Basale Stimulation® - Das Handbuch

Basale Stimulation® - Das Handbuch

 

 

 

von: Lars Mohr, Matthias Zündel, Andreas Fröhlich

Hogrefe AG, 2019

ISBN: 9783456757018

Sprache: Deutsch

624 Seiten, Download: 25191 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Basale Stimulation® - Das Handbuch



1 Begriff und grundlegende Merkmale


Lars Mohr, Matthias Zündel und Andreas Fröhlich

Der Begriff und das Konzept „Basale Stimulation“ entstanden Mitte der 1970er-Jahre. In Entwicklung geblieben sind sie bis heute und haben dadurch im Laufe der Zeit markante Änderungen ihres Inhalts erfahren. Die Basale Stimulation unserer Tage ist nicht deckungsgleich mit der Basalen Stimulation vor 40 Jahren. Der Ansatz wurde nach und nach „von einer zunächst nur als Technik präsenten Methode zu einem umfassenden Konzept für schwerst mehrfachbehinderte Menschen weiterentwickelt“ (Ackermann, 2007, S. 161). Davon ausgehend erfüllt eine Begriffsklärung, welche die heutige Idee und Prägung Basaler Stimulation auf den Punkt bringt, zumindest zwei Funktionen:

  • Sie bündelt Erläuterungen zum Begriff, die in der Literatur über verschiedene Stellen verteilt sind (z.B. bei Fröhlich, 2015, S. 156–158 oder Fröhlich & Nydahl, 2004, S. 83f.) und legt sie folglich auf einen Blick dar.
  • Sie weist in Verdichtung die Charakteristika des Konzepts aus, die man nicht übergehen darf, wenn man sachlich korrekt und in Gegenwartsform von Basaler Stimulation spricht oder mit ihr arbeitet.

Definition: Basale Stimulation

Basale Stimulation ist ein Konzept für die pädagogische, pflegerische oder therapeutische Arbeit mit schwerstbeeinträchtigten Menschen. Sie dient den Angesprochenen in verschiedenen Formen der Umsetzung: als Begleitung ihrer Lebensvollzüge, durch Gestalten fördernder Entwicklungsbedingungen und in der Beratung von Angehörigen. Basale Stimulation nutzt individuelle – gegebenenfalls voraussetzungslose – Anregungen und kommunikative Angebote, die sich auf den Körper des Gegenübers und dessen Umwelt beziehen. Das Konzept legt maßgebliches Gewicht auf die dialogische Begegnung der Beteiligten. Es hat zum Ziel, je nach Situation

  • eine kohärente Selbstwahrnehmung,
  • Gesundheit und Wohlbefinden,
  • Bildung und Partizipation sowie
  • die Selbstbestimmung

der beeinträchtigten Person zu unterstützen.

Im weiteren Text wird als Entfaltung und Kommentar auf die einzelnen Elemente beziehungsweise Merkmale dieser Begriffsbestimmung genauer eingegangen.

1.1
Basale Stimulation als Konzept


Basale Stimulation kann man als Verstehens- und Handlungsmodell auffassen: als gedankliches und interaktionales Eingehen auf die Lebenssituation und die Probleme schwerstbeeinträchtigter Kinder, Jugendlicher und Erwachsener. Das Konzept beschreibt Vorgehensweisen, die sich vielfach in der Praxis bewährt haben. Solche Praxisbewährung kann sich allerdings nur dann (weiterhin) zeigen, wenn die Angebote Basaler Stimulation die Bedürfnisse, Lebenserfahrungen und Ziele ihrer Adressaten berücksichtigen, das heißt, wenn sie individuell abgewägt, angepasst und – soweit nötig – modifiziert werden. Basale Stimulation ist folglich kein festgelegtes Trainings- oder Interventionsprogramm, weder „Reizzufuhrmechanik“ noch Entwicklungs- oder Pflegetechnologie. Sie hält keine allseits verbindlichen Rezepte vor, deren Geltung unabhängig von der pflegerischen, therapeutischen oder pädagogischen Situation bestünde. Ihre professionellen Techniken dienen vielmehr dazu, diese Situationen einzuschätzen und angemessen in ihnen zu handeln. Genau das meint der Begriff „Konzept“: das Zusammenspiel von Reflexion und Praxishandeln, von Haltung, Kompetenz und Technik (vgl. Fröhlich, 2012, S. 7–22). „Stimulation“ ist demnach nicht als Reizsetzung, sondern als Anregung oder Angebot, eventuell auch als Ermunterung zu begreifen.

Als Konzept will Basale Stimulation theoretische Erörterung und praktisches Tun in ein ausgewogenes Verhältnis bringen, gleichermaßen im pädagogischen Rahmen, also im Blick auf Bildung und Erziehung, wie im pflegerischen oder therapeutischen Kontext:

  • Das Praxishandeln soll nicht unüberlegt geschehen, sondern im Rückgriff auf fachliche Grundlagen und Erfahrungswerte. Durch sie erhält die Anwendung und gegebenenfalls die Anpassung basaler Techniken eine Begründung für die jeweilige Situation.
  • Die Theoriediskussion soll ihren Zweck nicht in sich selbst haben, also nicht „Kunst um der Kunst willen“ sein, sondern der Praxis Hilfe bieten: beim Nachdenken und Reden über Praxissituationen und beim Herangehen an diese Situationen. Theoretische Überlegungen tragen dann zu der Kompetenz bei, die individuellen Gegebenheiten der Interaktion mit einem beeinträchtigten Menschen zu erfassen und sie im professionellen Handeln zu berücksichtigen.

Kurz gesagt: Basale Stimulation als Konzept zeichnet sich durch eine Balance von Theorie und Praxis aus, das heißt durch den reflexiven Bezug des Praxishandelns und den situativen Bezug der theoretischen Erörterung (Abb. 1-1). Dieses Ausbalancieren und Bezugnehmen von Theorie und Praxis betrifft insbesondere:

  • das Feld der Interaktion beziehungsweise Kommunikation
  • die Gestaltung von Beziehung und Begegnung
  • die Auseinandersetzung mit der Psychologie der Entwicklung
  • Aspekte der Neurowissenschaften
  • Fragen der angewandten Ethik.

Richtungweisende Impulse gewinnt das Konzept bei all dem aus einer humanistischen Sicht des Menschen und seines Austauschs mit der Welt, aus einer Haltung des Respekts vor den unzähligen Wegen menschlicher Entwicklung.

Abbildung 1-1: Der Konzeptcharakter Basaler Stimulation (Quelle: Eigenerstellung)

1.2
Adressatenkreis: schwerstbeeinträchtigte Menschen


Schwerstbeeinträchtige Kinder, Jugendliche und Erwachsene benötigen bei vielen oder gar bei allen Lebensverrichtungen die zugewandte Hilfe Anderer in einem für ihre Altersgenossen untypischen Ausmaß. Gemäß einer bedürfnisorientierten Umschreibung von Bienstein und Fröhlich (2012, S. 39) geht es um Menschen, …

  • die körperliche Nähe brauchen, um andere Menschen wahrnehmen zu können.
  • die Mitmenschen brauchen, die sie auch nonverbal verstehen und sich auf ihre individuellen Ausdrucksmöglichkeiten einstellen.
  • die Mitmenschen brauchen, die ihnen die Umwelt und sich selbst auf verständliche Weise nahebringen.
  • die Mitmenschen brauchen, die ihnen Lageveränderungen und Fortbewegung nachvollziehbar ermöglichen.
  • die Mitmenschen brauchen, die ihnen entwicklungs- und altersgerechte Spiel- und Bildungsangebote machen beziehungsweise sie zu sinnvoller Beschäftigung anregen und bei deren Ausübung unterstützen.
  • die Mitmenschen brauchen, die sie bei den Aktivitäten des täglichen Lebens zuverlässig und fachlich kompetent versorgen, pflegen und begleiten.

Wurde der Adressatenkreis in den Anfangsjahren des Konzepts noch recht eng gefasst (vgl. Fröhlich, 1978, S. 43; Haupt & Fröhlich, 1982, S. 22f.), so hat er inzwischen eine beträchtliche Öffnung erfahren: Mit den Mitteln Basaler Stimulation arbeiten heute Fachleute verschiedener Professionen unter anderem in der Begegnung mit …

  • frühgeborenen Kindern, die intensivmedizinischer Behandlung und Pflege bedürfen.
  • durch Krankheit oder Unfall schwer beeinträchtigen Menschen (z.B. in unterschiedlichen Komaremissionsstadien, in schwierigen intensivmedizinischen und anderen vergleichbaren Versorgungssituationen).
  • von Geburt an schwer mehrfachbehinderten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.
  • pflegebedürftigen Menschen im Sterben.

Die Angebote Basaler Stimulation mögen darüber hinaus in der pädagogischen, pflegerischen oder therapeutischen Förderung und Begleitung von Menschen hilfreich sein, die …

  • im Zusammenhang mit einer intellektuellen Beeinträchtigung herausfordernde Verhaltensweisen zeigen.
  • selbstverletzendes Verhalten zur Autostimulation verwenden.
  • schwere Störungen der Wahrnehmungs- und Bewegungskoordination beziehungsweise der Selbststeuerung haben.
  • bei einer intellektuellen Beeinträchtigung (chronisch) erkrankt sind (vgl. Büker, 2014; Theunissen, 2000, S. 137).

1.3
Fördernde Bedingungen, Lebensbegleitung und Ganzheitlichkeit der Entwicklung


1.3.1
Gestaltung fördernder Bedingungen (Entwicklungsförderung)


Die menschliche Entwicklung ist ein äußerst komplexer, lebendiger und vielfältiger Vorgang. Sie lässt sich nicht „erzeugen“ oder von außen „eintrichtern“. Stattdessen erweist sich die Eigenaktivität des Individuums als bedeutsam: „Entwickeln kann man sich nur selbst“ (Haupt, 2000, S. 4). Durch soziale und materielle Umweltbedingungen wird Entwicklung aber gewiss „von außen“ beeinflusst. Die Bedingungen können sich (eher) vorteilhaft oder (eher) nachteilig auswirken (Schutz- versus Risikofaktoren). Basale Stimulation versucht Umweltbedingungen zu gestalten, die schwer beeinträchtigten Menschen helfen, die ihnen mögliche Entwicklung zu durchlaufen. Die „mögliche Entwicklung“ kann sich in Phänomenen äußern, die für Außenstehende unscheinbar wirken, wie zum Beispiel freier zu atmen oder die Grenzen und Gliedmaßen des eigenen Körpers zu spüren, eine spielerische Interaktion mit der Mutter zu genießen etc.

1.3.2
Lebensbegleitung


Basales Arbeiten wird nicht ausschließlich und nicht immer durch Gedanken des Förderns geleitet. Je nach Situation, in der sich...

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