Geschlechtergeschichte

Geschlechtergeschichte

 

 

 

von: Claudia Opitz-Belakhal

Campus Verlag, 2010

ISBN: 9783593408569

Sprache: Deutsch

209 Seiten, Download: 4240 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Geschlechtergeschichte



6. Öffentlich vs. privat? (S. 97-98)

»Privatheit und Öffentlichkeit bilden ein Begriffspaar, das seit über hundert Jahren unsere Sprache, unser Denken und unsere wissenschaftlichen Konzepte, mit denen wir uns an historischer und aktueller Gesellschaftsanalyse versuchen, durchdringt. Ganz offensichtlich hat dieses Begriffspaar unsere Wahrnehmung so konsequent geprägt, dass wir die Dichotomisierung aller gesellschaftlichen Verhältnisse in eine private und eine öffentliche Sphäre für selbstverständlich und sinnvoll halten und uns an einer säuberlichen Trennung und Gegenüberstellung von Privatheit und Öffentlichkeit orientieren« (Hausen 1992b: 81).

Mit diesen Worten umriss Karin Hausen ein grundlegendes Problem der Frauen- und Geschlechtergeschichte seit ihren Anfängen. Das Problem besteht insbesondere darin, dass durch diese Trennung weibliche Lebenserfahrungen und -räume weitgehend aus der Sphäre des historisch Relevanten hinausdefiniert wurden: Die Frauen wurden nämlich der (vermeintlich unveränderlichen) Privatheit der Familie zugeschrieben, die Männer der (dynamischen und historiographisch relevanten) Öffentlichkeit. Neue Frauenbewegung und feministische Diskurse haben den Begriff der »Öffentlichkeit« in zweifacher Weise in Frage gestellt. Mit dem Slogan »Das Private ist politisch« wurden innerfamiliäre Gewalt- und Ausbeutungsverhältnisse angeprangert und Entscheidungsrechte von Frauen über ihre Gebärfähigkeit eingefordert (vgl. Davis 2008).

Andererseits wurde dadurch die geschlechtliche Codierung von Öffentlichkeit als männlicher Sphäre und die ausgrenzende Funktion der Trennung von »öffentlich« und »privat« deutlich und von feministischer Politik und Wissenschaftskritik als dem Prinzip des Gleichheitsgrundsatzes widersprechend sicht bar gemacht. Die Fixierung der Geschichtsschreibung auf das (vermeintlich) Öffentliche wurde infolgedessen von der Frauenund Geschlechterforschung ebenso grundsätzlich infrage gestellt wie die Zuweisung der beiden Sphären zum einen oder anderen Geschlecht, auch wenn es durchaus nicht an Versuchen gefehlt hat, das Konzept der »getrennten (Geschlechter-)Sphären« konstruktiv zu nutzen. Doch herrscht in der Geschlechtergeschichte heute einigermaßen Einigkeit darüber, dass eine klare Trennung zwischen dem Bereich des »Öffentlichen« und dem Bereich des »Privaten« nicht gezogen werden kann – und dass darüber hinaus beide Bereiche Gegenstand der historischen Forschung sind und sein müssen.

6.1 Wider die Dichotomie »öffentlich – privat«


Laut Michelle Z. Rosaldo, einer Anthropologin, deren Überlegungen auch für die Frauen- und Geschlechtergeschichte höchst einflussreich waren, ist die Aufteilung der Gesellschaft in die Sphäre des public und des private und damit die Gegenüberstellung von Familie und Gesellschaft ein Konzept des 19. Jahrhunderts, welches damals ganz offensichtlich einem Bedürfnis nach normativer Fixierung der Geschlechterverhältnisse entsprochen hat. Dieses Konzept heute noch unbesehen als konzeptionelles Instrumentarium für ethnologische und historische Forschungen einzusetzen, so Rosaldo, habe zur Folge, dass die Aufteilung von Gesellschaften in öffentliche und private Sphären als überzeitliche Universalie erscheine. Damit würden Bedeutung und Dynamik von (privaten wie öffentlichen) Geschlechterbeziehungen negiert oder zumindest übersehen (Rosaldo 1980).

In der Folge ist in der frauen- und geschlechtergeschichtlichen Forschung Rosaldos Forderung, die Reichweite des public-private- Konzepts prinzipiell anzuzweifeln, vielfach umgesetzt worden. Heute ist es höchst fraglich, ob es überhaupt je eine gesellschaftliche Wirklichkeit gegeben hat, die zumindest in ihren grundlegenden Beziehungsformen und -praktiken durch das public-private-Konzept angemessen beschrieben werden kann. Infolgedessen haben zahlreiche Forscherinnen (und auch einige Forscher) in Europa und den Vereinigten Staaten in den letzten etwa 20 Jahren erfolgreich nachweisen können, wie breit gefächert nicht nur die historischen Entwicklungen innerhalb des »privaten Raums« von Haushalt und Familie waren (s. u.), sondern vor allem auch, wie wesentlich die wechselhaften Implikationen dieses dichotomisch konstruierten Konzepts von »privat« vs. »öffentlich« für die Gestaltung und Erfahrung historischer Realität selbst waren.

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