Die wahre Macht ist der Dienst

Die wahre Macht ist der Dienst

 

 

 

von: Jorge Mario Bergoglio, Michael Sievernich

Verlag Herder GmbH, 2014

ISBN: 9783451801440

Sprache: Deutsch

400 Seiten, Download: 3709 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Die wahre Macht ist der Dienst



»DIE WORTE, DIE ICH ZU EUCH GESPROCHEN HABE, SIND GEIST UND SIND LEBEN« (Joh 6,63)


»Kehr um und glaub an das Evangelium«


»Kehr um und glaub an das Evangelium«, mit diesen Worten hat uns der Priester am vergangenen Mittwoch das Aschenkreuz auf die Stirn gezeichnet.

Stellen wir diesen Appell wirklich an den Beginn dieser Fastenzeit. Damit unser Herz erschüttert wird, damit es sich öffnet und an das wahre Evangelium glaubt: nicht an ein Comic-Evangelium, nicht an ein Light-Evangelium, nicht an ein gefiltertes Evangelium, sondern an das wahre Evangelium. Ganz besonders von Ihnen als Katecheten wird das heute erwartet: »Kehrt um und glaubt an das Evangelium!«

Doch es ist vor allem eine Mission, welche die Kirche Ihnen anvertraut: Sorgen Sie dafür, dass andere an das Evangelium glauben. Wenn die anderen Sie sehen, wenn sie erkennen, was Sie tun, wie Sie sich verhalten, was Sie sagen, was Sie fühlen, wie Sie lieben – dann sollen sie an das Evangelium glauben können.

Das Evangelium erzählt, dass der Geist Jesus in die Wüste geführt und Jesus dort unter den wilden Tieren gelebt hat, als sei dies das Normalste von der Welt. Das erinnert uns daran, wie es am Anfang war: Der erste Mann und die erste Frau lebten unter den wilden Tieren, und das war völlig normal. Im Paradies war alles Frieden, alles war Freude. Sie wurden in Versuchung geführt, und auch Jesus wurde in Versuchung geführt.

Nachdem Jesus sich hat taufen lassen, will er den Beginn seines Lebens wie eine Neuauflage dessen gestalten, was am Anfang war. Diese Geste Jesu – dass er in Frieden mit der ganzen Natur, in fruchtbarer Einsamkeit des Herzens und in der Versuchung lebte – zeigt uns, wozu er in die Welt gekommen ist. Er ist gekommen, um wiederherzustellen, um zu erneuern. Im Lauf des Jahres haben wir in einem Tagesgebet während der Messe etwas sehr Schönes gebetet: »Gott, du hast alles wunderbar erschaffen und noch wunderbarer wiederhergestellt.«

Seiner wunderbaren Berufung folgend ist Jesus gekommen, um die Dinge neu zu erschaffen, um sie wieder in Einklang zu bringen, um selbst inmitten der Versuchung Harmonie zu erzeugen. Ist uns dies bewusst? Und die Fastenzeit ist dieser Weg. Wir alle müssen während der Fastenzeit Raum schaffen in unserem Herzen, damit Jesus mit der Kraft seines Geistes – desselben Geistes, der ihn in die Wüste geführt hat – unser Herz wieder in Einklang bringt. Aber nicht, wie einige es gern hätten, nämlich in Übereinstimmung mit einigen wenigen Gebeten und plumpen Vertraulichkeiten. Sondern mit der Mission, mit dem apostolischen Einsatz, mit dem täglichen Gebet, mit der Arbeit, der Anstrengung, dem Zeugnis. Wir sollen Raum schaffen für Jesus, weil die Zeit drängt, wie uns das Evangelium sagt. Wir leben bereits in der Endzeit, schon seit 2000 Jahren, in jener Zeit, die Jesus eingeleitet hat – genau der richtigen Zeit für diesen Prozess, der alles wieder harmonisch werden lässt.

Die Zeit drängt. Wir haben nicht das Recht, uns die Seele zu streicheln. Uns in unser stilles Kämmerlein, in das Klein-Klein unseres Lebens zurückzuziehen. Wir haben kein Recht, uns ruhig zu verhalten und nur uns selbst zu lieben. Wie toll ich doch bin! Nein, dazu haben wir kein Recht. Wir müssen hinausgehen und erzählen, dass es vor 2000 Jahren einen Mann gegeben hat, der das irdische Paradies wiederherstellen wollte und genau dazu in die Welt gekommen ist. Um die Dinge wieder in Einklang zu bringen. Wir müssen es »Doña Rosa«1 erzählen, die gerade auf dem Balkon steht. Wir müssen es den Kindern erzählen. Wir müssen es denen erzählen, die keine Träume mehr haben, und jenen Menschen, denen alles gleichgültig, für die alles Tangomusik,2 alles »Cambalache«3 ist. Wir müssen es der koketten Dicken erzählen, die ewiges Leben mit ewiger Jugend verwechselt und sich die Falten straffen lässt. Wir müssen es den jungen Leuten erzählen, denen man ansieht, dass wir heute alle »in einen Topf« geworfen werden sollen – wie der dort auf dem Balkon. Fast meint man ihn singen zu hören: »Nur zu, mach, was du willst, ist doch eh alles egal.«4

Wir müssen hinausgehen und mit diesen Leuten in der Stadt sprechen, die wir auf den Balkonen sehen. Wir müssen unseren geschützten Bereich verlassen und ihnen sagen, dass Jesus lebt, für ihn, für sie, und wir müssen es ihnen voller Freude sagen … auch wenn es einem vielleicht manchmal ein bisschen verrückt vorkommt. Die Botschaft des Evangeliums ist eine Torheit, sagt der heilige Paulus. Unser Leben wird zu kurz sein für diese Aufgabe: allen zu verkündigen, dass Jesus das Leben wiederherstellt. Wir müssen hinausgehen und Hoffnung säen, wir müssen hinaus auf die Straße. Wir müssen hinaus und nach den Leuten suchen.

Wie viele alte Menschen haben – ähnlich wie diese Doña Rosa – ihr Leben satt, haben oft nicht einmal genug Geld, um Medikamente zu kaufen. Wie vielen Kindern werden Ideen in den Kopf gesetzt, die wir als vermeintlich neue Erkenntnisse begeistert aufgreifen – dabei hat man sie vor zehn Jahren in Europa und den Vereinigten Staaten auf den Müll geworfen und präsentiert sie uns jetzt als großen pädagogischen Fortschritt.

Wie viele Jugendliche sehen keinen Sinn in ihrem Leben und betäuben sich mit Drogen und mit Lärm, weil niemand ihnen erzählt hat, dass da etwas Großes ist. Wie viele Menschen sieht man auch in unserer Stadt am Tresen sitzen, weil sie den Schnaps brauchen, um ihre Sehnsucht hinunterzuspülen und zu vergessen. Wie viele gute, aber eitle Menschen leben vom Schein und laufen Gefahr, überheblich und stolz zu werden.

Und da sollen wir zuhause bleiben? Uns in unsere Gemeinde zurückziehen? Uns auf dem Friedhofsgelände verschanzen, in der Schule oder in der Pfarrkirche? Wie sehnsüchtig warten alle diese Leute auf uns! Die Leute in unserer Stadt! Einer Stadt, die religiöse Reserven, die kulturelle Reserven hat, einer kostbaren, wunderschönen Stadt, in der aber der Versucher sein Unwesen treibt. Wir können nicht für uns bleiben, wir dürfen uns nicht in der Pfarrei und in der Schule einschließen. Katechet, hinaus auf die Straße! Verkündige den Glauben, suche nach den Menschen, klopfe an die Türen. An die Türen der Herzen.

Sobald sie [die Jungfrau Maria] die Gute Nachricht gehört hatte, eilte sie hinaus, um einem anderen Menschen zu dienen. Eilen auch wir hinaus, um zu dienen: um den anderen die Gute Nachricht zu bringen, an die wir glauben. Das soll unsere Umkehr sein: die Gute Nachricht Christi gestern, heute und immer. Amen.

(Predigt an Katecheten, EAC, im März 2000)

Sich finden lassen, um Begegnung zu stiften


Jeden zweiten Samstag im März haben wir die Gelegenheit, einander auf dem EAC [Encuentro Arquidiocesano de Catequesis: »Katechese-Treffen des Erzbistums«] zu begegnen. Dort nehmen wir gemeinsam den Jahreszyklus der Katechese wieder auf und konzentrieren uns auf einen Leitgedanken, der uns im Lauf des Jahres begleiten soll. Es ist eine intensive Zeit des Austauschs, der Feier, der Gemeinschaft, die für mich – und ganz sicher auch für Sie – sehr wichtig ist.

Bald feiern wir das Fest des heiligen Pius X., des Patrons der Katecheten. Grund genug für mich, Ihnen – jedem Einzelnen von Ihnen! – diesen Brief zu schreiben. Ich möchte Ihnen jetzt, mitten in den Aktivitäten, da vielleicht schon die ersten Anzeichen von Müdigkeit zu spüren sind, als Vater und Bruder Mut zusprechen und Sie einladen, innezuhalten und mit mir gemeinsam über einen Aspekt der katechetischen Pastoral nachzudenken.

Ich tue dies in dem Bewusstsein, dass ich als Bischof berufen bin, der erste Katechet der Diözese zu sein … Doch vor allem möchte ich auf diesem Weg die Anonymität der Großstadt überwinden, welche der persönlichen Begegnung, die wir uns sicherlich alle wünschen, so oft im Wege steht. Außerdem ist dies vielleicht eine zusätzliche Möglichkeit, die gemeinsame Linie der katechetischen Pastoral in unserem Erzbistum noch einmal zu skizzieren und damit innerhalb der natürlichen und gesunden Vielfalt einer so großen und komplexen Stadt wie Buenos Aires eine gemeinsame Grundlage zu schaffen.

Ich möchte mich in diesem Brief weniger mit einem bestimmten Aspekt der katechetischen Praxis als vielmehr mit der Person des Katecheten selbst befassen.

Zahlreiche Dokumente erinnern uns daran, dass die gesamte christliche Gemeinschaft für die Katechese verantwortlich ist. Das ist nur natürlich, denn die Katechese ist ein wichtiger Teilbereich der Evangelisierung. Und Evangelisierung geht die ganze Kirche an; deshalb sind für diese vertiefende Einführung in das Mysterium der Person Christi »nicht bloß Katechisten und Priester … sondern die ganze Gemeinde der Gläubigen« (Ad gentes, 14) zuständig. Die Katechese würde ernstlich beschädigt, wollte man sie dem isolierten und solistischen Handeln der Katecheten überlassen. Dieses Bewusstsein werden wir uns immer wieder mühsam erarbeiten müssen. Der Weg zu einer ganzheitlichen Pastoral, den wir vor Jahren eingeschlagen haben, hat spürbar dazu beigetragen, dass die gesamte christliche Gemeinde sich nun stärker um die christliche Initiation, Bildung und Erziehung zur Glaubensreife bemüht. Was diese gemeinsame Verantwortung der christlichen Gemeinde für die Weitergabe des Glaubens betrifft, kann ich nicht umhin, an die Realität der Person des Katecheten zu erinnern.

Die Kirche betrachtet die Katechese als eine Form des Dienens, die im Lauf der Geschichte dafür gesorgt hat, dass die Kunde von Jesus von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Nicht ausschließlich, aber in besonderer Weise erkennt die Kirche in diesem Teil des Gottesvolkes die Kette von Zeugen wieder, von der...

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