisierung der Pflege regt sich inzwischen ein Widerstand, der einen anderen, einen zivilgesellschaftlichen Weg einzuschlagen fordert. Diese Gegenbewegung lässt in Konturen durchaus erkennen, was Klaus Dörner jenen »dritten Sozialraum der Nachbarschaft« genannt hat – und was man ebenso gut eine Re-Vergesellschaftung der Verantwortung nennen könnte.

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