Organisationspsychologie

Organisationspsychologie

 

 

 

von: Uwe P. Kanning, Thomas Staufenbiel

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2011

ISBN: 9783840921452

Sprache: Deutsch

339 Seiten, Download: 2292 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Organisationspsychologie



1.1.3 Entwicklung der Testdiagnostik

Einen weiteren Motor der Entwicklung stellen die beiden Weltkriege dar, in denen insbesondere in den USA die Testdiagnostik vorangetrieben wurde. Ziel war eine möglichst passende Auswahl von Soldaten für unterschiedlichste militärische Aufgaben. In kurzer Zeit sind so viele hunderttausend Soldaten untersucht worden. Da sich die psychologische Diagnostik in dieser Zeit bewährt hat, wurde sie in immer stärkerem Maße von der Wirtschaft – zunächst in den USA und später dann auch in Europa – eingesetzt. Bis heute ist die Diagnostik eine der wichtigsten Aufgaben von Organisationspsychologen in der Praxis.

Wir sehen, die Entwicklung der Organisationspsychologie ist sehr eng mit ihrer praktischen Nützlichkeit verbunden. An den Universitäten etabliert sich das Fach erst einige Jahrzehnte nachdem Psychologen bereits in Organisationen aktiv tätig waren. Mitte der 1960er Jahre taucht in den USA zum ersten Mal die Bezeichnung „organizational psychology“ auf. In Deutschland gehört die Organisationspsychologie seit den 90er Jahren an nahezu allen Universitäten, die eine Voll-Ausbildung in Psychologie anbieten, zum Fächerkanon. Hinzu kommt eine wachsende Anzahl von Fachhochschulen, die unter der Bezeichnung „Wirtschaftspsychologie“ weitgehend identische Inhalte anbieten.

1.2 Aufgaben

Als anwendungsorientierte Wissenschaft hat die Organisationspsychologie mehrere grundlegende Aufgaben zu erfüllen und muss dabei über das hinausgehen, was man von einer Grundlagenwissenschaft wie etwa der Allgemeinen Psychologie erwartet. Im Wesentlichen sind es vier Aufgaben (Kanning, 2001; vgl. Abb. 1).

Zunächst einmal muss eine jede Wissenschaft Begriffe entwickeln, mit denen sich ein Gegenstand der Untersuchung beschreiben lässt. Auch wenn man dieselben Worte benutzt wie im alltäglichen Sprachgebrauch, so müssen diese doch sehr viel präziser definiert sein, damit immer deutlich wird, mit welchem Phänomen sich eine Studie oder eine Theorie beschäftigt. Nehmen wir als Beispiel einen Begriff wie das Mobbing, der inzwischen auch in die Umgangssprache Einzug gehalten hat. Würde man in einer konkreten Studie zur Untersuchung der Ursachen des Mobbings nicht genau angeben, was man unter Mobbing versteht, so wäre nicht klar, ob es sich nur um aktuelle Unstimmigkeiten in einem Team, die chronische Ausgrenzung eines Mitarbeiters durch seine Kollegen oder die permanente Zuweisung unzumutbarer Aufgaben durch einen Vorgesetzten handelt. Dies wiederum könnte leicht zu Fehlinterpretationen der Ergebnisse und ihrer Konsequenzen führen. Eine bestimmte Intervention, die sich bei einem Konflikt im Sinne der ersten Mobbing-Definition als hilfreich erwiesen hat, kann bei einem Mobbing nach der zweiten oder dritten Definition völlig unwirksam sein. Erst die genaue Beschreibung schafft Klarheit darüber, womit sich die Forschung eigentlich beschäftigt und bietet damit die Möglichkeit, mehrere Studien zum gleichen Phänomen integrierend zu betrachten, so dass sich aus mehreren Einzelbausteinen ein Gesamtbild ergibt.

An die Beschreibung schließt sich die Erklärung eines Phänomens an. Man möchte in unserem Beispielfall etwa verstehen, wie verschiedene Formen des Mobbings zustande kommen. In Form von Modellen oder Theorien werden die angenommenen Zusammenhänge zunächst festgehalten, ehe man mit Hilfe empirischer Studien überprüft, inwieweit sich die vorgenommenen Erklärungen bestätigen lassen, verworfen oder modifiziert werden müssen. Zu ein und demselben Phänomen existieren häufig mehrere Theorien, die entweder miteinander unvereinbare Erwartungen formulieren oder aber das Phänomen nur aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. So könnte man sich im Falle des Mobbings z.B. in einem Modell vertiefend mit der Rolle der Führungskraft auseinandersetzen, während parallel dazu ein anderes Modell primär die Eigenschaften und Verhaltensweisen des Opfers betrachtet. Ist man in der Lage, ein bestimmtes Phänomen zu erklären, so ist der nächste anspruchsvolle Schritt die Prognose einer Veränderung. Weiß man beispielsweise, dass ein bestimmter Führungsstil des Vorgesetzten Mobbing innerhalb eines Arbeitsteams stark begünstigt, könnte man hieraus Prognosen über die Entwicklung einer Arbeitsgruppe bei Vorliegen eines solchen Führungsstiles ableiten. Gute Prognosen setzen allerdings nicht zwingend eine funktionierende Theorie voraus. Das beste Beispiel hierfür ist die Personalauswahl. Hier geht es immer um die Prognose des Berufserfolgs, ohne dass man tatsächlich sagen könnte, warum im Einzelnen ein biografischer Fragebogen oder ein strukturiertes Einstellungsinterview eine gute Vorhersage ermöglichen.

An dieser Stelle enden die Aufgaben der Grundlagenwissenschaften. Anwendungswissenschaften müssen noch einen sehr wichtigen Schritt weitergehen und nützliche Interventionen entwickeln. Im Falle des Mobbings geht es um die Frage, wie man zum einen Mobbing im Vorhinein verhindern kann und was zum anderen zu unternehmen ist, falls bereits Mobbingfälle vorliegen. Konkrete Interventionen können z. B. Trainingsmaßnahmen sein, die das Verhalten der Führungskräfte verändern. Aber auch diagnostische Verfahren haben den Charakter von Interventionen, wenn es beispielsweise darum geht, die Stelle des Vorgesetzten mit einer geeigneteren Person neu zu besetzen. Interventionen stellen somit Strategien zur Lösung praktischer Probleme dar. Die Entwicklung derartiger Strategien ist die vielleicht vornehmste Aufgabe einer Anwendungswissenschaft. Im günstigsten Falle bauen die Interventionsstrategien auf der Erklärung und Prognose eines Phänomens auf. Doch erneut zeigt sich, dass dies keineswegs zwingend der Fall sein muss.

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