Umgang mit alkoholabhängigen Patienten

Umgang mit alkoholabhängigen Patienten

 

 

 

von: Dirk R. Schwoon

Psychiatrie-Verlag, 2008

ISBN: 9783884147061

Sprache: Deutsch

142 Seiten, Download: 724 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Umgang mit alkoholabhängigen Patienten



Motivation (S. 63-64)

Wer nicht durch eine kritische Zuspitzung dazu gezwungen wird, unternimmt nur selten entscheidende Schritte zur Änderung seines Alkoholkonsums. Zu Versagensgefühlen bei den Betroffenen und zu Enttäuschung und Verärgerung bei Angehörigen und nicht zuletzt bei vielen wohlmeinenden Helfern führt die irrtümliche Erwartung, dass der feste Entschluss und die Beteuerung, den Konsum ab sofort und ein für alle Mal aufzugeben, schon für die Tat gehalten wird. Wenn das dann nicht umgesetzt wird, liegt der Rückschluss auf eine mangelhafte Motivation nahe. Diese ist aber nicht direkt erfassbar oder sogar messbar, sondern kann nur daraus erschlossen werden, ob eine angekündigte oder erwartete Handlung tatsächlich erfolgt. Der beliebte Hinweis auf die fehlende Motivation als Erklärung für mangelnde Behandlungsbereitschaft, Änderungsresistenz oder Rückfälle ist also ein Zirkelschluss zu Lasten Alkoholkranker.

Ob tatsächlich ein konstruktiver Schritt gemacht wird, ist das Resultat mehrerer Einflussfaktoren. Die betreffende Person muss überzeugt sein, dass das fragliche Verhalten generell in eine gefährliche Situation oder in eine Krankheit führen kann. Sie muss sich ganz persönlich und aktuell davon bedroht fühlen. Ferner muss sie über wirksame Veränderungsstrategien informiert sein. Sie muss zuversichtlich sein, dass sie diese Strategien selbst realisieren kann, und sie muss unmittelbaren Zugang zu den Hilfsangeboten haben, seien sie nun privater oder professioneller Art.

Konstruktive Schritte zur Veränderung werden am ehesten ergriffen, wenn sich jemand durch eine Krankheit persönlich gefährdet sieht und wenn er die angebotenen Maßnahmen für erfolgreich hält.

Motivationsförderung konzentriert sich bei Abhängigkeitskranken gern auf die beiden bedrohlichen Aspekte dieses so genannten »Health-Belief- Model«. Insbesondere ältere Menschen und Angehörige von Gesund heitsberufen, für die Gesundheit an oberster Stelle ihrer persönlichen Wertehierarchie steht, bevorzugen diesen Versuch einer Einflussnahme. Da werden die Gesundheitsschäden möglichst plastisch herausgestellt und Prophezeiungen verkündet: »Wenn Sie so weitermachen, bleiben Ihnen keine zwei Jahre mehr!« Schon vor längerer Zeit hat Leventhal (1971) herausgearbeitet, dass bei solchen Vorstellungen und Ankündigungen zwei Prozesse parallel zueinander ablaufen: Über eine rationale Stellungnahme wird ein Impuls ausgelöst, die dargestellte Gefährdung zu bewältigen und vernunft- und erwartungsgemäß zu handeln (»Problembewältigung «). Gleichzeitig gibt es eine emotionale Stellungnahme aus Furcht und Bedrohungsgefühlen mit dem Impuls, diese zu kontrollieren, abzuschwächen, auszulöschen (»Angstbewältigung«). Übermächtige Bedrohungsgefühle, Bedürfnisse zum Schutz des bereits stark angegriffenen Selbstwertgefühls, Scham- und Schuldgefühle, Selbstabwertungen und Angst führen jedoch regelhaft dazu, den Suchtmittelkonsum fortzusetzen oder noch zu steigern, gerade dann, wenn er bereits zuvor die Funktion der Angstbewältigung hatte.Anders ausgedrückt:Wer Alkohol zur Bewältigung von Hemmungen, Ängsten, Depressivität usw. trinkt, wird durch drastische Schilderungen von Abhängigkeit, Folgekrankheiten und Tod erst recht in den Konsum getrieben.Verkannt wird bei Gesundheitsappellen auch, dass es große Unterschiede darin gibt, was Menschen als drastisch und bedrohlich erleben.

Abschreckung funktioniert nicht bei Abhängigkeitserkrankungen. Abschreckung erhöht die Distanz zwischen Gesunden und Kranken und sie verfestigt Gefühle von Unterlegenheit und Hilflosigkeit gegenüber der Krankheit. Das Ausmaß der Schädlichkeit ist Menschen mit hohem Alkoholkonsum nur zu gut aus eigenem Erleben bekannt. Es ist also viel sinnvoller, die möglichen Veränderungsansätze und ihre Wirksamkeit in den Mittelpunkt von Interventionen zu rücken, ohne dabei in das Gegenteil zu verfallen und die Bedrohung zu verharmlosen.

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