Starke Kinder - Strategien gegen sexuellen Missbrauch

Starke Kinder - Strategien gegen sexuellen Missbrauch

 

 

 

von: Anne Dyer, Regina Steil

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2012

ISBN: 9783840923661

Sprache: Deutsch

146 Seiten, Download: 925 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Starke Kinder - Strategien gegen sexuellen Missbrauch



2 Wer wird zum Opfer?

2.1 Wie häufig kommt es zu sexuellem Missbrauch?

Um diese Frage beantworten zu können, führen Wissenschaftler große Studien durch. Diese Studien weisen jedoch zwei Problembereiche auf. So liegen den Studien verschiedene Auffassungen zugrunde, welche Handlungen zum sexuellen Missbrauch gehören. Während manche Studien schon sehr leichte Missbrauchshandlungen erfassen, lassen andere Studien nur schwere sexuelle Übergriffe gelten. Außerdem variieren die Zahlen in Abhängigkeit davon, wer befragt wird. a) Geht man von den Übergriffen aus, die der Polizei gemeldet wurden, so muss mit einer hohen Dunkelziffer (die Anzahl nicht gemeldeter Übergriffe) gerechnet werden. Geht man von den aufgedeckten Missbrauchsfällen aus, wird man die Anzahl tatsächlicher Übergriffe massiv unterschätzen. Vermutlich wird auch nur eine bestimmte Auswahl bei der Polizei gemeldet, also z. B. eher wenn ein Fremder ein Täter war. Dies sind auch die Fälle, die uns primär aus den Medien bekannt sind. Man kann die bekannten Fälle hochrechnen, um zumindest eine Schätzung zu erhalten. Immer jedoch sind die entstehenden Zahlen nur eine Annäherung an die Realität.

b) Andere Studien befragen mögliche erwachsene Opfer direkt. Durch diese sogenannte retrospektive Befragung (mit dem Blick rückwärts in die Vergangenheit gerichtet) besteht jedoch die Gefahr einer Erinnerungsverzerrung. Mit dem Wissen, welches im weiteren Verlauf des Lebens gesammelt wurde, können sich die Erinnerungen verfälschen. c) Einzelne Studien untersuchen durch eine gezielte Erhebung, z. B. in Institutionen wie den Bistümern der katholischen Kirche Nordamerikas, die Häufigkeit der dort bekannten Übergriffe. Die gewonnenen Erkenntnisse bleiben dann natürlich auf die Kinder bzw. Täter in solchen Institutionen beschränkt.

Fasst man den Wissenstand all dieser Studien zusammen, so wäre eine folgende Beschreibung typisch. Das Opfer ist ein Mädchen im Alter von 7 bis 14 Jahren. Es kommt häufig (nicht immer) aus einer Familie, die in ihrer Entwicklung keine große Unterstützung für sie war. Wissen über Sexualität hatte sie keines und sammelt erstes Wissen während ihrer Pubertät durch Menschen, die nicht zu ihrer Familie gehören. Sie hat keine Vertrauensperson außer dem Täter.

Eine große Befragung in Deutschland (Wetzels, 1997) führte zu folgenden Ergebnissen: Insgesamt berichteten 18,1 % der Frauen und 7,3 % der Männer von irgendeiner Form sexueller Handlungen in ihrer Kindheit oder Jugend. Im Alter von unter 14 Jahren berichteten 10,7 % der Frauen und 3,4 % der Männer von sexuellen Missbrauchshandlungen. Werden alle Informationen zu Missbrauchshandlungen unter dem Alter von 16 Jahren zusammengefasst, so begann der Missbrauch bei Jungen und Mädchen durchschnittlich im Alter von 11 Jahren (vgl. Abbildung 1).

Missbrauchshandlungen sind zumeist von den Opfern ungewollte Berührungen. Ungefähr 64 % der Opfer berichteten, dass der Täter nicht in ihren Körper eingedrungen ist. Ungefähr ein Drittel der Opfer (36 %) berichteten, dass der Täter mit einem Gegenstand, seinem Finger, seiner Zunge oder seinem Penis in sie eingedrungen ist. Während die eine Hälfte der Opfer (53,8 %) von einmaligen Übergriffen berichtet, wurde die andere Hälfte (46,2 %) der Opfer mehrfach missbraucht.

Amerikanische Studien berichten von etwas häufigerem Vorkommen sexuellen Missbrauchs. Je nach Studie wurden zwischen 9 und 33 % der Frauen irgendwann in ihrem Leben sexuell missbraucht. Zwischen 3 und 16 % aller Jungen wurden bis zum Alter von 18 Jahren sexuell missbraucht. Durchschnittlich begann der Missbrauch im Alter von 10 bis 12 Jahren, wobei Kinder sämtlichen Alters missbraucht wurden. Ungefähr zwei Drittel der betroffenen Jungen waren ein einziges Mal missbraucht worden. Grundsätzlich werden Jungen häufiger als Mädchen von Tätern außerhalb der Familie missbraucht. Auch werden sie eher durch Gewalt und Drohungen eingeschüchtert. Mädchen werden eher über indirekte Drohungen „überredet“. Das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs ist bei Mädchen größer. Die sexuellen Handlungen sind gravierender und werden eher zu den schweren Formen von Missbräuchen gezählt. Man vermutet, dass Jungen aufgrund intensiver Schamgefühle wesentlich seltener über sexuellen Missbrauch berichten und so die Dunkelziffer wesentlich höher ist. Werden Jungen von Männern missbraucht, so befürchten sie, ihre Umgebung, insbesondere ihre gleichaltrigen Freunde, könnten sie für homosexuell halten. Ist eine Frau Täter, so wird der Missbrauch eines Jungen von der Umgebung typischerweise als weniger schlimm eingeschätzt. Dies wird interpretiert als eine Einführung in die Sexualität durch eine „reife“, „erfahrene“ Frau. Frühe sexuelle Erfahrungen eines Jungen werden tendenziell als etwas Positives eingeschätzt. Insbesondere bei Geschlechtsverkehr wird eine aktive Beteiligung des Jungen angenommen. Fakt ist, dass trotzdem die Kriterien eines sexuellen Missbrauchs erfüllt sein können und Schaden an der Psyche des betroffenen Kindes verursacht werden kann.

2.2 Welche sexuellen Mythen gibt es?

Ein Mythos ist eine Erzählung, mit der Werte zum Ausdruck gebracht werden. Im Folgenden wollen wir den Fragen nachgehen, welche sexuellen Mythen es gibt und ob sie einen wahren Kern haben.

Mythos 1: Ist jemand sexuell erregt, so will er/sie den Sex auch
Nicht selten berichten erwachsene Opfer unter hoher Scham von sexueller Erregung während des Missbrauchs. Immer wieder stellen sie sich die Frage: Habe ich es vielleicht doch gewollt? Schaffen es die Betroffenen, hierüber zu reden, so ist dies ein großer Vertrauensbeweis. Sexuelle Erregung ist jedoch nicht an unser Großhirn und damit an unsere bewussten Entscheidungen gekoppelt. Sexuelle Erregung kann durch reine mechanische Manipulation auftreten. Wird das männliche Glied gerieben, so entsteht eine Erektion – unabhängig vom Willen seines „Besitzers“. Bei weiterer Stimulation kann es zu einem Orgasmus kommen – ebenfalls unabhängig vom Willen des „Besitzers“. Mädchen und Frauen unterliegen den gleichen biologischen Gesetzen.

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