Kleine Philosophie für Nichtphilosophen

Kleine Philosophie für Nichtphilosophen

 

 

 

von: Friedhelm Moser

C.H.Beck, 2007

ISBN: 9783406559662

Sprache: Deutsch

224 Seiten, Download: 984 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Kleine Philosophie für Nichtphilosophen



6 DIE ZIVILCOURAGE (S. 61-62)
oder
Wieviel Mumm kann man von einem Menschen verlangen?

«Muß das Herz dir brechen, bleibe fest dein Mut!» (Adelbert v. Chamisso)

Einige Jahre lang durfte ich als Lehrer unter den gestrengen Augen von Karl Jaspers wirken. Sein Porträt verlieh der Aula des Alten Gymnasiums in Oldenburg eine gewisse altväterliche Weihe. Dem Philosophen gegenüber hing der Theologe Rudolf Bultmann, auch nicht gerade eine Stimmungskanone. So wurden meine Schüler, die dort ihre Philosophie-Klausuren schrieben, gleich von drei grimmigen Geistesriesen bewacht.

In derselben Aula hatte der Schüler Jaspers 1901 die Abiturrede halten sollen. In der Sprache Ciceros, wie es damals Usus war. Ein Galavorstellung der humanistischen Gymnasialbildung vor versammelter Elternschaft. Jaspers lehnte ab, «weil wir soviel Latein gar nicht gelernt haben, daß wir lateinisch sprechen können. Diese künstlich vorbereitete Rede ist eine Täuschung des Publikums.»

Erstaunlich, daß man Jaspers überhaupt ausgewählt hatte. Er war zwar Primus, galt aber als renitent und eigenbrötlerisch. Mit dem Direktor unterhielt er eine Privatfehde. Als seine Mitschüler sich in nationalistischen Verbindungen organisierten, hielt er sich demonstrativ abseits und erklärte: «Ich trete keiner Verbindung bei, ich will nicht dazugehören.»

1901, das ist die Zeit des deutschen Hurra-Patriotismus. In China schlagen Kaiser Wilhelms «Hunnen» den Boxeraufstand nieder. In Südwest-Afrika massakriert teutonische Tapferkeit Herreros und Hottentotten. An der Heimatfront herrscht Euphorie. Man ist Weltmacht. Militärisches Denken ist groß in Mode. Auch an den Schulen.

Es gab fraglos viele Jungen, die das strenge Regiment genossen. Von Diederich Heßling, dem «Untertanen» Heinrich Manns, heißt es: «Denn Diederich war so beschaffen, daß die Zugehörigkeit zu einem unpersönlichen Ganzen, zu diesem unerbittlichen, menschenverachtenden, maschinellen Organismus, der das Gymnasium war, ihn beglückte, daß die Macht, die kalte Macht, an der er selbst, wenn auch nur leidend, teilhatte, sein Stolz war. Am Geburtstag des Ordinarius bekränzte man Katheder und Tafel. Diederich umwand sogar den Rohrstock.»

Jaspers war anders erzogen. Sein Leitbild war der nonkonformistische Vater, ein Bankdirektor, passionierter Jäger und Hobby-Aquarellist, der von sich sagte: «Ich ertrage keine Vorgesetzten.» Über sein Elternhaus schrieb der Philosoph: «Ohne Kirche, ohne Bezugnahme auf eine objektive Autorität, galt als das Böseste die Unwahrhaftigkeit. Und als fast ebenso schlimm: blinder Gehorsam. Beides darf es nicht geben! Daher war unser Vater unendlich geduldig gegenüber meinem Widerstand. Wenn ich widersprach, kam nicht der Befehl, sondern die Begründung, warum das vernünftig sei.»

Klar, daß er mit diesen Maximen im wilhelminischen Deutschland aneckte. Auch unter den Altersgenossen. «Während dieser Zeit haben mich auch meine Schulkameraden im Stich gelassen. Sie hielten es mit dem Direktor. Immer wenn Differenzen waren, war ich der Störenfried, der eigensinnige Mensch, der außerhalb stand.» Mut hat viele Gesichter. Sokrates vor Gericht. Cortez in Tenochtitlan. Charlotte Corday an Marats Badewanne. Dürers Ritter, Tod und Teufel. Der grimmige Graf von Galen. Millionen längst vergessener Männer, Frauen und Kinder.

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