Indianer weinen nicht. Über die Unterdrückung der Tränen in unserer Kultur

Indianer weinen nicht. Über die Unterdrückung der Tränen in unserer Kultur

 

 

 

von: Ulrich Kropiunigg

Kösel-Verlag, 2003

ISBN: 9783466306138

Sprache: Deutsch

241 Seiten, Download: 1272 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Indianer weinen nicht. Über die Unterdrückung der Tränen in unserer Kultur



Weinen stiftet Verwirrung. Wer weint, löst in seiner Umwelt höchst unterschiedliche Reaktionen aus: Manche reagieren mit Peinlichkeit, andere versuchen, eigene Tränen zu unterdrücken und ignorieren fremde. Was machen also Tränen mit uns, warum fühlen wir uns häufig so unwohl?

Diesen Fragen geht Ulrich Kropiunigg in seinem spannend zu lesenden Sachbuch nach. Er will das Wissen um Tränen erweitern, quasi hinter die Tränenschleier schauen, damit wir die verborgenen Qualitäten kennen lernen und nutzen können. Eine Zeit lang dürfen Kinder noch weinen, doch mit steigendem Alter verliert das Weinen offenbar seine Berechtigung: Weinen wird vor allem bei Männern immer mehr tabuisiert. In früheren Epochen war öffentliches Weinen jedoch eine Selbstverständlichkeit – historische und kulturgeschichtliche Beispiele belegen dies.

Rezension zu diesem Titel:

Weinen stiftet Verwirrung. Wer weint, löst bei seinen Mitmenschen unterschiedliche Reaktionen aus: Sind die einen peinlich berührt, wollen die anderen eigene Tränen unterdrücken oder gehen über fremde einfach hinweg. Doch wie kommt es zum Weinen, und warum fühlen sich manche Menschen so unbehaglich damit?Mit diesen Fragen beschäftigt sich Dr. Ulrich Kropiunigg, Professor für Medizinische Psychologie an der Universität Wien, in seinem Buch "Indianer weinen nicht".

Tränen sind nicht gleich Tränen. Was aus unserem Auge quillt, hat vielerlei Ursachen: Da ist das basale Weinen, bei dem die Vorderseite des Augapfels hauptsächlich aus physiologischen und optischen Gründen befeuchtet wird. Noch ein Weinen dient Schutz und Pflege des Auges - das Reflexweinen: Trifft ein Fremdkörper auf das äußere Auge, wird er durch Tränenfluss ausgewaschen. "Beide Formen sind bei Mensch und Tier verbreitet, emotionales Weinen hingegen kommt nur beim Menschen vor und setzt die Entwicklung höherer Gehirnstrukturen voraus", betont Medizin-Psychologe Kropiunigg.

Dabei wirkt beim gefühlsmäßigen Weinen eine starke Emotion als Stressor auf das sympathische Nervensystem und versetzt die Person in Aufregung, so der Autor. Auf dem Höhepunkt erfolgt ein Umschwung durch die in den Tränendrüsen mündenden parasympathischen Nerven - nun fließen die Tränen. Im öffentlichen Raum werden allerdings solche Gefühlsausbrüche meist nur Kindern zugestanden und auch das nur, solange sie noch klein sind. Mit steigendem Alter wird das Weinen zunehmend kritisch beäugt und am Rand von Scham und Schwäche angesiedelt - für Jungs noch mehr als für Mädchen. So ist später vor allem für Männer Weinen ein Tabu und verträgt sich nicht mit dem modernen Selbstbild, Wut oder Betrübnis zu beherrschen, bedauert Kropiunigg. Weinten noch im 17. Jahrhundert kriegserprobte Adlige vor allen Leuten, gilt beim Weinen im Kino für viele Zuschauer heute: Die Augen abwischen, bevor das Licht angeht. Ausnahmen gestattet sind nur bei tragischen Ereignissen. Beispiel 11. September: Weinen war jedermann "erlaubt", galt als richtiger Ausdruck einer von allen erlebten Tragödie - die Frage nach dem Grund und der Echtheit der Tränen stellte sich nicht. In anderen Fällen schlägt echten wie falschen Tränen Vorsicht entgegen, weil ihnen ein Mitleidseffekt unterstellt wird: Von ihnen geht ein Appell aus, dem sich die Zeugen des Weines kaum entziehen können. Das empfinden die einen als Hilferuf nach Trost und Halt, die anderen freilich als Zumutung.

Doch mit solchen Vorbehalten bringt sich der moderne Mensch auch um die entlastende Wirkung des Weinens, wie Kropiunigg bedauert. Weinen könne den Menschen in einer schwierigen Lage wie ein Symptom begleiten, von aufgestauten Gefühlen entlasten, selbst wenn es nicht unmittelbar zur Lösung beitrage. Dennoch ermutigt der Autor dazu, Weinen als "natürlichen Vorgang" zu sehen und die "verborgenen Qualitäten des Weinens" zu nutzen. Damit ist nicht ein Verharren im Weinen gemeint, sondern Tränen, die der Psyche helfen, verschüttete oder nicht erträgliche Wirklichkeiten in eine neue Erkenntnis überzuführen. Erst das Weinen stelle jene emotionalen Verbindungen wieder her, die unter der Rationalität der Vernunft und des Denkens verdrängt würden. "Danach weinen nicht die Dummen, sondern diejenigen, die es verstehen, sich Tränen zunutze zu machen", lautet das Fazit von Kropiuniggs Plädoyer. Zugleich verknüpft er damit einen Aufruf an die Wissenschaft, Tränen als entspannendes Ventil zu erforschen und dieses Ventil in der medizinischen wie in der psychologischen Praxis zu nutzen.
(Medical Tribune, Wiesbaden)  

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