E-Learning - Eine multiperspektivische Standortbestimmung

E-Learning - Eine multiperspektivische Standortbestimmung

 

 

 

von: Damian Miller (Hrsg.)

Haupt Verlag, 2005

ISBN: 9783258400129

Sprache: Deutsch

368 Seiten, Download: 9209 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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E-Learning - Eine multiperspektivische Standortbestimmung



Thomas Buchheim
Lernen mit dem kleinen «e» (S. 37-38)

Von Nutzen und Nachteil des E-Learning zur Beförderung unserer Bildungsbemühungen

Es sind nur bescheidene eigene Erfahrungen, die mich keineswegs als Experte, sondern lediglich als gewöhnlicher Bildungsklient das Wort zu diesem Thema ergreifen lassen: auf der einen Seite die Erfahrung als Objekt von jahrelangen Bildungsanstrengungen in Schule und Universität; andererseits als ihr ausübendes Subjekt in der Rolle des Hochschullehrers und nicht zuletzt als Vater zweier Kinder, die den Gang durch die Institutionen der Bildung noch nicht zu Ende durchschritten haben. Doch lässt gerade Letzteres mein Interesse wach sein, und als Fachphilosoph fühle ich mich einigermaßen verpflichtet, über das ausdrücklich zu reflektieren, woran ich ein so unmittelbares Interesse nehmen muss. Vielleicht darf man ja hier auf entsprechende Weise anwenden, was schon Aristoteles über das Recht eben des «Gebildeten » sagt, dass er nämlich als Nichtfachmann doch ein Urteil über den Wert und die Erfolge der Wissenschaften zu fällen hat: «Es scheint gegenüber jeder Wissenschaft und Methode, gleichviel ob sie geringer oder höher geschätzt ist, zwei Arten zu geben, sich zu verhalten: Die eine verdient den Namen einer wissenschaftlichen Erkenntnis des Gegenstands, die andere wäre etwa eine Form von Bildung (paideia). Denn es ist Kennzeichen des Gebildeten, dass er imstande ist, mit Treffsicherheit zu beurteilen, ob der Vortragende seine Sache richtig oder falsch anpackt. So vereinigt er sozusagen über alles die Urteilsfähigkeit in nur einer Person» (De partibus animalium I 1).

Damit ist zugleich angedeutet, was einen gebildeten Menschen am Ende auszeichnet: Die allgemeine Urteilsfähigkeit, die erfahren genug ist, das Berücksichtigenswerte bei jeder Sache im Auge zu haben, und den Sensus für das Wichtige und Unwichtige daran besitzt, kurz: Gebildet ist, der zu schätzen weiß. Bildung erschöpft sich nicht im Gelernten, obwohl gewiss Lernen bildet. Doch ist das «Umgehen» mit dem Gelernten: die belehrte Wahrnehmungsfähigkeit, treffende Beurteilung des Wahrgenommenen und seine pas sende Einbeziehung in die Situationen erst das, was der Lehre Eingang ins Leben eines Menschen verschafft.

Die offenkundigste Gefahr bei aller Bildung: Eine Diagnose Platons

Während das Wort «Erziehung» mehr auf die von außen erfolgende Tätigkeit der Erziehers berechnet ist als auf den Zögling und das Lernen mehr auf den präsentierten Stoff und den Erwerb seiner Kenntnis, zielt das Wort «Bildung » eigenartig auf das Sein und Werden dessen, der sie durchmacht. Nicht in erster Linie, was die Gebildeten wissen und können, sondern, wie sie dazu stehen und damit umgehen, steht in Rede und steht folglich bei denen, die es noch nicht sind, auf dem Spiel. Bildung ist ein Stück von mir, mehr noch: bin ich selbst als Hineingewordener; nicht bloß der in gewisser Distanz gewusste und beherrschte Gehalt im Fokus des jeweiligen Bewusstseins. Die Bildung ist Art und Weise des Lebens mit und aus dem Gelernten. Allzu oft wird das vernachlässigt, wenn man glaubt, durch eine Reform der Rezepturen und Darreichungsformen von Lernangeboten die Bildung zu verbessern oder wenigstens ihre «Qualität zu sichern». Wer die person- und menschentypische Aufnahmeweise der Angebote aus dem Blick verliert, sorgt nicht einmal für eine Hälfte der Bildung und des ihr zugehörigen Lernens.

Am witzigsten hat dies, wie in so vielen Fällen, schon Platon in Worte gefasst, mit warnendem Seitenblick auf die Bildungsprotagonisten seiner Zeit, nämlich die Sophisten. So im Dialog Protagoras (314a): «Speisen und Getränke, die wir beim Händler kaufen, [der sie uns ja alle lobt und für sie wirbt], kann man in anderen Gefäßen heimtragen; und, bevor man sie genießt, hinstellen und sich beraten lassen, was man zu sich nehmen solle, wie viel und wann. So dass hier die Gefahr des Kaufes nicht groß ist. Hingegen die Bildungsgüter kann man nicht in anderen Gefäßen mitnehmen, sondern man muss den Preis entrichten und den Artikel in eigener Seele befassen und bekehrt von dannen gehen, sei es als Geschädigter oder als Beförderter» – diese Frage wird erst später und vielleicht durch andere Leute beantwortet. Wer daher verantwortlich Bildung gestalten möchte, darf nicht die Aufnahme und Assimilationsweise der Güter aus seinem Augenmerk entlassen, sondern gerade sie muss «betreut» werden, wo Bildung und Lernen systematischen Charakter haben sollen. Der Bildungshändler muss sozusagen zugleich auch ein Ferment im seelischen Verdauungstrakt für seine Waren sein.

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