Martin Buber - Leben - Werk - Wirkung

Martin Buber - Leben - Werk - Wirkung

 

 

 

von: Gerhard Wehr

Gütersloher Verlagshaus, 2010

ISBN: 9783641038441

Sprache: Deutsch

368 Seiten, Download: 697 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Martin Buber - Leben - Werk - Wirkung



Martin Buber, ihn kennt die Welt. Sie nennt ihn zumindest und beruft sich auf ihn, wie man sich auf einen ethischen Garanten beruft, der vieler Titulaturen bedarf, um wenigstens einige Seiten seines Wesens sichtbar zu machen. Und so zählt der Philosoph des Ich-Du, der Verdeutscher der Schrift, der Deuter der chassidischen Botschaft als eine »Gründergestalt« seines Jahrhunderts, als ein Schriftsteller, dessen Werke einige in die Nähe heiliger Schriften rücken, als »jüdischer Protestant«, als »religiöser Existenzialist« und »hebräischer Humanist«, als »Verkündiger des Gottes, dem die Welt gehört« (L. Ragaz) ... Der Katalog will kaum ein Ende nehmen. Wer ist er nun wirklich?
Manchen Zeitgenossen erschien er als eine »lebendige Legende«. Der Mann des Dialogs und der Begegnung hat es denen nicht gerade leicht gemacht, die sich fragend an ihn gewandt haben und denen er etwa so geantwortet hat:
Ich habe keinerlei Neigung, mich mit meiner Person als »Gegenstand« zu befassen, und ich fühle mich auch keineswegs dazu verpflichtet. Ich möchte die Welt beeinflussen, aber ich möchte nicht, dass sie sich von »mir« beeinflusst fühlt. Ich bin, wenn ich das sagen darf, beauftragt, den Menschen Wirklichkeiten zu zeigen, und ich suche das so getreu wie möglich zu tun. Darüber nachzudenken, warum ich beauftragt bin oder warum ich im Laufe meines Lebens geeigneter dazu geworden bin zu zeigen, was ich zu zeigen habe, hat für mich nicht nur keinen Reiz, sondern auch keinen Sinn. Es gibt Menschen, die den Wunsch haben, sich der Welt zu erklären; Kierkegaard hatte ihn, ich nicht - ich möchte mich nicht einmal mir selber erklären.
Diese Zeilen der Selbstcharakteristik schreibt der vierundsiebzig-jährige Martin Buber an einen jungen Amerikaner nach Los Angeles, der im Begriffe ist, im Zusammenhang seiner Universitätsstudien über Bubers Werk auch biographische Angaben zu verwerten. Es ist nicht etwa pure Interesselosigkeit dem jugendlichen Fragesteller gegenüber, die sich hier manifestiert. Im ausführlichen Antwortbrief zeigt Buber vielmehr, wie ernst er den ein halbes Jahrhundert jüngeren Briefpartner nimmt. So sind es eher grundsätzliche Erwägungen, die ihn hindern, der Bitte um Auskünfte über biographische Tatbestände und familiäre Beziehungen zu entsprechen. Denn, so fährt Buber im Brief fort:
»Um zu sehen, was ein Schreibender - der doch >ein Sprechendem ist - zu zeigen hat, braucht man nichts über seine persönlichen Eigenschaften oder sein persönliches Leben zu erfahren, man braucht nicht mehr zu wissen, als was seine Äußerungen, seine Werke selbst zu sagen haben.« Es sei nicht wahr, dass man für die Entgegennahme des Werkes eines Shakespeare, eines Homer oder Platon besser gerüstet ist, wenn man mehr wüsste.
Und doch ist »wirkliches Leben« Begegnung, wie Buber in »Ich und Du« betont. In der echten Begegnung geht es ausschließlich um »Ich und Du«, und diese Paareinheit ist mehr als die bloße Summe eines Ich und irgendeines Du. Da treten zwei Personen einander gegenüber, in ihrer Einmaligkeit und in ihrer wechselseitig empfundenen Andersartigkeit. Wirkliches Leben ist Begegnung, als personale Beziehung verstanden. Im Anreden und Angeredetwerden und Antworten, im Austausch von Blick und Händedruck, freilich auch in der Erfahrung des Widerstandes, des Widerparts, den der eine dem anderen durch seine individuell geprägte Andersartigkeit bietet, nimmt die Begegnung jeweils leibhafte Gestalt an. Und an ihr ist Buber gelegen. Auf diese Wirklichkeit hat er, wie er immer wieder betont, zu »zeigen«: »Ich habe keine Lehre, ich zeige nur etwas ...« Ein Mensch mit ausgestrecktem Zeigefinger also, dem jenes zu Zeigende, das - in echt Grünewaldscher Manier - zu Bezeugende wichtiger sein muss als er selbst. Ja, »der Mann mit dem ausgestreckten Zeigefinger hat nur eins zu zeigen und nicht vielerlei«, so bekräftigt Buber. Was heißt das für die Beschreibung eines Menschenlebens?

Sich nach dem Woher und Wohin eines Menschen erkundigen, das kann nach Bubers Dafürhalten paradoxerweise heißen: den Menschen, diesen Menschen, als Person aus dem Auge verlieren und ihn zum Gegenstand biographischer Recherchen machen. Aus dem Du wird auf diese Weise unversehens ein Es, eben das Objekt, »über« das man Erkundigungen einholt und von dem man Lebensdaten ermittelt. Dabei weiß Buber sehr genau, dass menschliches Leben, auch das in aufmerksamer Mitmenschlichkeit geführte, sich keinesfalls nur in der Sphäre der personhaften Ich-Du-Beziehung abspielen kann. Immer wieder müssen wir das partnerschaftliche Du und die Aug' in Aug' gelebte Ich-Du-Beziehung aufgeben und uns in nüchterner Sachlichkeit einem Es zuwenden. Das geschieht beispielsweise, indem wir als biographisch Interessierte die jeweilige Person unseres Interesses - und »interesse« heißt doch: teilhabend »zwischen sein«! - zu einem
Objekt machen, dessen Bild wir zu zeichnen, zu plastizieren bemüht sind. Dabei erhascht die Sehnsucht Pygmalions dann und wann jeden Biographen. Es ist die Sehnsucht dessen, der wünscht, dass das Bildwerk unter seinen formenden Händen sich unversehens in Fleisch und Blut verwandle, und sei es für Augenblicke ... Als Denker des Gesprächs und der Begegnung wollte Buber, dass man in dem erwähnten Sinne von ihm, dem Zeigenden, absieht. Das bekam nicht nur jener amerikanische Student zu spüren, sondern auch mancher andere. Daher konnte es mitunter geschehen, dass der dann und wann um persönliche Auskünfte Gefragte auf seine Freunde verwies, die angeblich besser als er selbst in der Lage seien, die gewünschten Lebenszusammenhänge zu schildern und die fraglichen Daten zu besorgen; auch eine Geste eines »Zeigenden«.
Die Linien des Lebens von Martin Buber nachzeichnen wollen, das geht demnach ohne ein gewisses Maß an subtiler Respektlosigkeit nicht ab. Der Autor wird zum Tabuverletzer. Die Tabuverletzung wird aber immerhin dadurch gemildert, dass sich unser Blick nicht allein auf die Lebensumstände des Beschriebenen richtet, sondern stets und unablösbar auch auf jene Wirklichkeit, auf die zu zeigen Buber beauftragt war und die seinem Werk Substanz verleiht. Er hat damit ein für alle Mal seinen Biographen selbst den Rahmen für ihr Tun abgesteckt. Sie sind daher gehalten, so zu arbeiten, dass die zu bezeugende Wirklichkeit wichtiger bleibt als derjenige, der sie in der Spanne seines Lebens - mit ausgestrecktem Zeigefinger - bezeugt hat.

Die Perspektive, aus der heraus im Folgenden ein Buber-Bild versucht wird, ist eine zweifache: Zunächst ist da ein »offenbar-geheimes« Leitmotiv im Schaffen Bubers, die Idee des »vollkommenen Menschen«4. Sie gilt es zu verwirklichen.

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