Entwicklungsförderung im Kindesalter - Grundlagen, Diagnostik und Intervention

Entwicklungsförderung im Kindesalter - Grundlagen, Diagnostik und Intervention

 

 

 

von: Arnold Lohaus, Michael Glüer

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2014

ISBN: 9783840925436

Sprache: Deutsch

328 Seiten, Download: 3146 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Entwicklungsförderung im Kindesalter - Grundlagen, Diagnostik und Intervention



Grundlagen der Entwicklungsförderung (S. 11-12)
Arnold Lohaus und Michael Glüer
1 Entwicklungspsychologische Grundlagen und Basiskonzepte der Entwicklungsförderung

1.1 Begriffsdefinitionen zur Entwicklungsförderung

Nach Trautner (1992) werden relativ überdauernde Veränderungen des Erlebens und Verhaltens über die Zeit hinweg als Entwicklung definiert. Wenn man von einem Entwicklungsaufgabenkonzept ausgeht, wie es bereits von Havighurst (1972) postuliert wurde, resultieren die Veränderungen aus der Auseinandersetzung mit Entwicklungsaufgaben. Durch die erfolgreiche Lösung von Entwicklungsaufgaben (wie die Regulation des Schlaf-Wach-Zyklus oder den Aufbau von befriedigenden Sozialbeziehungen) entstehen Veränderungen des Erlebens und Verhaltens, die auch auf die Bewältigung zukünftiger Entwicklungsaufgaben Einfluss nehmen, indem Kompetenzen aufgebaut werden, die zukünftige Problemlösungen erleichtern. Daraus folgt gleichzeitig, dass Entwicklungsdefizite dann zu erwarten sind, wenn es einem Kind nicht gelingt, seine alterstypischen Entwicklungsaufgaben erfolgreich zu bewältigen. Es können dabei negative Aufschaukelungsprozesse in Gang gesetzt werden, da durch das Nichterreichen von Entwicklungszielen zukünftige Entwicklungschancen reduziert werden (Heinrichs & Lohaus, 2011).

Nicht jede Abweichung von der statistischen Norm bzw. von der „normalen Entwicklung“ ist als problematisch anzusehen. Dies wird schon dadurch deutlich, dass es auch im positiven Sinne Entwicklungsabweichungen von der Norm (z. B. bei der Hochbegabung) gibt. Weiterhin ändern sich in vielen Entwicklungsbereichen die statistischen Normen über die Zeit hinweg, sodass typische Entwicklungsfortschritte, die heute vielleicht als normentsprechend gelten, in der Zukunft nicht mehr normentsprechend sind. Man denke beispielsweise an die Normen von Motoriktests, die sich in den vergangenen Jahren deutlich verschoben haben und für viele Kinder heute eine Entwicklungsabweichung im Sinne reduzierter Motorikleistungen bedeuten würden (Bös, 2003). Es ist also sinnvoll, bei der Definition eines Entwicklungsdefizits nicht nur eine Abweichung von der statistischen (Alters-)Norm zugrunde zu legen. Auf der anderen Seite können (negative) Abweichungen von der geltenden statistischen Norm eine Hinweisfunktion übernehmen, da die Wahrscheinlichkeit, alterstypische Entwicklungsaufgaben erfolgreich zu bewältigen, in der Regel sinken dürfte, wenn eine starke Abweichung von der gültigen Altersnorm besteht.

Es soll an dieser Stelle weiterhin betont werden, dass nicht jedes Entwicklungsdefizit mit einer Entwicklungsstörung gleichzusetzen ist. Bei Entwicklungsstörungen handelt es sich um Funktionsbeeinträchtigungen, die nach der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten (engl. International Statistical Classification of Diseases, 10th revision bzw. ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation (WHO/Dilling et al., 2011) Verzögerungen oder Schwächen betreffen, die in der Regel vom frühestmöglichen Erkennungszeitpunkt an bestanden. Dies bedeutet, dass
a) der Beginn ausnahmslos im Kleinkindalter oder der Kindheit liegt,
b) eine enge Verknüpfung mit der biologischen Reifung besteht und
c) ein stetiger Verlauf ohne Remissionen oder Rezidive vorliegt.

Die Störungen können sich im Entwicklungsverlauf vermindern, wobei jedoch Defizite bis in das Erwachsenenalter hinein bestehen bleiben können. Zu unterscheiden sind dabei die umschriebenen Entwicklungsstörungen (des Sprechens und der Sprache, der schulischen Fertigkeiten und der motorischen Funktionen) und die tiefgreifenden Entwicklungsstörungen (unter die insbesondere die autistischen Störungen fallen). Die Besonderheit der Entwicklungsstörungen ist darin zu sehen, dass hier Entwicklungsabweichungen zusammengefasst werden, die durch relativ eindeutige Kriterien qualitativ abgegrenzt werden und die dadurch einer diagnostischen Kategorie nach dem ICD- oder DSM-Klassifikationssystem zugeordnet werden können, wobei es sich beim Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) der American Psychiatric Association (die aktuelle Version ist 2013 erschienen) ähnlich wie beim ICD um ein Klassifikationssystem für Erkrankungen und Störungen handelt, das jedoch – anders als das ICD – auf psychische Störungen beschränkt ist. Es soll hier im Wesentlichen deutlich werden, dass es bei den Entwicklungsstörungen um relativ klar definierte Entwicklungsbeeinträchtigungen geht, während jedoch ebenso Entwicklungsdefizite existieren können, die den eng gefassten Kriterien einer Entwicklungsstörung nicht genügen, die aber dennoch mit einer Beeinträchtigung bei der Bewältigung alterstypischer Entwicklungsaufgaben einhergehen können. Es kann eine Vielzahl von graduellen Entwicklungsdefiziten geben, die einzeln oder in der Summe nicht den Kriterien einer Entwicklungsstörung genügen, aber dennoch Anlass zu erhöhter Aufmerksamkeit geben können.

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