Sexuelle Verwahrlosung - Empirische Befunde - Gesellschaftliche Diskurse - Sozialethische Reflexionen

Sexuelle Verwahrlosung - Empirische Befunde - Gesellschaftliche Diskurse - Sozialethische Reflexionen

 

 

 

von: Michael Schetsche, Renate-Berenike Schmidt

VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2010

ISBN: 9783531924779

Sprache: Deutsch

272 Seiten, Download: 5620 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Sexuelle Verwahrlosung - Empirische Befunde - Gesellschaftliche Diskurse - Sozialethische Reflexionen



Explizite Lyrik – „Porno-Rap“ aus jugendsexuologischer Perspektive (S. 207-208)

Konrad Weller


Das Epizentrum des 2007 ausgelösten medialen Bebens über die sexuelle Verwahrlosung der Jugend in Deutschland liegt in Essen-Katernberg. Dort hat ein erfahrener Sozialarbeiter einem ebenso erfahrenen stern-Redakteur seine professionellen Naherfahrungen mitgeteilt (Wüllenweber 2007). Die seither geführte journalistische wie wissenschaftliche Debatte ist außerordentlich facettenreich. Es handelt sich diverse Fallschilderungen aus den sozialen Brennpunkten der Republik, in denen z. B. beschrieben wird, dass Unterschicht-Eltern mit ihren Kindern gemeinsam Pornos gucken, dass 12jährige Musik hören, in denen sexistische Gewalt ein Dauerthema ist oder dass sich 14jährige zum Gruppensex treffen (ebd.).

Von diesen Fällen heißt es, sie seien nur die „Spitze des Eisbergs“ (vgl. Weirauch 2007). Daran, dass Eisberge aus kleineren sichtbaren und größeren unsichtbaren Teilen bestehen (oder, kriminologisch formuliert, aus kleineren Hellfeldern und größeren Dunkelfeldern) soll nicht gezweifelt werden. Die Frage ist allerdings: Wie viele Eisberge gibt es denn im Großen Ozean der Jugendsexualität? Was vermittelt der geweitete sexualwissenschaftliche Blick auf diesen Ozean, wenn man den sozialarbeiterischen und journalistischen Zoom auf Eisberge zurückfährt? Die aktuelle Verwahrlosungsdebatte ist in ihrem Kern bzw. Ausgangspunkt eine Pornographie- bzw. Pornographisierungsdebatte. In den oben angesprochenen Naherfahrungen wird häufig von Fällen berichtet, in denen sich heutzutage vor allem Jungen bereits vom späten Kindesalter an pornographisches Material ansehen und anhören.

Die Auswirkungen scheinen evident – der Sozialarbeiter berichtet: Die Heranwachsenden lernen nicht mehr, was Liebe ist. Sie küssen nicht mehr, haben aber Sex miteinander (ganz wie im Porno). Besonders auffällig ist auch die zunehmende Sexualisierung der Sprache. Ein besonderes Indiz hierfür ist die Popularität des sogenannten „Porno-Rap“. In diesem Artikel soll vor allem der Frage nachgegangen werden, was sich hinter dem Phänomen „Porno-Rap“ verbirgt, wie es um die Verbreitung, Rezeption, Wirkung pornographischer, gewaltverherrlichender, frauenverachtender und homophober Elemente innerhalb der populären und identitätsstiftenden Jugendkultur des HipHop steht.

Dabei geht es nur zum Teil um die traditionelle, pädagogisch wertvolle Frage des Kinder- und Jugend(medien)schutzes, wie von Erwachsenen für Erwachsene produzierte Pornographie von Kindern und Jugendlichen genutzt wird und auf sie wirkt. Es geht um Musik, Rhythmus und Poesie (Rhythm and Poetry), um Rap als Lebensgefühl und integratives Band in der Clique, um die Frage, inwieweit die Protagonisten des neuen deutschen Gangsta-Rap verhaltensrelevante Leitbilder liefern, welche Bedürfnisse sexistischer Rap anspricht und wofür er steht: als bloße Mode oder Indiz für (sexual-)kulturelle Tendenzen.

Sexistischer Rap wird, soviel soll vorweg genommen werden, vor allem von sozial benachteiligten Jungen gehört. Das führt zu einem weiteren Aspekt der Verwahrlosungsdebatte, die eine Unterschicht- bzw. Prekariatsdebatte ist. Jakob Pastötter (aktuell Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung) hat im oben genannten stern-Artikel die These von der „Pornographie als Leitkultur der Unterschicht“ aufgestellt. Das resultiert aus der oben erwähnten Fokussierung der Verwahrlosungsdebatte auf Berichte aus sozialen Brennpunkten.

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