Deutsche Philosophie im 20. Jahrhundert

Deutsche Philosophie im 20. Jahrhundert

 

 

 

von: Werner Schneiders

C.H.Beck, 1998

ISBN: 9783406420597

Sprache: Deutsch

217 Seiten, Download: 706 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Deutsche Philosophie im 20. Jahrhundert



IV. Utopisches Denken (S. 119-120)

Gesellschaftsorientierte Philosophie

Nahezu parallel zur Existenzphilosophie entwickelte sich nach dem Ersten Weltkrieg eine stark an Gesellschaftsproblemen orientierte Denkrichtung, die dann in den sechziger Jahren zu dominieren begann. In diesem Philosophieren wurde die Möglichkeit eines wahrhaft menschlichen Lebens an die Bedingung der Existenz einer richtigen Gesellschaftsordnung geknüpft, wobei die moderne Gesellschaft als Haupthindernis eines wahrhaft menschlichen Lebens galt, weil sie im wesentlichen nur noch Entfremdung produziere. Die wichtigsten Vertreter dieser betont sozial gesinnten Philosophie entstammten dem wohlhabenden und gebildeten jüdischen Bürgertum.

Sie neigten, außer zu einer allgemeinen Kulturkritik, zu einem menschheitsorientierten Universalismus oder weltgeschichtlich begründeten Internationalismus und (mit Einschränkungen) auch zu einer politischen Hinwendung zum Proletariat. Damit war ein gewisser Rückgang auf Marx und dessen 1932 edierte Frühschriften nahezu unvermeidlich, wodurch sich jedoch alsbald zwei Probleme ergaben, die von vornherein auch eine gewisse Distanz nötig machten: erstens die Auseinandersetzung mit der ,marxistischen‘ Vorstellung, daß mit Marx die Verwirklichung und damit das Ende der Philosophie begonnen habe, und zweitens die Auseinandersetzung mit der Entwicklung des Marxismus zum Stalinismus, dessen Parallelen zum bekämpften Faschismus auf die Dauer nicht zu übersehen waren. Daraus ergab sich ein Diskussionszusammenhang, der durch die Herrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland und die daraus resultierende Katastrophe des Zweiten Weltkrieges seine aktuelle Schärfe erhielt. Gleichzeitig bewirkten die politischen Ereignisse, die nach 1933 zur Emigration der ,marxistischen‘ Philosophen führten, nicht nur einen großen Einschnitt in deren Leben, sondern auch eine Zäsur in ihrer Arbeit und Wirkung.

Ihre Hauptwerke konnten, obwohl zum Teil schon im Krieg geschrieben, erst nach dem Krieg in Deutschland erscheinen und vor allem in Westdeutschland ihren zeitweise überwältigenden Einfluß entfalten. Jetzt mußten die deutschen Neomarxisten sich allerdings auch mit dem politisch etablierten Kommunismus im Osten auseinandersetzen. Die verschiedenen Versuche zur ,Vertiefung‘ der Marxschen Lehre durch ,Ergänzung‘ oder ,Fortentwicklung‘ zerfallen deutlich in zwei einander ausgesprochen fremde Richtungen: eine eher metaphysische, fast messianisch-theologische Richtung und eine betont kritische, wenigstens ursprünglich eher soziologische Richtung. Ihre Vertreter blieben trotz gewisser Gemeinsamkeiten deutlich auf Abstand, sie entwickelten und verkörperten zugleich zwei deutlich verschiedene Auffassungen von Philosophie.

1. Bloch: Hermeneutik der Sehnsucht

Ernst Bloch (1885–1977) wurde als Sohn eines jüdischen, aber assimilierten Eisenbahnverwalters in Ludwigshafen geboren, studierte Philosophie, Musik und Physik und lebte nach seiner Promotion zunächst als freier Schriftsteller. Er verachtete die Universitätsphilosophie und tendierte zu einer bildhaft-expressionistischen, ekstatisch-visionären Literatur – so fand er schon früh zu einer mehr messianischen als marxistischen Philosophie der Utopie (Geist der Utopie, 1918). 1933 emigrierte er über die Schweiz nach Amerika, kehrte aber 1949 zurück und ging nach Leipzig, weil ihm die DDR als die „neue Welt“ erschien. Er feierte Lenin und Stalin als Vorkämpfer für die Menschenrechte („Ubi Lenin, ibi Jerusalem“) und kritisierte die Bundesrepublik als faschistisches Land; aufgrund dieser Überzeugungen trat er auch für eine Zensur der Philosophie in Ostdeutschland ein.

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