Krieg und Frieden - Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie

Krieg und Frieden - Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie

 

 

 

von: Gert Sommer, Albert Fuchs

Beltz PVU, 2004

ISBN: 9783621275361

Sprache: Deutsch

685 Seiten, Download: 26375 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Krieg und Frieden - Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie



14 Gerechtigkeit und Gerechtigkeitspsychologie (S. 182)

Jürgen Maes und Manfred Schmitt

Krieg und Frieden haben offensichtlich viel mit Gerechtigkeit zu tun. Ob in Predigt, pazifistischem Appell, politischem Pamphlet, pädagogischer Prioritätenliste oder päpstlicher Enzyklika: Gerechtigkeit und Frieden tauchen häufig als Wortpaar auf, und viele würden den Satz unterschreiben, dass das eine ohne das andere nicht möglich sei. Aber auch Kriege sind häufig damit gerechtfertigt worden, dass sie „gerecht" seien. In diesem Kapitel wird Gerechtigkeit aus dem Blickwinkel empirisch-sozialwissenschaftlicher Forschung betrachtet. Wir stellen ausgewählte Konzepte und Befunde der psychologischen Gerechtigkeitsforschung vor, die illustrieren, welche Bedeutung Gerechtigkeit für das Zusammenleben hat, welche unterschiedlichen Vorstellungen Menschen über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit haben und welche Folgen dies haben kann.

1 Gerechtigkeit als Motiv

Gerechtigkeit ist ein wesentliches Motiv menschlichen Handelns. Diese Behauptung hat Alltagsplausibilität. Heftige Gefühle von Ärger und Empörung, die Menschen nach erlittener oder empfundener Ungerechtigkeit zeigen (Montada, 1992), sprechen ebenso dafür wie vielfältige Formen von Rachehandlungen und Rachephantasien, die Menschen sehr langfristig umtreiben können, weil es sie drängt, erlittenes Unrecht auszugleichen und zu bestrafen (Maes, 1994, Miller, 2001). Auch politische Parteien bauen intuitiv auf das menschliche Gerechtigkeitsbedürfnis, wenn sie in Wahlprogrammen Ungerechtigkeit beklagen und mehr Gerechtigkeit versprechen. Politische Bewegungen sind vom Ruf nach Gerechtigkeit getragen, Revolutionen und Umstürze immer das Resultat gravierenden Ungerechtigkeitserlebens.

Eigeninteresse als Motiv

In den Sozialwissenschaften dagegen war es lange Zeit nicht üblich, Gerechtigkeit als ein fundamentales Motiv zu betrachten. Stattdessen dominierten Ansätze, die aus den Wirtschaftswissenschaften entlehnt worden waren und menschliches Verhalten nach dem Vorbild des „homo oeconomicus" (Homans, 1961) modellierten. Diese Ansätze gehen davon aus, dass Eigeninteresse das zentrale menschliche Motiv sei. In komplexen Entscheidungssituationen, so sagen die Rationalwahl-Theorien („rational choice") voraus, werden Menschen immer diejenige Handlungsalternative wählen, die ihnen den größten Nutzen bringt. Rationalwahl-Erklärungen sind in der Vergangenheit auf eine immer größere Palette von Verhaltensbereichen angewendet worden, von politischem Verhalten, Kriminalität und Gesundheitsverhalten bis hin zu Familienentwicklung und Arbeitsmigration (Kals, 1999).

Erklärungsschwäche. Dabei ist völlig offen, was als Eigeninteresse anzusehen ist, das Spektrum umfasst u.a. die Steigerung und Bewahrung von Einkommen, Vermögen, Macht, Rechten, sozialem Status, Privilegien, sozialer Sicherheit, Selbstachtung, sozialer Identität (Montada, 1998). Genau in dieser Breite liegt aber auch die Schwierigkeit solcher Modelle: Nehmen wir als Beispiel die Person, die mit dem Spendenaufruf einer karitativen Aktion konfrontiert wird und sich weigert zu spenden. Ein klares Ergebnis für „Rationalwahl", denn die Person schafft es so, ihr Vermögen zu sichern und Verluste zu minimieren.

Ist die Person aber bereit, sogar große Summen für die karitative Aktion zu spenden, kann auch dies mühelos als Rationalwahl interpretiert werden. Die Person will demonstrieren, dass sie ein großzügiger und sozial eingestellter Mensch ist und schafft es mit der Spende, ein positives Selbstbild aufzubauen oder aufrechtzuerhalten. Mit „rationaler Wahl" lässt sich im Prinzip jedes Verhalten erklären, eine Theorie aber, die – zudem post hoc – alles erklärt, erklärt letztendlich überhaupt nichts mehr.

Gerechtigkeit als Ziel. Die Akzeptanz von Eigeninteresse als wesentlichem Motiv war so groß, dass selbst frühe Gerechtigkeitstheorien Gerechtigkeit nicht als Ziel an sich, sondern nur als geeignetes Mittel zur Erreichung anderer Ziele betrachteten.

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