Fallbuch zur Klinischen Psychologie und Psychotherapie

Fallbuch zur Klinischen Psychologie und Psychotherapie

 

 

 

von: Rolf-Dieter Stieglitz, Urs Baumann, Meinrad Perrez (Hrsg.)

Hogrefe AG, 2007

ISBN: 9783456943732

Sprache: Deutsch

335 Seiten, Download: 7593 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Fallbuch zur Klinischen Psychologie und Psychotherapie



2 Wahrnehmungsstörungen: Homonyme Hemianopsie (Josef Zihl und Karin Münzel) (S. 45-46)

Zusammenfassung

Eine 28-jährige Patientin mit der Diagnose einer homonymen Hemianopsie rechts (ICD-10: H54.4) wurde in einer stationären Therapie über einen Zeitraum von 14 Tagen in 17 Sitzungen mittels eines Trainings der visuellen Exploration und eines Lesetrainings behandelt (s. Lehrbuch Kap. 22).

1. Therapiebeginn

Unter den Wahrnehmungsstörungen nach erworbener Hirnschädigung spielen visuelle Funktionsstörungen mit einer Auftretenshäufigkeit von ca. 20 % eine besondere Rolle, da sie im Alltag eine wesentliche Behinderung darstellen und zusätzlich andere kognitive Funktionen und Leistungen (z.B. Gedächtnis, Motorik) sekundär beeinträchtigen können. Die häufigste visuelle Wahrnehmungsstörung ist der homonyme Gesichtsfeldverlust (ca. 70 %), wobei die homonyme Halbseitenblindheit (Hemianopsie) mit ca. 65 % an erster Stelle steht. Der Großteil (ca. 3/4) der betroffenen Patienten weist ein Restgesichtsfeld von weniger als 4 Sehwinkelgrad auf, was sich insbesondere auf den räumlichen Überblick und die Lesefähigkeit negativ auswirkt. Für die Behandlung von Patienten mit homonymen Gesichtsfeldverlusten stehen mittlerweile wissenschaftlich überprüfte, wirksame Interventionsverfahren zur Verfügung. Diese Verfahren sind im Wesentlichen auf den Erwerb kompensatorischer Strategien ausgerichtet, damit der verlorene Gesichtsfeldbereich effizient ersetzt werden kann. Dadurch können ein ausreichend schneller und vollständiger Überblick über die Umgebung und eine ausreichende Lesefähigkeit erreicht werden (Zihl, 2000). Am Beispiel einer Patientin mit homonymer Hemianopsie nach einem linksseitigen Hirninfarkt soll das diagnostische und therapeutische Vorgehen exemplarisch beschrieben werden.

1.1 Kennzeichnung der Patientin

Es handelt sich um eine 28-jährige verheiratete Frau (im Folgenden Frau T. genannt), die Mutter einer vierjährigen Tochter ist. Nach abgeschlossener Berufsausbildung arbeitete Frau T. als Kindergärtnerin und Erzieherin, die Berufstätigkeit setzte sie während der Schwangerschaft und der ersten zwei Jahre nach Geburt ihrer Tochter aus. Es bestanden keinerlei familiäre Vorbelastungen und keine Risikofaktoren für eine zerebrovaskuläre Erkrankung.

1.2 Beschreibung der Störung und Diagnose

Frau T. hatte im Oktober 2001 eine zerebrale Ischämie im Bereich der mittleren und hinteren Hirnarterien links mit daraus resultierender sensomotorischer Hemiparese rechts, Wernicke Aphasie und homonymer Hemianopsie rechts erlitten. Die Hirnschädigung wurde durch eine Kernspintomographie verifiziert. Zusätzlich entwickelte sich eine Temporallappenepilepsie, die mit einem Antiepileptikum behandelt wurde. Frau T. befand sich in den Monaten Oktober bis Dezember 2001 in einer neurologischen Rehabilitationsklinik. Während sich die Hemiparese und die Aphasie unter Behandlung gut zurückbildeten, blieb die Hemianopsie unverändert bestehen, obwohl die Patientin regelmäßig an ergotherapeutischen Übungen teilgenommen hatte. Nachdem es bereits während des Rehabilitationsaufenthaltes zu wiederholten Panikattacken gekommen war, wurde Frau T. im Januar 2002 für sieben Wochen in einer Psychosomatischen Klinik stationär behandelt. Die Panikattacken remittierten vollständig. Im Anschluss an eine neuroophthalmologische Untersuchung im Juli 2003 wurde Frau T. zur Behandlung der Folgen der Hemianopsie überwiesen. Die Erstuntersuchung fand im August 2003 statt.

Anamnese: Frau T. berichtet über eine nach wie vor bestehende Sehbehinderung im Alltag. In ungewohnter bzw. fremder Umgebung und auf belebten Plätzen sowie in Kaufhäusern übersehe sie häufig Gegenstände und Personen. In gewohnter Umgebung seien die Schwierigkeiten deutlich geringer. Das Lesen sei immer noch sehr anstrengend und langsam, sie schaffe es kaum, eine Seite eines Buches oder einer Zeitung in einem Stück zu lesen. Besondere Schwierigkeiten habe sie auch beim Lesen von längeren Zahlen, häufig übersehe sie die letzten zwei oder drei Ziffern. Störungen des Objekt- und Gesichtererkennens werden nicht berichtet. Konzentrationsfähigkeit (außer im Sehbereich), Gedächtnis und Denken seien im Vergleich zu früher nicht wesentlich verändert.

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