Trauma - Flucht - Asyl - Ein interdisziplinäres Handbuch für Beratung, Betreuung und Behandlung

Trauma - Flucht - Asyl - Ein interdisziplinäres Handbuch für Beratung, Betreuung und Behandlung

 

 

 

von: Ulrich Schnyder, Thomas Maier, Naser Morina, Matthis Schick

Hogrefe AG, 2019

ISBN: 9783456958293

Sprache: Deutsch

536 Seiten, Download: 7992 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Trauma - Flucht - Asyl - Ein interdisziplinäres Handbuch für Beratung, Betreuung und Behandlung



Geleitwort des UNHCR


Die psychische Gesundheit von Flüchtlingen – eine Angelegenheit von globaler Bedeutung und eine globale Verantwortung

Ein breites Spektrum von psychischen Gesundheitsproblemen bei Flüchtlingen

Europa beherbergt eine große Zahl von Asylsuchenden und Flüchtlingen, die Krieg und Gewalt entkommen sind und hier Schutz suchen. Psychische Gesundheitsprobleme sind in jeder Bevölkerungsgruppe weit verbreitet. Bei Flüchtlingen und Asylsuchenden ist dies aber noch ausgeprägter, denn sie sind für die spezifischen psychischen Gesundheitsprobleme anfälliger, welche mit der von vielen erlebten Gewalt und Not zusammenhängen sowie mit kumulativen täglichen Stressfaktoren, die ihr Leben als Flüchtling und Asylsuchender mit sich bringt (Fazel, Wheeler & Danesh, 2005; Georgiadou, Zbidat, Schmitt & Erim, 2018; Tinghög et al., 2017). Es ist folglich unerlässlich, dass europäische Spezialisten für psychische Gesundheit ein vertieftes Verständnis für die Bedürfnisse und Herausforderungen von Flüchtlingen und Asylsuchenden entwickeln. Nur so können sie ihnen wirksam helfen.

Die psychische Gesundheit von Flüchtlingen und Asylsuchenden kann in sehr unterschiedlichem Ausmaß und aus verschiedenen Gründen beeinträchtigt sein. Das Spektrum reicht von kurzen Reaktionen auf Stress verursachende oder schwierige Situationen bis hin zu chronischen und invalidisierenden psychischen Krankheiten. Allerdings – und dies wird im professionellen psychiatrischen Diskurs oft übersehen – haben die meisten Flüchtlinge und Asylsuchenden keine klinisch relevanten psychischen Gesundheitsprobleme (Silove, Ventevogel & Rees, 2017). Es ist aber auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass bei Flüchtlingen gehäuft schwere psychische Krankheiten wie Psychosen und bipolare Störungen auftreten (Barghadouch, 2018; Dapunt, Kluge & Heinz, 2017; Hollander et al., 2016). Flüchtlinge und Asylsuchende mit schweren psychischen Erkrankungen sind besonders gefährdet, Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt zu sein, sowohl in ihrem Herkunftsland als auch auf der Flucht und im Aufnahmeland, da sie häufig nicht in der Lage sind, sich selbst zu schützen, und leicht Opfer von Missbrauch und Vernachlässigung werden können (Silove, Ekblad & Mollica, 2000; Weissbecker, Ventevogel, Hanna & Pathare, in press). Zu den weiteren klinisch wichtigen Themen, die bei Flüchtlingen und Asylsuchenden genauso vorkommen wie in jeder anderen Bevölkerungsgruppe, gehören Alkohol- und Substanzkonsum sowie Intelligenz- und Entwicklungsstörungen (Kane & Greene, 2018; Kane et al., 2014).

Die verschiedenen Kapitel im Buch zeigen, dass traumabedingte Störungen weit über die posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) im engeren Sinne hinausreichen und unter anderem auch Depression, komplizierte Trauer, Angst und Dissoziation umfassen (Tay, Rees, Chan, Kareth & Silove, 2015). Die Berichte von drei Flüchtlingen in Kapitel 2 illustrieren anschaulich, dass nicht alle traumabezogenen psychischen Störungen notwendigerweise direkt mit Kriegs- oder Verfolgungserlebnissen zusammenhängen. Sie können ihren Ursprung auch in sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt, Armut sowie Missbrauch und Vernachlässigung in der Kindheit im Herkunftsland oder während der oft langen, anstrengenden und gefährlichen Reise nach Westeuropa haben.

UNHCR empfiehlt mit Nachdruck einen ganzheitlichen Ansatz beim Umgang mit psychischen Störungen von Flüchtlingen und Asylsuchenden, bei dem neben dem Gesundheitswesen auch Sozialarbeit, Bildung und Kindesschutz eine Rolle spielen (UNHCR, 2013). Im Kontext von humanitären Einsätzen wird daher meist der Doppelbegriff „psychische und psychosoziale Unterstützung“ benutzt, um das volle Spektrum zu verdeutlichen. Viele Flüchtlinge und Asylsuchende leiden vor allem unter den belastenden sozioökonomischen Bedingungen, unter denen sie leben. Matthis Schick unterstreicht in Kapitel 6 zu Recht, wie sehr sich postmigratorische Belastungsfaktoren und psychische Gesundheit gegenseitig beeinflussen. Die durch lang dauernde Asylverfahren verursachte Unsicherheit und der beschränkte Zugang zu Arbeit und Bildung verstärken bei Asylsuchenden psychische Probleme (Laban, Gernaat, Komproe, Schreuders & de Jong, 2005; Melamed, 2018). Das wird nirgends so klar wie bei Menschen, die noch auf der Flucht sind oder in Durchgangslagern festsitzen (Human Rights Watch, 2017; Jones, 2017; Ventevogel, 2015).

Flüchtlinge und Asylsuchende sind mit besonderen Herausforderungen konfrontiert, wenn sie Zugang zu angemessener psychiatrisch-psychotherapeutischer Versorgung suchen, nicht nur aufgrund sprachlicher Barrieren, sondern weil sie auch durch die starke Stigmatisierung psychiatrischer Behandlungen mit derartigen Therapien zu wenig vertraut sind (Cavallera, 2016; Colucci, 2015; Hassan et al., 2015; Kuhn, 2018; Tay et al., 2018).

Erfahrungen in der weltweiten Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen

UNHCR und seine Partnerorganisationen arbeiten oft in Situationen, wo es nicht genügend Ressourcen für die psychische Gesundheitsversorgung gibt. Hier ist die Entwicklung neuer Methoden gefragt, um „mit weniger mehr zu tun“. Die Erkenntnisse, die aus solchen Ansätzen gewonnen werden, sind auch für die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden in hoch entwickelten Ländern wie Österreich, Deutschland und der Schweiz wertvoll. Die vielleicht wichtigste Erkenntnis daraus ist die große Bedeutung eines partizipativen Ansatzes, der Flüchtlinge und Asylsuchende als aktiv Beteiligte mit einbezieht (UNHCR, 2008, 2014). Einige der wirkungsvollsten Interventionen zur Verbesserung der emotionalen Befindlichkeit von Flüchtlingen sind in ihrem Kern von sozialer Natur und beruhen auf einer Verbesserung des sozialen Zusammenhalts innerhalb von Flüchtlingsgemeinschaften sowie auf einer Förderung von Selbsthilfe und Eigenaktivität (Inter-Agency Standing Committee, 2007; UNHCR, 2017). Die Stärkung ihrer Eigenständigkeit hilft Flüchtlingen, das Leben neu zu beginnen, anstatt nur zu überleben, und kann die Entwicklung von schweren psychischen Problemen verhindern.

Eine weitere wichtige Erkenntnis besteht darin, dass nicht alle Probleme aus dem Bereich der psychischen Gesundheit vom Gesundheitswesen alleine bewältigt werden können. Die Förderung der psychischen Gesundheit bedarf der Unterstützung durch Bereiche wie Sozialarbeit, Bildung und Maßnahmen zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes (INEE, 2008; UNHCR, 2017; Weissbecker, Hanna, El Shazly, Gao & Ventevogel, 2019). Psychiater und Psychotherapeuten können nicht die Einzigen sein, die für die Förderung der psychischen Gesundheit zuständig sind. In den letzten Jahren ist eine Reihe von aufeinander aufbauenden psychologischen Interventionen entstanden, die folgende Gemeinsamkeiten aufweisen:

  1. Sie sind transdiagnostisch (oder a-diagnostisch) und daher bei unterschiedlichen Störungen wirksam wie z.B. Depression, PTBS, Ängsten oder Notsituationen,
  2. sie sind zeitlich begrenzt (üblicherweise auf fünf bis acht Sitzungen),
  3. sie beruhen auf Daten, die im Wesentlichen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen gesammelt wurden,
  4. sie sind einfach zu handhaben und an kulturelle und sprachliche Besonderheiten angepasst,
  5. sie können von Personen angewendet werden, die keine Experten sind, wenn diese gut geschult und beaufsichtigt werden.

Die Forschung zu solchen skalierbaren Interventionen bei Flüchtlingen hat vielversprechende Ergebnisse gezeigt. Schon nach einem kurzen kompetenzorientierten Training und mit Unterstützung durch eine intensive klinische Supervision können solche Interventionen signifikante Effekte erzielen (Bolton et al., 2003; Bolton et al., 2014; Rahman et al., 2016; Tol, 2018). Derartige Kurzinterventionen lösen natürlich nicht alle Probleme im Zusammenhang mit psychischer Gesundheit, aber sie können ein wichtiger Bestandteil im Rahmen eines mehrstufigen Unterstützungssystems sein. Zunehmend wird eine solche aufgabenteilige Herangehensweise als Element der humanitären psychischen Gesundheitsversorgung akzeptiert. Einer dieser Ansätze ist „Problem Management Plus” (PM+) – eine psychologische Intervention über fünf Sitzungen zur Behandlung häufiger psychischer Probleme. „PM+“ basiert auf Verhaltensaktivierung und Problemlösungsstrategien und kann von geschulten Laien einschließlich Flüchtlingen selber durchgeführt werden. Dieser Ansatz wird inzwischen auch in verschiedenen entwickelten Ländern eingeführt (Sijbrandij, 2017). Interessanterweise ist in entwickelten Ländern der Einsatz von Flüchtlingen als Laienberater viel komplizierter, weil Arbeitsbeschränkungen für Asylsuchende und Standesregeln verhindern, dass Laien als Berater oder Therapeuten arbeiten können. Ich glaube, dass die westeuropäischen Systeme der psychosozialen Gesundheitsversorgung wertvolle Lehren aus der Arbeit in humanitären Einsätzen ziehen können, wo Flüchtlinge stark in die Verbesserung ihres eigenen Wohlergehens als auch das ihrer Familien und ihrer Gemeinschaften einbezogen werden (Kieft, Jordans, de Jong & Kamperman, 2008; Slobodin 2018; Wessells, 2009).

Zu diesem Buch

Dieses Buch ist eine unabhängige Publikation, die nicht unbedingt die Ansichten des UNHCR oder die im internationalen Flüchtlingsrecht verwendete Terminologie widerspiegelt. Dennoch ist es eine Schatztruhe, gefüllt mit wichtigen Einsichten und praktischen Empfehlungen, die den Fachleuten in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland bei ihrer Arbeit mit traumatisierten Flüchtlingen und Asylsuchenden weiterhelfen wird. Das Buch leistet einen wichtigen Beitrag zur Fachliteratur im deutschsprachigen Raum. Obwohl im Vergleich...

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