Handbuch Bewegungsförderung und Gesundheit

Handbuch Bewegungsförderung und Gesundheit

 

 

 

von: Gunnar Geuter, Alfons Hollederer

Hogrefe AG, 2012

ISBN: 9783456950532

Sprache: Deutsch

355 Seiten, Download: 11850 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Handbuch Bewegungsförderung und Gesundheit



1. Zusammenhang von körperlicher Aktivität mit physischer und psychischer Gesundheit – eine Einführung (S. 23-24)
Klaus Völker

1.1 Zusammenfassung

Körperliche Aktivität – und in ihrer intensivierten Variante Sport – wird häufig mit Gesundheit assoziiert. Bei der Suche nach wissenschaftlichen Antworten auf den Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Gesundheit stößt man allerdings schnell auf grundlegende Fragestellungen: Die erste Frage bezieht sich auf den Endpunkt der Betrachtung, die Gesundheit selbst. Wie wird sie definiert und vor allen Dingen, wie wird sie operationalisiert, damit man wissenschaftlich mit ihr „rechnen“ kann? Unter dem Blickwinkel der Gesundheitsrisiken wie drohende Erkrankungen oder Risikofaktoren bieten sich zur Operationalisierung vielfältige Parameter an. Die Medizin bietet eine Vielzahl von Normwerten, die zur Identifizierung der Grenze zwischen gesund und krank dienen können, zum Beispiel Blutdruckwerte, Cholesterinspiegel und Entzündungszeichen, aber auch Parameter der psychischen Gesundheit. Viele methodische Ansätze, vor allem in der interventionellen Forschung, bedienen sich dieser Parameter. Auf dieser Ebene sind aber auch Forschungsansätze angesiedelt, die sich nicht nur um die Endpunkte kümmern, die sich in den Parametern widerspiegeln, sondern die auch nach den zur Erkrankung führenden Mechanismen fragen. Ein aktuelles Beispiel ist die Aufklärung der Zusammenhänge zwischen dem Bauchfett und den daraus resultierenden Erkrankungen, wie Zuckerkrankheit oder Bluthochdruck. In dieses Bezugsfeld fallen zudem Forschungsergebnisse, die die Interaktion zwischen muskulärer Aktivität und Gehirnfunktion zu erklären versuchen.

Der epidemiologische Forschungsansatz greift einerseits parameterbasierte Gesundheits-Endpunkte auf, geht aber auch zum Teil darüber hinaus. Wegen der Schwierigkeit, die Vielzahl quantitativer Gesundheitsparameter bezüglich ihrer Wirkung auf die Gesundheit zu hierarchisieren, verlegen sich viele epidemiologische Studien auf die sogenannten „harten Endpunkte“ wie manifeste Erkrankungen, zum Beispiel Herzinfarkt und Krebs, oder den Tod.

Neben der Frage nach den Parametern der Gesundheit muss auch die Frage nach den Parametern der Bewegung gestellt werden. Ansätze der Quantifizierung von Bewegung reichen von Selfreports, wie Fragebögen und Protokollen, über Schrittzähler und Accellerometer bis hin zur Messung von Herzfrequenz und Sauerstoffaufnahme. Entsprechende Messwerte erlauben eine immer differenziertere Betrachtung der körperlichen Aktivität und einen Einstieg in eine Kategorisierung nach Intensität. Andere Ansätze beschäftigen sich mit der letztendlichen Auswirkung der Aktivitäten auf das Organsystem. Sie betrachten das Niveau der allgemeinen körperlichen Leistungsfähigkeit als Endprodukt der Aktivität. Die unüberschaubare Vielfalt körperlicher Aktivität macht es schwierig, sie untereinander zu vergleichen und in ihrer gesundheitlichen Wertigkeit im Einzelnen zu würdigen. Als kleinster gemeinsamer Nenner verschiedenster körperlicher Aktivitäten findet sich in vielen Studien, die Bewegung quantifizieren, der Kalorienverbauch (in kcal) oder das metabolische Äquivalent (MET).

Die wissenschaftlichen Daten, die den Zusammenhang von körperlicher Aktivität und Gesundheit beschreiben, sind eindeutig und erreichen einen sehr hohen Evidenzgrad. Körperliche Aktivität zeigt positive Korrelationen mit der Gesundheit, Inaktivität negative. Körperliche Aktivität ist ein starker und umfassender Schutzfaktor für die Gesundheit, mit vielfältigen direkten und indirekten Wirkungen. Inaktivität wird heute als eigenständiger und unabhängiger Risikofaktor für viele Zivilisationserkrankungen eingestuft. Zur Andeutung der Dimensionalität der Effekte sei auf Risikoreduktionen hingewiesen, die in vielen Fällen einstellige Prozentränge überschreiten: So liegt die Risikoreduktion für eine Reihe von Krebserkrankungen bei im Mittel 25 %, für Herzkreislauferkrankungen bei 40-50 % und für Stoffwechselerkrankungen wie zum Beispiel Diabetes Typ 2, sogar bei 80 %. Auch die Einflüsse auf die Mortalität bewegen sich in nahezu ähnlichen Dimensionen. Bei der Aufklärung der Mechanismen sind einige Kausalketten schon erkennbar, von einem profunden Erklärungsmodell ist man jedoch in den meisten Fällen noch weit entfernt.

Schlussfolgerungen

Das sich aus diesen Erkenntnissen ableitende Resümee ist relativ einfach. Wer etwas für seine Gesundheit tun will, muss sich bewegen. Über die Mindestmaße gibt es schon relativ genaue Vorstellungen. Grobe Anhaltspunkte gibt es zur Frage, ab wann Bewegung zu viel wird. Die Art der Bewegung scheint in der Primärprävention zweitrangig, gewinnt aber in der Sekundärprävention und im therapeutischen Kontext von Bewegung an Bedeutung. Versucht man, das Ausmaß der spontanen Alltagsaktivität in das Wirkspektrum gesundheitsfördernder Aktivitäten einzuordnen, so liegt dies in den meisten Fällen außerhalb, sprich unterhalb des Wirkspektrums. Gesundheit durch körperliche Aktivität gibt es also nicht en passant, sondern körperliche Aktivität und Sport müssen bewusst initiiert und in den alltäglichen Tagesablauf implementiert werden. Am besten wäre es, wenn Bewegung dauerhaft zu einem integralen Bestandteil der Alltagsaktivität würde.

1.2 Einleitung: Bewegung ist Leben

Dieser einfache Satz, dem jeder sicherlich zustimmen will, gilt übergreifend für viele Lebensbereiche, gilt aber auch im engeren Sinne, wenn man den Begriff Bewegung auf körperliche Aktivität reduziert. Wir sind vom genetischen Bauprinzip her „Bewegungswesen“ mit nervaler Steuerung, sind aber in der modernen Zeit zu „Kopfwesen“ mit körperlichem Anhang geworden. Die Zeitschiene, in der sich diese Entwicklung, die mit der Industrialisierung parallel zu setzen ist, vollzogen hat, ist sehr kurz. Großzügig gerechnet umfasst sie ca. 300 Jahre und das ist für evolutionäre Prozesse ein Wimpernschlag. Die Fortschritte der industriellen und gesellschaftlichen Entwicklung haben also dem „Bewegungswesen“ Mensch einen großen Teil seiner biologischen Bestimmung weg genommen. Das natürliche Bewegungsmaß im Alltag hat eine Schwelle unterschritten, die als Mangel einzustufen ist und die gesundheitliche Folgen nach sich zieht. Viele unserer so genannten Zivilisationserkrankungen sind entsprechend durch Bewegungsmangel verursacht oder zumindest mit verursacht. Im Gegenzug wird Bewegung als kompensatorisches Element vielfach propagiert, es sei in diesem Zusammenhang auf die Kampagne „3000 Schritte pro Tag mehr“ der früheren Gesundheitsministerin Ulla Schmidt verwiesen, und auf Aktivitäten der Bundesärztekammer, des organisierten Sports (DOSB / LSB) und der Sportärzteschaft, die ein „Rezept für Bewegung“ einführen wollen und bereits in einigen Ländern eingeführt haben. Das Natürlichste unserer biologischen Bestimmung soll also mit dem Nachdruck einer ärztlichen Verordnung der Bevölkerung wieder nahe gebracht werden. Diese anthropologische und deduktive Annäherung an das Problem wird im Zeitalter der evidenzbasierten Wissenschaft in Frage gestellt oder...

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