Werkzeuge des Philosophierens - Reclams Universal-Bibliothek

Werkzeuge des Philosophierens - Reclams Universal-Bibliothek

 

 

 

von: Jonas Pfister

Reclam Verlag, 2013

ISBN: 9783159603773

Sprache: Deutsch

320 Seiten, Download: 1527 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Werkzeuge des Philosophierens - Reclams Universal-Bibliothek



2. Analysieren


Das Analysieren stellt ähnlich wie das Argumentieren eines der Grundwerkzeuge des Philosophierens dar. Während man relativ leicht erklären kann, was Argumentieren ist, erweist sich die allgemeine Bestimmung dessen, was Analysieren ist, als eine größere philosophische Herausforderung. Erstens gibt es verschiedene Arten von Analysen, zweitens gibt es unter den Philosophen verschiedene Auffassungen davon, worin diese genau bestehen, und drittens sind sich die Philosophen uneinig darüber, welchen Status und Nutzen diese Analysen am Ende haben. Gerade diese Vielfalt von Analysen und Auffassungen zeigt jedoch, wie wichtig das Analysieren für die Philosophie ist. Im folgenden soll auf diese philosophischen Kontroversen nur am Rande eingegangen und hauptsächlich in das Handwerk eingeführt werden.

2.1. Begriffe differenzieren und definieren


Betrachten wir einige philosophische Fragen: Was ist Gerechtigkeit? Was können wir wissen? Was sollen wir tun? Was ist die Beziehung von Geist und Körper? Haben wir einen freien Willen? Solche Fragen kann man zumindest zum Teil dadurch beantworten, dass man die in den Fragen vorkommenden Begriffe analysiert. »Analysieren« bedeutet, etwas in seine Bestandteile zu zergliedern oder auf seine Grundlagen zurückzuführen. Mit »Begriff« kann im Alltag ein Wort gemeint sein, zum Beispiel das Wort »Tiger«, oder eine Vorstellung, etwa dann, wenn man behauptet, dass man begreift oder einen Begriff davon hat, was ein Tiger ist. Übrigens: Spricht man über Wörter und allgemein über sprachliche Ausdrücke, so setzt man diese in Anführungszeichen, um Missverständnisse zu vermeiden. »Tiger« besteht aus fünf Buchstaben und hat einen Inhalt, das heißt eine Bedeutung, aber Tiger nicht. In der Philosophie meint man mit »Begriff« nur eine spezielle Art von Wörtern sowie die Bedeutung solcher Wörter oder auch die Bestandteile eines Gedankens. Dies wird im nächsten Abschnitt genauer erläutert.

Wie geht man nun vor, wenn man einen Begriff analysieren will? Man kann sich (1) überlegen, ob man zwischen verschiedenen Begriffen differenzieren (unterscheiden) muss. Betrachten wir den Begriff »Gerechtigkeit«. Ist damit eine Eigenschaft von Urteilen, von Personen oder von Gesellschaften gemeint? Geht es um das Sanktionieren von Verhalten oder um die Verteilung von Gütern? Je nach Antwort handelt es sich um verschiedene Begriffe. Oder betrachten wir den Begriff »Liebe«. Ist damit ein Gefühl, eine Einstellung oder die Eigenschaft einer Beziehung gemeint? Ist damit Nächstenliebe, die Freundschaft, die Fürsorge oder die erotische Liebe gemeint? Auch in diesem Fall handelt es sich jeweils um verschiedene Begriffe. Bevor man also einen Begriff analysiert, muss man prüfen, ob man nicht zwischen verschiedenen Begriffen differenzieren muss.

Man kann sich (2) überlegen, wie man den Begriff definieren, das heißt, wie man die Bedeutung des Begriffs mit Worten erklären kann. Zum Beispiel lässt sich die Bedeutung von »Tiger« damit erklären, dass man sagt: »Ein Tiger ist eine Großkatze mit einem dunkelgestreiften Fell.« In der Praxis kann es zielführender sein, die Bedeutung dadurch zu erklären, dass man auf einen Gegenstand zeigt. Man kann erklären, was ein Tiger ist, indem man auf ein Bild zeigt und sagt: »Schau! Dies ist ein Tiger.« Bei Begriffen für konkrete Gegenstände, die klar begrenzt sind, ist dies je nach Situation unproblematisch. Will man jedoch mit einer solchen hinweisenden Erklärung auf Teile oder Aspekte von konkreten Gegenständen hinweisen (zum Beispiel auf das Tigerfell) oder auf Gegenstände, die nicht klar begrenzt sind (zum Beispiel auf Nebel), so kann es schwieriger werden. Erklären wir die Bedeutung von »Tiger« damit, dass wir auf ein Bild zeigen und sagen: »Dies ist ein Tiger«, kann es sein, dass nicht klar wird, ob nun das Tigerfell, das Lebewesen oder eine bestimmte Art von Tiger gemeint ist. Dies ist ein praktisches Problem. Es ist aber auch ein theoretisches Problem, weil die hinweisende Erklärung allein nicht hinreichend ist, um den Begriff zu bestimmen. Noch schwieriger wird es, wenn abstrakte Begriffe ins Spiel kommen. Worauf könnte man zeigen, wenn man erklären will, was Wahrheit, Gerechtigkeit oder Freiheit ist? Spätestens bei abstrakten Begriffen stößt die hinweisende Definition auch praktisch an ihre Grenzen.

Eine Variante der hinweisenden Erklärung ist die Erklärung mit Beispielen. Wir können etwa den Begriff »Möbelstück« dadurch erklären, dass wir sagen: »Zu den Möbelstücken zählen Tische, Stühle und Kommoden.« Eine solche Erklärung mit Beispielen kann in der Praxis erfolgreich sein, falls man bereits die Ausdrücke für die einzelnen Beispiele kennt. Im Unterschied zur hinweisenden Erklärung kann man auf diese Weise auch Begriffe für abstrakte Gegenstände erklären. Wir können sagen: »Zu den geraden Zahlen gehören die Zahlen 2, 4, 6 und 8.« Damit ist jedoch nicht gesagt, welche anderen Gegenstände auch noch zu der Gruppe gehören. Letztlich kann also auch die Erklärung mit Beispielen unbestimmt sein. Sagt jemand, »Mois sind September, Oktober und November«, so stellt sich die Frage: Sind hier mit »Mois« (dem französischen Ausdruck für »Monate«) tatsächlich Monate gemeint oder der Herbst? Vor allem ist mit einer Erklärung mit Beispielen nicht erklärt, was die Bedeutung des Begriffs ist.

Um die Bedeutung eines Begriffs zu bestimmen, müssen wir auf andere Begriffe zurückgreifen. Greifen wir aber auf andere Begriffe zurück, stellt sich erneut die Frage, was die Bedeutung dieser Begriffe nun sei. Um diese Begriffe zu definieren, muss man wieder auf andere Begriffe zurückgreifen und so weiter. Es scheint so, als käme eine Definition zu keinem Ende. Oder als würde sie sich wie in einem Kreis drehen, da der Begriff, der definiert werden soll, in der Definition wieder auftaucht. Es muss also Begriffe geben, die nicht weiter definiert werden. In der Praxis können wir letztlich auf Begriffe zurückgreifen, deren Bedeutung wir als bekannt voraussetzen dürfen oder deren Bedeutung wir hinweisend oder mit Beispielen erklären.

Manchmal wird behauptet, es sei für das Verständnis eines Begriffs notwendig, dass man ihn definiert. Das stimmt aber nicht. Wir können verstehen, was in einer bestimmten Situation mit einer Äußerung gemeint ist, ohne jeden darin vorkommenden Begriff definieren zu können. Zum Beispiel können wir die Äußerung: »Dort steht eine Linde« verstehen, ohne in der Lage zu sein, den Begriff »Linde« zu definieren. Wir verstehen, dass dort ein Baum von einer bestimmten Art steht, und wir sind in der Lage, unter Umständen diese Art von anderen Arten zu unterscheiden, ohne jedoch sagen zu können, worin genau der Unterschied besteht. Man muss also das Verstehen eines Begriffs unterscheiden von der Kenntnis einer Definition. Auch eine unvollständige Definition kann für eine Erklärung erfolgreich sein.

Kann man die Frage, was die Bedeutung eines Begriffes ausmacht, nicht einfach damit beantworten, dass man diesen in einem geeigneten Lexikon nachschlägt? So einfach ist es leider nicht. Es gibt (1) nicht die eine und »richtige« Bedeutung des Begriffs. Das, was ein Wörterbuch liefern kann, ist die Angabe dessen, wie der Begriff von gewissen Leuten in gewissen Situationen verwendet wird. Ob dies aber auch die Bedeutung ist, die in der Beantwortung der Frage verwendet werden soll, ist nicht gesagt. Die meisten Begriffe unserer Sprache haben (2) mehrere Bedeutungen. Diese findet man unter Umständen zwar in einem Lexikon, aber man findet dort nicht verzeichnet, welche dieser Bedeutungen für die Beantwortung der Frage nun genau herangezogen werden soll. Die Erläuterungen in Wörterbüchern sind (3) weder vollständig noch für philosophische Zwecke hinreichend präzise. Präzision ist ein relativer Begriff, etwas ist also mehr oder weniger präzise nur in Bezug auf das Erreichen eines bestimmten Zwecks. Konversationslexika dienen nicht dem Zweck, philosophische Fragen zu beantworten, sondern sie sollen die Bedeutung des Begriffs so erklären, dass man ihn versteht und im alltäglichen Gebrauch korrekt verwenden kann. Es ist also meist so, dass die Definition, die man in solchen Lexika findet, für die Beantwortung einer philosophischen Frage nicht hinreichend präzise ist. Konsultiert man stattdessen ein philosophisches Fachlexikon, so wird man feststellen, dass es für die meisten philosophisch interessanten Begriffe eine Vielzahl von Bedeutungen gibt, die sich je nach der Zeit ihrer Entstehung bzw. ihrem Autor zum Teil stark voneinander unterscheiden. Also findet man sich wieder auf die erste Schwierigkeit zurückgeworfen, welche der Bedeutungen man wählen soll. Aus diesen Gründen lassen sich philosophische Fragen nicht einfach dadurch beantworten, dass man in einem Lexikon nachschlägt.

Wie kann man philosophische Fragen aber dann beantworten? Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten, die je unterschiedlichen Definitionszwecken entsprechen. Man kann (1) versuchen, die Bedeutung des Begriffs durch eine Analyse, das heißt durch eine Zerlegung in einfachere Begriffe, möglichst genau zu beschreiben. Und man kann (2) einen neuen Begriff einführen und dessen Bedeutung festlegen. Man kann das erste eine »beschreibende Definition« und das zweite eine »festlegende Definition« (engl. stipulative definition) nennen.

Mit einer beschreibenden Definition gibt man die Bedeutung an, die der Begriff in einer bestimmten Sprache oder in einer bestimmten Situation hat. Trifft die Beschreibung genau auf die Bedeutung zu, so kann man sagen, die Definition sei »zutreffend« (und...

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