Psychotraumatologie des Kindesalters

Psychotraumatologie des Kindesalters

 

 

 

von: Markus A. Landolt

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2004

ISBN: 9783840917189

Sprache: Deutsch

131 Seiten, Download: 2081 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Psychotraumatologie des Kindesalters



5 Epidemiologie (S. 45-46)

5.1 Allgemeinbevölkerung

In der Allgemeinbevölkerung durchgeführte epidemiologische Studien, welche die Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen nach psychotraumatischen Ereignissen untersuchen, beziehen sich fast ausschließlich auf das Syndrom der posttraumatischen Belastungsstörung und berücksichtigen erst das Alter ab etwa 12 Jahren. Aus dem deutschsprachigen Raum sind zwei Studien verfügbar, welche die Prävalenz posttraumatischer Belastungsstörungen im Jugendalter, bzw. im jungen Erwachsenenalter untersuchten. In der Bremer Jugendstudie (Essau et al., 1999) fand sich bei 12- bis 17-jährigen Jugendlichen eine Lebenszeitprävalenz von 1.6 %. Insgesamt berichteten 22.5% der Befragten, irgendwann in ihrem bisherigen Leben ein traumatisches Ereignis erlebt zu haben. Am häufigsten wurden körperliche Angriffe, Verletzungen und schwerwiegende Unfälle berichtet. Jungen erlebten signifikant häufiger traumatische Ereignisse als Mädchen. Die posttraumatische Belastungsstörung trat in hohem Maße komorbid mit depressiven und somatoformen Störungen sowie mit Substanzmittelabusus auf.

Zu vergleichbaren Resultaten kam die Studie von Perkonigg et al. (2000), in welcher eine repräsentative Stichprobe von 14- bis 24-jährigen Personen aus der Region München untersucht wurde. 26 % der Männer und 17.7% der Frauen berichteten über mindestens ein traumatisches Ereignis in ihrem Leben. Die Lebenszeitprävalenz der posttraumatischen Belastungsstörung betrug in dieser Untersuchung 1.3 %. Auffallend war auch in dieser Stichprobe die hohe Komorbidität von posttraumatischen Belastungsstörungen mit anderen psychischen Störungen. Verglichen mit den Befunden aus Deutschland zeigen internationale epidemiologische Studien teilweise deutlich höhere Lebenszeitprävalenzraten der posttraumatischen Belastungsstörung in der Allgemeinbevölkerung. In einer repräsentativen Stichprobe dänischer Jugendlicher betrug die entsprechende Rate beispielsweise 9% (Elklit, 2002). In amerikanischen Studien schwanken die Prävalenzraten zwischen 6.3 % (Giaconia et al., 1995) und 9.2 % (Breslau, Davis & Andreski, 1991). Damit gehört die posttraumatische Belastungsstörung zweifellos zu den häufigsten psychischen Störungen.

5.2. Traumatisierte Gruppen

5.2.1. Gewalt

Naturgemäß gibt es eine Vielzahl von Studien zu den psychotraumatologischen Folgen von Gewalt bei Kindern. Am besten untersucht sind die Auswirkungen von Geiselnahmen, Kriegsereignissen und Kindesmisshandlungen. Über die Folgen von terroristischen Anschlägen auf Kinder und Jugendliche ist dagegen zum jetzigen Zeitpunkt noch wenig bekannt.

Geiselnahme und Schießereien

Die wohl berühmteste und in ihrer Bedeutung bis heute nachwirkende Studie geht auf die amerikanische Kinderpsychiaterin und Kinderanalytikerin Lenore Terr zurück, welche die sogenannten „Kinder von Chowchilla" aus psychotraumatologischer Sicht über viele Jahre nachuntersucht hat (Terr, 1979, 1983, 1990, 1991). Diese Kinder hatten im Jahre 1976 die Entführung ihres Schulbuses durch zwei Männer erlebt und waren unter anderem während vieler Stunden in einem Erdloch eingeschlossen, wo sie alle um ihr Leben fürchten mussten, sich schließlich aber selbst befreien konnten. Terr befragte in der Folge auf sehr sorgfältige und genaue Art und Weise die 25 entführten Kinder mehrmals zu den Folgen dieses Ereignisses und beschrieb viele der Symptome der damals noch nicht bekannten posttraumatischen Belastungsstörung. Die Autorin konnte zeigen, dass alle betroffenen Kinder auch vier Jahre nach der Geiselnahme noch deutliche Symptome aufwiesen und dass sich die kindlichen Symptome zum Teil von jenen Erwachsener unterschieden (Terr, 1983). Eine vergleichbar wichtige und oft zitierte Studie zu den Auswirkungen von Gewalt stammt von Pynoos et al. (1987) und Nader, Pynoos, Fairbanks und Frederick (1990), welche die Folgen eines mit einer Schießerei verbundenen Amoklaufes in einer amerikanischen Schule untersuchten. Die Autoren stellten fest, dass 38 % der 159 Schulkinder unter mittelschweren bis schweren posttraumatischen Symptomen litten und dass insbesondere Kinder, welche das Opfer des Amoklaufes gekannt hatten und sich in der Nähe der Schießerei befanden, eine hohe Symptombelastung aufwiesen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch andere Studien, welche Kinder nach Amokläufen oder Geiselnahmen in der Schule untersucht haben (Jessee, Strickland & Ladewig, 1992; Schwarz & Kowalski, 1991a, 1991b; Vila, Porche & Mouren-Simeoni, 1999).

Kindesmisshandlung

Studien bei körperlich und sexuell misshandelten Kinder zeigen durchwegs deutlich erhöhte Raten posttraumatischer Belastungsstörungen und lassen damit den Schluss zu, dass solche Störungen eine häufige Folge von Misshandlungen sind (Ackerman, Newton, McPherson, Jones & Dykman, 1998; Famularo, Fenton, Kinscherff & Augustyn, 1996; Lansford et al., 2002; McLeer, Deblinger, Henry & Orvaschel, 1992; D. A. Wolfe, Sas & Wekerle, 1994). Famularo et al. (1996) fanden bei 117 misshandelten Kindern mittels strukturierter Interviews eine Prävalenz der posttraumatischen Belastungsstörung von 35 %. Zu ähnlichen Resultaten kamen Wolfe et al. (1994). Ackerman et al. (1998) verglichen drei Gruppen von Kindern, welche auf unterschiedliche Arten misshandelt worden waren und berichten von Prävalenzraten zwischen 18 und 58 %. Besonders gefährdet waren Kinder, die sowohl körperlich als auch sexuell misshandelt worden waren. Zudem zeigten misshandelte Mädchen öfter posttraumatische Belastungsstörungen als Jungen, was auch die Studie von Wolfe et al. (1994) bestätigte.

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