Kinder und ihre psychisch kranken Eltern - Familienorientierte Prävention - Der CHIMPs-Beratungsansatz

Kinder und ihre psychisch kranken Eltern - Familienorientierte Prävention - Der CHIMPs-Beratungsansatz

 

 

 

von: Silke Wiegand-Grefe, Susanne Halverscheid, Angela Plass

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2011

ISBN: 9783840923487

Sprache: Deutsch

207 Seiten, Download: 4654 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Kinder und ihre psychisch kranken Eltern - Familienorientierte Prävention - Der CHIMPs-Beratungsansatz



3 Prävention (S. 34-35)
In diesem Kapitel werden Begriffsklärungen vorgenommen, die Ebenen präventiver Ansätze (Kind, Eltern und Familie) vorgestellt und die familienorientierten Präventionsarbeiten, die unserer Arbeit besonders nahe kommen, ausführlicher beschrieben.

3.1 Begriffsklärung
Die Abgrenzung von Prävention und Behandlung beinhaltet, dass präventive Maßnahmen auf die Vermeidung eines schlechteren Zustandes abzielen, während Therapie und Kuration als Maßnahmen der Behandlung einen besseren Zustand zu erreichen suchen (Rosenbrock & Kümpers, 2006). In der klassischen Präventionsliteratur werden drei Arten von Prävention beschrieben. In Abhängigkeit davon, wann die Intervention relativ zum Krankheitsverlauf einsetzt, unterscheidet man Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention (Caplan, 1964). Primärprävention bezeichnet die Verminderung von (Teil-) Ursachen bestimmter Erkrankungen oder von Krankheit überhaupt. Das Ziel ist die Senkung von Eintrittswahrscheinlichkeiten oder Inzidenzraten. Die Verstärkung von Primärprävention ist angesichts der wachsenden Ungleichheit von Gesundheitschancen in reichen Industrieländern eine zentrale Herausforderung zeitgemäßer Gesundheitspolitik. Sekundärprävention ist die Entdeckung von symptomlosen, aber biomedizinisch eindeutigen Frühstadien einer Erkrankung und die dadurch ermöglichte Frühtherapie. Gelegentlich wird unter Sekundärprävention auch die Verhinderung des Wiedereintritts eines Krankheitsereignisses verstanden, z. B. die Verhütung des Reinfarktes sowie allgemein Rezidivprophylaxe. Unter Tertiärprävention kann sowohl die wirksame Verhütung bzw. Verzögerung der Verschlimmerung einer manifesten Erkrankung (weites Konzept) als auch die Verhinderung bzw. die Milderung bleibender auch sozialer Funktionseinbußen infolge einer Erkrankung verstanden werden. Letzteres ist ein relativ enges Konzept, das sich vor allem auf die Rehabilitation bezieht (Rosenbrock & Kümpers, 2006).

Die Begriffe Primärprävention und Gesundheitsförderung bezeichnen zwei unterschiedliche Blickwinkel auf dasselbe Ziel, nämlich Erkrankungen vorzubeugen. Dabei betont Prävention die Reduktion von Risikoverhalten und Risikofaktoren in Person und Umwelt, während Gesundheitsförderung auf die Stärkung von Ressourcen und gesundheitsunterstützende Umweltfaktoren abzielt (Becker, 1997).

Da psychische Störungen in der Gesamtbevölkerung häufig sind und meist folgenschwer, fordern Fachleute zunehmend primärpräventive Maßnahmen in diesem Bereich. Der Bundesgesundheitssurvey wies eine 4-Wochen-Prävalenz für psychische Störungen von 20% nach (Jacobi et al., 2004). Psychische Störungen nehmen schon jetzt die Spitzenposition bei Erwerbs- und Berufsunfähigkeiten ein. Die Kosten der durch psychische Erkrankungen verursachten Fehlzeiten und vorzeitigen Berentungen lagen bei ca. 19.5 Mrd. Euro und damit bei 1 % des Bruttoinlandproduktes (Statistisches Bundesamt, 2004). Für das Kindes- und Jugendalter belegt eine Reihe longitudinaler Langzeitstudien, dass unbehandelte psychische Störungen und Verhaltensauffälligkeiten im Kindesalter mit schwerwiegenden und lang anhaltenden sozialen und ökonomischen Konsequenzen im Erwachsenenalter verbunden sind, wie chronischen psychischen Störungen, einer höheren Kriminalitätsrate, einer selteneren beruflichen Beschäftigung sowie einem geringeren Einkommen und Schwierigkeiten in den persönlichen Beziehungen (Chen, 2006, McCrone, 2005). Da also psychische Störungen im Erwachsenenalter häufig bereits Vorläufer im Kindes- und Jugendalter haben, erscheint es sinnvoll mit primärpräventiven Maßnahmen hier anzusetzen.

Bei der Konzeptualisierung primärpräventiver Strategien stellt sich die Frage nach den Ursachen psychischer Störungen. Vulnerabilitäts-Stress-Modellen kommt gegenwärtig die größte Bedeutung zu. Dabei wird angenommen, dass sich die Wahrscheinlichkeit psychisch zu erkranken, aus dem Verhältnis von angeborener Vulnerabilität und äußeren Stressoren auf der einen und protektiven Faktoren, wie Kompetenzen und förderlichen Umweltbedingungen auf der anderen Seite bestimmen lässt (Becker, 1997). Langzeitstudien liefern wichtige Hinweise darauf, welche Faktoren als Ansatzpunkte primärpräventiver Maßnahmen geeignet sein könnten. Es werden Risikofaktoren benannt, die mit psychischen Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter verbunden sind. Diesen werden protektive Faktoren gegenübergestellt, die trotz des Vorhandenseins von Risikofaktoren dazu führen, dass Kinder und Jugendliche keine psychischen Auffälligkeiten entwickeln. Außerdem gelten psychosoziale Faktoren als Risikofaktoren (vgl. Kapitel 2.2). Neben psychosozialen Risikofaktoren stehen biologische Risikofaktoren wie Frühgeburtlichkeit, Nikotin- oder Alkoholabusus in der Schwangerschaft. Meist treten diese Risikofaktoren nicht isoliert auf, sondern haben die Tendenz, gehäuft aufzutreten und miteinander zu interagieren. Die Vulnerabilität bei Vorliegen einer oder mehrerer Risikofaktoren variiert in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht, hängt aber auch davon ab, wie lange ein Risikofaktor anhält oder ob Risikofaktoren sequenziell oder simultan auftreten. Kumulative Modelle zeigen ein höheres Risiko für psychische Störungen wenn mehrere Risikofaktoren zusammen auftreten. Die überwiegende Anzahl der beschriebenen Risikofaktoren kann kaum beeinflusst werden. Angesichts ungünstiger Risikokonstellationen in Hochrisikogruppen stellt sich die Frage nach protektiven Faktoren als Zielkriterien für primärpräventive Maßnahmen. Die Suche nach Faktoren, die die Gesundheit fördern entspricht dem salutogenetischen Ansatz von Aaron Antonovsky (Antonovsky, 1987), der unter anderem die Forschung im Bereich von Public Health und Resilienz bei Kindern und Jugendlichen beeinflusst hat.

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