Betriebliches Gesundheitsmanagement - Herausforderung und Chance

Betriebliches Gesundheitsmanagement - Herausforderung und Chance

 

 

 

von: Wulf Rössler, Holm Keller, Jörn Moock, Leuphana Universität Lüneburg

Kohlhammer Verlag, 2015

ISBN: 9783170248205

Sprache: Deutsch

128 Seiten, Download: 3219 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Betriebliches Gesundheitsmanagement - Herausforderung und Chance



2         Betriebliches Gesundheitsmanagement – eine Chance für Unternehmen


Eberhard Ulich


 

Obwohl die Bedeutung der bedingungsbezogenen Interventionen, d. h. der Veränderung der Verhältnisse, insbesondere durch Maßnahmen der Arbeitsgestaltung, neuerdings immer wieder betont wird, liegt der Schwerpunkt betrieblicher Gesundheitsförderungsaktivitäten nach wie vor bei den personenbezogenen Interventionen, d. h. bei der Veränderung des Verhaltens. Tatsächlich zeigen aber z. B. die differenzierten Kostenschätzungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, dass ein erheblicher Anteil der Ursachen arbeitsbedingter Erkrankungen in betrieblichen Verhältnissen, d. h. in den Arbeitsbedingungen, zu verorten ist. Wenn auch davon auszugehen ist, dass sich Verhaltens- und Verhältnisorientierung zumindest teilweise wechselseitig bedingen, so gilt doch, dass »in der Sachlogik […] Verhaltensprävention der Verhältnisprävention stets nachgeordnet bleibt« (Klotter 1999, S. 43). Zur Verhältnisprävention, d. h. zu den bedingungsbezogenen Maßnahmen gehören insbesondere die Festlegung der Arbeitszeiten und die im Folgenden skizzierte Gestaltung der Arbeitsinhalte.

Persönlichkeits- und gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung


Damit stellt sich die Frage, wie Arbeitsaufgaben konkret gestaltet werden sollen, damit eine Aufgabenorientierung entsteht, die die Entwicklung der Persönlichkeit und deren Gesundheit im Arbeitsprozess fördert und zur Aufgabenerfüllung motiviert, ohne dass es der ständigen Kompensation durch von außen kommender Stimulation bedarf. Merkmale persönlichkeits- und gesundheitsförderlicher Aufgabengestaltung sind in Tabelle 2.1 zusammengefasst.

Tab. 2.1: Merkmale persönlichkeits- und gesundheitsförderlicher Aufgabengestaltung

Die in Tabelle 2.1 aufgeführten Merkmale persönlichkeits- und gesundheitsförderlicher Arbeitsgestaltung finden sich auch in der Europäischen Norm EN 614-2 wieder1.

           


Kasten 1: Merkmale gut gestalteter Arbeitsaufgaben nach DIN EN 614-2:2008-12

Im Gestaltungsprozess muss der Konstrukteur

a)   die Erfahrung, Fähigkeiten und Fertigkeiten der bestehenden oder zu erwartenden Operatorenpopulation berücksichtigen.

b)   sicherstellen, dass die durchzuführenden Arbeitsaufgaben als vollständige und sinnvolle Arbeitseinheiten mit deutlich identifizierbarem Anfang und Ende erkennbar sind und nicht einzelne Fragmente solcher Aufgaben darstellen.

c)   sicherstellen, dass durchgeführte Arbeitsaufgaben als bedeutsamer Beitrag zum Gesamtergebnis des Arbeitssystems erkennbar sind.

d)   die Anwendung einer angemessenen Vielfalt von Fertigkeiten, Fähigkeiten und Tätigkeiten ermöglichen.

e)   für ein angemessenes Maß an Freiheit und Selbständigkeit des Operators sorgen.

f)   für ausreichende, für den Operator sinnvolle Rückmeldungen in Bezug auf die Aufgabendurchführung sorgen.

g)   ermöglichen, vorhandene Fertigkeiten und Fähigkeiten auszuüben und weiterzuentwickeln, sowie neue zu erwerben.

h)   Über- und Unterforderung des Operators vermeiden, die zu unnötiger oder übermäßiger Beanspruchung, Ermüdung oder zu Fehlern führen kann.

i)   repetitive Aufgaben vermeiden, die zu einseitiger Arbeitsbelastung und somit zu Monotonie- und Sättigungsempfindungen, Langeweile oder Unzufriedenheit führen können.

j)   vermeiden, dass der Operator alleine, ohne Gelegenheit zu sozialen und funktionalen Kontakten arbeitet.

Diese Merkmale gut gestalteter Arbeitsaufgaben der Operatoren dürfen bei der Gestaltung von Maschinen nicht verletzt werden.

Unter den in Tabelle 2.1 aufgeführten Merkmalen der Aufgabengestaltung kommt der Ganzheitlichkeit bzw. Vollständigkeit zentrale Bedeutung zu, weil die Möglichkeit der Erfüllung einiger anderer Merkmale durch den Grad der Aufgabenvollständigkeit bedingt ist.

Ein Vorteil auch für Unternehmen


Ein Beispiel für mögliche Zusammenhänge einzelner Aufgabenmerkmale mit dem betrieblichen Krankenstand, aber auch mit ökonomischen Erfolgsfaktoren findet sich in Tabelle 2.2. Andere Untersuchungen sowie Berichte aus Unternehmen und Unternehmensnetzwerken bestätigen die dort erkennbaren Zusammenhänge (Ulich & Wülser 2015).

Tab. 2.2: Subjektives Erleben, ökonomischer Erfolg, Krankenstand und Fluktuation in 28 IT-Unternehmen mit 2.856 Beschäftigten – Spearman-Rangkorrelationen

Nicht auszuschließen ist allerdings, dass die Realisierung der Merkmale persönlichkeits- und gesundheitsförderlicher Aufgabengestaltung – insbesondere der Aufgabenvollständigkeit und der Autonomie – auch selbstschädigendes Engagement provozieren und damit im Sinne nicht intendierter Nebenwirkungen zum Präsentismus – hier verstanden als »Anwesenheit am Arbeitsplatz trotz gesundheitlicher oder anderweitiger Beeinträchtigung, die eine Abwesenheit legitimiert hätte« (Ulich, 2013, S. 1212) – beitragen kann. Hinweise darauf finden sich unter anderem in einer Online-Erhebung, an der sich 1183 Personen beteiligten, von denen rund zwei Drittel Angaben zu den Gründen für im vergangenen Jahr erlebten Präsentismus machten ( Tab. 2.3). Differenzierte Analysen unter Einbezug von insgesamt 2709 Beschäftigten ergaben darüber hinaus signifikante Unterschiede nach Branchen, Anstellungsgrad (Vollzeit vs. Teilzeit), Arbeitszeitform (starr vs. flexibel), Kaderposition und Ausbildungsniveau (Ulich & Nido, 2014).

Tab. 2.3: Gründe für Präsentismus (Angaben in Prozent)*

Die Vermeidung derartiger Nebenwirkungen erfordert ein hohes Maß an Achtsamkeit der Führenden, aber auch der Arbeitskolleginnen und -kollegen in Bezug auf die Befindlichkeit der Mitarbeitenden. Im Übrigen aber gilt: persönlichkeits- und gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung ist zugleich alternsgerechte Arbeitsgestaltung.

Alternsgerechte Arbeitsgestaltung: ein Beitrag zum demografischen Wandel


Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass die Bereitschaft, ›ältere‹ Menschen weiter zu beschäftigen, zu fördern oder gar neu einzustellen, in zahlreichen Unternehmen deutlich abgenommen hat. In diesem Zusammenhang ist inzwischen von einer eigentlichen Altersdiskriminierung die Rede (Naegele 2004). Die Ursachen dafür sind nicht zuletzt in mangelndem Wissen und in Vorurteilen bezüglich der Leistungsmöglichkeiten älterer Menschen zu suchen. Tatsächlich zeigt eine Vielzahl von Untersuchungen, dass das Älterwerden keineswegs mit einem automatischen Abbau der Leistungsfähigkeit verbunden ist. Die mit dem Alter größer werdende Streuung der Leistungsmöglichkeiten ist einerseits auf Unterschiede in der Gesundheit zurückzuführen, andererseits auf Unterschiede in der Ausbildung und Erfahrung. So wird durch verschiedene Untersuchungsergebnisse belegt, dass der positive Einfluss anspruchsvoller Arbeitstätigkeiten auf die geistige Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter noch zunimmt. Damit wird gleichzeitig bestätigt, dass persönlichkeits- und gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung schon in jungen Jahren gleichzusetzen ist mit alternsgerechter Arbeitsgestaltung.

Merkmale nicht alternsgerechter Arbeitsgestaltung finden sich vor allem in Betrieben mit weitgehend arbeitsteiligen Strukturen, daraus resultierenden einseitigen Belastungen und fehlenden Möglichkeiten, sich durch lernhaltige Arbeitstätigkeiten weiter zu entwickeln. In diesem Zusammenhang ist auch die Rede vom »menschgemachten« Altern bzw. von arbeitsbedingtem Voraltern (Hacker 2004).

Dass dabei die in Tabelle 2.1 genannten Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten eine zentrale Rolle spielen, ist inzwischen weitgehend anerkannt ( Kasten 2).

Kasten 2: Losing the ability to learn

»Die Lebens- und die Arbeitsbedingungen können das Altern beschleunigen (man kann vor-altern) oder im Idealfall auch verzögern […] Danach muss das kalendarische Alter vom biologischen unterschieden werden […] Im Prinzip könnten umgekehrt auch gesundheitsfördernde und trainierende Arbeitsprozesse alternskorrelierte Leistungsrückgänge verzögern; derzeit scheinen in der Mehrzahl von...

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