Persönlichkeitsstörungen verstehen. Zum Umgang mit schwierigen Klienten
von: Rainer Sachse
Psychiatrie-Verlag, 2010
ISBN: 9783884147108
Sprache: Deutsch
121 Seiten, Download: 2403 KB
Format: PDF, auch als Online-Lesen
Charakteristika von Klienten mit Persönlichkeitsstörungen (S. 37-38)
Ich-Syntonie: Wie Klienten ihre Erfahrungen verinnerlichen
Persönlichkeitsstörungen sind »ich-synton«. Ich-synton bedeutet, dass Personen die Lösungen, die sie für die ungünstigen Interaktionssituationen in ihrer Biografie gefunden haben, also die Schemata und Strategien, als Teil ihrer Person ansehen, als »zu-sich-gehörig« und nicht als »ich-fremd« (ich-dyston). Das ist auch nachvollziehbar: Weil die Schemata Schlussfolgerungen aus Erfahrungen sind, werden sie von den Personen als zutreffend, richtig, korrekt wahrgenommen.
Hat eine Person aus den Erfahrungen mit wichtigen Interaktionspartnern z. B. den Schluss gezogen »Ich bin nicht wichtig«, dann erscheint ihr diese Schlussfolgerung zwingend, plausibel und »wahr«. Sie wird nicht im Mindesten in Zweifel gezogen (vgl. Fiedler 2007). Die (manipulativen) Strategien, die der Klient (gezwungenermaßen) gelernt hat, haben sich »organisch« aus der Situation abgeleitet, sind der Person plausibel erschienen und werden daher ebenfalls als geradezu »zwingend« notwendig erachtet. Möglicherweise waren sie das in der Biografie auch tatsächlich. Diese Person sieht ihre Strategien als eine natürliche Reaktion an. Sie erkennt die Strategien auch nicht als manipulativ. Die Strategie ist notwendig – denn ohne sie geht es für diese Person nicht.
Die Aspekte der Persönlichkeitsstörung selbst erzeugen deshalb aber bei dieser Person auch keinerlei »Störgefühle«. Klienten mit Persönlichkeitsstörungen haben keinen Anlass, die Schemata oder Strategien als nicht zu sich gehörig zu empfinden, anders als z. B. Klienten, die Ängste oder Zwänge aufweisen. Diese empfinden die Ängste als störend, behindernd und die Zwänge als fremd, unverständlich, nicht nachvollziehbar.
Klienten mit Persönlichkeitsstörungen empfinden aber sowohl ihre Schemata als auch ihre Strategien als in hohem Maße nachvollziehbar. Selbst wenn sie die Schemata als negativ wahrnehmen, sehen sie diese doch als gültig und zutreffend an. Ein Schema von »Ich bin nicht wichtig« ist keineswegs angenehm und fühlt sich auch nicht gut an, aber es ist, nach Ansicht der Person, zutreffend. »Nicht wichtig« zu sein ist ein Teil der eigenen Identität.