Papst Franziskus - Die kritische Biografie

Papst Franziskus - Die kritische Biografie

 

 

 

von: Hubertus Mynarek

Tectum-Wissenschaftsverlag, 2015

ISBN: 9783828862517

Sprache: Deutsch

336 Seiten, Download: 617 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Papst Franziskus - Die kritische Biografie



7.Ausbildung Bergoglios zum »wahren Jesuiten« (Gesamtüberblick)

Die Formung eines normalen jungen Menschen zu einer neuen Personalität im Sinne der Vorgaben des Ordensgründers und seiner Nachfolger erfordert viel Zeit, eine viel längere Zeit jedenfalls, als sie der gewöhnliche Alumne braucht, um Weltpriester zu werden. Weltpriester – das klingt bombastisch, bedeutet allerdings nur, dass der gewöhnliche Priester nach fünf oder sechs Jahre dauerndem Studium und der Priesterweihe in die „Welt“ geschickt wird, um als Vikar oder Kaplan bzw. später als Pastor oder Pfarrer seinen Dienst in der Seelsorge einer Gemeinde zu verrichten.

Diese fünf oder sechs Jahre erschienen den Verantwortlichen des Jesuitenordens aber stets als zu kurz, wenn es darum ging, aus dem noch weitgehend unbearbeiteten Material eines menschlichen Individuums das perfekte Produkt der jesuitischen Erziehungs- und Ausbildungsmethoden zu kreieren. Auch Jorge Mario Bergoglio, der spätere Papst Franziskus, brauchte fünfzehn Jahre seit seinem Eintritt in die Gesellschaft Jesu, ehe er am 22. April1973 die »feierlichen ewigen Gelübde« ablegen durfte und damit endgültig zum »wahren Jesuiten« im Sinne der Ideale dieses Ordens geworden war. Aber er war, was die Dauer der Ausbildung eines Jesuiten betrifft, keineswegs eine Ausnahme, denn ungefähr ähnlich lange dauert in der Regel die Ausbildungs- und Bewährungszeit bei allen Ordensangehörigen bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie als Vollmitglied in diese Gesellschaft aufgenommen werden.

Zuerst, gleich nach dem Eintritt in den Orden, kommt das Noviziat, das zwei Jahre dauert. Im Allgemeinen wohnen die Novizen in einem besonderen, von einem Rektor geleiteten Novizenhaus, möglichst abgegrenzt von den anderen Gebäuden und Instituten des Ordens. Nach diesen zwei Jahren sind die Novizen zubereitet, um die ersten Ordensgelübde abzulegen. Danach sind sie nicht mehr Novizen, sondern Scholastiker, die im Laufe von vier oder fünf Jahren Geisteswissenschaften und Philosophie zu studieren und zu absolvieren haben. Es folgen drei bis vier Jahre, in denen sie als Dozenten das erworbene Wissen den nachfolgenden Kursen in Kollegien des Ordens übermitteln dürfen. Damit nicht genug: Erst jetzt dürfen sie an die „heilige“ Theologie heran und diese vier Jahre lang studieren. Es folgt dann noch ein weiteres Probejahr, und erst dann sind die Scholastiker zu Professen bzw. Koadjutoren geworden. Letztere legen nur die einfachen Gelübde ab. Die wahre Elite sind die Professen (die wirklichen Bekenner), die auch als einzige nicht nur die drei üblichen Ordensgelübde der Armut, des Gehorsams und der Keuschheit, sondern auch noch das des totalen, unbedingten Gehorsams gegenüber allen Anordnungen des Papstes, welche das auch sein mögen, ablegen. Es gibt noch ein fünftes Gelübde, das der Verpflichtung zum Katechumenat, zur Unterrichtung der Menschen in der christlichen Lehre. Aber darauf muss hier nicht näher eingegangen werden.

Das also ist das allgemeine, in den diversen Häusern der Jesuiten immer auch leicht abgewandelte Schema der Ausbildungsphasen eines Kandidaten dieses Ordens. Bei Jorge Mario Bergoglio sah das konkret so aus: sein Noviziat absolvierte er in Cordoba/Argentinien, die Geisteswissenschaften in Chile, die Philosophie an der Philosophischen Fakultät in San Miguel (Groß-Buenos Aires), 1964/65 dozierte er über Literatur und Psychologie am Kollegium der Unbefleckten Empfängnis von Santa Fe, 1966 über die gleichen Fächer am Kolleg San Salvador in Buenos Aires, 1967-1970 studiert er Theologie, schließt dieses Studium mit dem Magisterium oder Lizenziat ab (also dem Wissenschaftsgrad unterhalb des Doktorgrades), am 13. Dezember 1969 wird er von Erzbischof Ramón José Castellano zum Priester geweiht, 1970/71 wird ihm sein einjähriger Aufenthalt in Alcalá de Henares, Spanien, als Tertiat, also als drittes und letztes Probejahr der jesuitischen Ausbildung angerechnet. Obwohl immer noch nicht Vollmitglied des Jesuitenordens, fungiert er bereits 1972/73 als Novizenmeister und Berater eines Provinzoberen der Jesuiten. Wie schon erwähnt, legt er dann im April 1973 die feierlichen ewigen Gelübde ab. Die Rosskur jesuitischer Dressur ist beendet! 41

Ich spreche hier von Rosskur, obwohl Bergoglio über all diese Jahre kaum etwas verlauten lässt, vor allem nicht über das Noviziat, das ja die härteste Disziplinierung der Zöglinge beinhaltet. Aber wir haben doch das Exerzitienbuch des Ordensgründers und die „Konstitutionen“ der Gesellschaft Jesu, nach denen die Novizenmeister, die Superioren, Rektoren, Konsultoren und Admonitoren bei der Erziehung und Ausbildung ihrer Zöglinge vorzugehen haben, was also auch zweifelsohne auf den Entwicklungsprozess Jorge Mario Bergoglios unter der Regie seiner jesuitischen Vorgesetzten zutrifft.

8.Die jesuitische Zwangsanstalt des Noviziats

Der Novize Jorge Mario musste vor allem anderen lernen und innerlich akzeptieren, dass die allerwichtigste und allererste Tugend nicht etwa die vielgerühmte, von allen Kanzeln gepredigte christliche Liebe, sondern der Gehorsam ist. „Zum Fortschritt ist es vor allem ersprießlich“, sagt die 31. Regel der Konstitutionen des Ordens, „dass sich alle einem vollkommenen Gehorsam hingeben, indem sie den Oberen, wer immer es sei, als Stellvertreter unseres Herrn Christi ansehen…“

Lernen mussten alle Novizen, also auch Jorge Mario, dass, wie der Ordensgründer lehrte, Gehorsam nicht gleich Gehorsam ist, vielmehr einen Stufenbau darstellt, dessen höchste Stufe mühsam zu erklimmen ist. Ignatius‘ Exerzitien bringen also dem Novizen bei, dass die unterste, niedrigste Stufe des Gehorsams der „Gehorsam der Tat“ ist, der lediglich darin besteht, einen Befehl, einen Auftrag auszuführen. Was sich der den Auftrag Erledigende dabei denkt, spielt dabei noch keine Rolle. Deshalb sei der Gehorsam dieser Stufe „sehr unvollkommen“, eine rein äußerliche, oberflächliche Verrichtung. Eine höhere Stufe des Gehorsams besteht in der inneren Aneignung des Willens des Auftraggebers durch den Novizen. Der Wille des Befehlenden ist jetzt auch der Wille des den Befehl Entgegennehmenden.

Aber die Prozedur zunehmender Enteignung der eigenen Individualität des Novizen durch den geistlichen Diktator Ignatius von Loyola und seine Nachfolger geht noch weiter. Es genügt ihm nicht, den Willen des Opfers zu besitzen, er greift auch noch nach dessen Intellekt. Er soll, so Ignatius, nicht nur das Gleiche wollen, sondern auch „das Gleiche denken wie der Obere“, soll „sein Urteil dem seines Vorgesetzten unterwerfen, soweit nur der ergebene Wille den Intellekt überhaupt beugen kann“.

Das ist Voluntarismus pur, Irrationalismus pur! Die Vernunft des auf diese Weise Manipulierten wird dem Willen untergeordnet, nicht nur dem eigenen (was nicht in allen Fällen schädlich sein muss, evtl. wenigstens dem eigenen Ego des betreffenden Individuums zugute kommen kann), sondern einem fremden, dem des Vorgesetzten, der nun wollen und befehlen kann, was er will, weil dem Novizen ja kein Urteil über die Intelligenz, den Intellekt des Vorgesetzten zusteht. Blindester Gehorsam also, grenzenloser Kadavergehorsam!

Ignatius hat sich in diesen seinen Vorschriften nicht etwa im Eifer seiner Bemühungen um die totale Disziplinierung seiner Schüler einfach irgendwie verrannt. Nein, er weiß, was er da anstellt, gibt sich ganz klar Rechenschaft darüber. Denn er vergleicht in diesem Zusammenhang die Preisgabe des Willens und Intellekts durch den Zögling mit dem erbarmungslosen Befehl Jahwes an Abraham: „So mag wohl Abraham empfunden haben, als Gott ihm befahl, seinen Sohn Isaak zu opfern“. Und auch im Falle des Novizen geschieht ja das Opfer des Verstandes, der Verzicht auf die eigene Einsicht nach Ignatius „zur höheren Ehre Gottes“.

Letzte Zweifel, ob wir die Verachtung des untergebenen Subjekts durch Ignatius von Loyola falsch verstanden haben könnten, fallen weg, wenn wir seine folgende Ausführung lesen, die sich sowohl in den von ihm überlieferten Aussagen als auch ähnlich in seinem Exerzitienbuch findet: „Überhaupt darf ich nicht mir gehören wollen, sondern meinem Schöpfer und dessen Stellvertreter. Ich muss mich leiten und bewegen lassen, wie ein Wachsklümpchen sich kneten lässt, muss mich verhalten wie ein Toter ohne Willen noch Einsicht, wie ein kleines Kruzifix, das sich ohne Schwierigkeit von einem Platz zum anderen stellen lässt, wie ein Stab in der Hand eines Greises, auf dass er mich hinstelle, wo er will und wo er mich am besten brauchen kann. So muss ich immer zur Hand sein, damit sich der Orden meiner bediene und mich in der Weise verwende, die er für gut hält“.

Offenbar hat der Novize Jorge Mario Bergoglio diese Leitsätze seines obersten Ordensherrn verinnerlicht, offenbar fiel aber auch ihm diese Weggabe des Willens und Intellekts an die Oberen nicht leicht. Im Rückblick auf diese Zeit des Noviziats und der weiteren Jahre unter der Knute der Herren des Ordens gibt er zu, damals zunächst „in hohem Grade selbstgerecht“ gewesen zu sein, „was bedeutete, dass ich sündigte … Meine ganze Haltung war von Hochmut durchdrungen“.42 Wenn einer es als Hochmut ansieht, seinen eigenen Weg zu gehen, dabei auch Fehler zu machen, dies sogar als Sünde anerkennt, hat er schon den ersten Schritt zur Übergabe seines Willens und seiner Vernunft an andere getan.

Bergoglio gesteht, dass er trotzdem noch viel Zeit brauchte, „sich in Geduld üben“ musste, bevor er zu dieser Übergabe bereit war. „Wenn man jung ist, glaubt man die Welt verändern zu können. Aber dann …...

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