Klinische Psychologie - Intervention und Beratung

Klinische Psychologie - Intervention und Beratung

 

 

 

von: Wolfgang Lutz, Ulrich Stangier, Andreas Maercker, Franz Petermann

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2012

ISBN: 9783840921599

Sprache: Deutsch

336 Seiten, Download: 4068 KB

 
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Klinische Psychologie - Intervention und Beratung



„Unter klinisch-psychologischer Intervention werden sämtliche Formen professioneller psychologischer Unterstützung bei der Bewältigung vorwiegend psychischer, aber auch sozialer und körperlicher Beeinträchtigungen und Störungen zusammengefasst.“ (Bastine, 1992, S. 58)

Die Probleme können demnach nicht nur psychischer, sondern auch sozialer und körperlicher Natur sein. Eine soziale Problematik, welche klinisch-psychologische Intervention erfordert, könnte neben Paarund Familienschwierigkeiten auch Beeinträchtigungen bei der Bewältigung des Alltags sein, in der der Patient auf die Unterstützung anderer angewiesen ist, wie etwa in Form des betreuten Wohnens. Körperliche Beeinträchtigungen, welche einen psychischen Leidensdruck verursachen stellen zum Beispiel chronische Rückenleiden dar: Schmerzpatienten erleben häufig eine starke psychische Belastung. Ein wichtiger Begriff in dieser Definition ist die Professionalität, unter der zwei Aspekte verstanden werden: klinisch-psychologische Interventionen müssen wissenschaftlich begründet sein und auf berufsrechtlichen Kriterien beruhen.

Damit ist der Raum der Interventionen eingegrenzt auf solche, für die es durch wissenschaftlich durchgeführte Studien Nachweise ihrer Wirksamkeit gibt. Genaueres zur Überprüfung der Wirksamkeit klinisch-psychologischer Evaluationen wird in Kapitel 3 dieses Bandes behandelt. An dieser Stelle ist jedoch festzuhalten, dass sich Interventionen in der klinischen Psychologie durch dieses Wirksamkeitskriterium von Behandlungsformen abgrenzen, deren Spannbreite sich von Unwissenschaftlichkeit bis hin zu zweifelhafter Seriosität erstreckt, wie etwa Schamanismus, Exorzismus, Wahrsagerei oder Astrologie. Kostenträger psychischer Behandlungen wie z. B. Krankenkassen sind natürlich daran interessiert, dass sie für Leistungen bezahlen, die auch auf wissenschaftlicher Grundlage Erfolg versprechend sind.

Schließlich legen Perrez und Baumann (2011) eine Definition vor, welche eine weiter elaborierte Systematisierung klinisch-psychologischer Interventionen erlaubt:

Begriffsklärung (2): Klinisch-psychologische Intervention „Die klinisch-psychologischen Interventionsmethoden sind eine Teilmenge der psychologischen Interventionsmethoden. Sie lassen sich durch sechs Merkmale charakterisieren. (1) Die Wahl der Mittel, (2) die spezifischen Interventionsfunktionen, (3) die Zielorientierung, (4) die theoretische Fundierung, (5) die empirische Evaluation und (6) die Professionalität des Handelns.“ (Perrez & Baumann, 2011, S. 342)

Während z. B. in der Psychopharmakologie medikamentöse oder in der Medizin chirurgische Interventionsmittel zum Einsatz kommen können, sind Interventionen in der klinischen Psychologie durch psychologische Mittel bestimmt, z. B. in Form von Gesprächen, Verhaltensexperimenten, Übungen oder der zwischenmenschlichen Beziehung (Baumann, 2000). Das entscheidende Merkmal ist also nicht das „Was“, also das Problem selbst, das angegangen wird, sondern das „Wie“– nämlich dass ein Problem mit psychologischen Mitteln angegangen wird. Auch Probleme, die keine rein psychische Ursache haben, können mit psychologischen Mitteln behandelt werden.

Die Punkte (2) und (3) oben genannter Definition beziehen sich auf das „Wozu“ im Zusammenhang klinisch-psychologischer Interventionen. Zielorientierung meint, dass sich die Intervention auf ein überprüfbares Ergebnis beziehen muss; dies ist Voraussetzung für die Evaluation der Intervention. Als Zielbereiche können Gesundheitsförderung, Prävention, Behandlung bzw. Therapie und Rehabilitation unterschieden werden.

Die Funktionen klinisch-psychologischer Interventionen sind zuZeitpunkt der gleich mit dem Zeitpunkt verbunden, zu dem sie stattfinden: Gesundheitsförderung und Prävention sollen verhindern, dass sich psychische Beeinträchtigungen ausweiten oder überhaupt erst auftreten, im Sinne einer Vorsorgebehandlung. In Begriffen der Epidemiologie geht es also darum, die Inzidenzrate zu senken (vgl. Kapitel 11 im ersten Band). Liegt das Problem akut vor, wird korrektiv interveniert, z. B. durch Beratung oder Psychotherapie. Auf diese Weise soll die Prävalenzrate psychischer Störungen vermindert werden. Zur Nach­ sorge, Rückfallprophylaxe und Wiedereingliederung in den Alltag nach einer Behandlung dienen rehabilitative Maßnahmen. Dabei gilt es, Behandlungserfolge zu stabilisieren und Langzeitfolgen einer Störung zu verhindern bzw. zu minimieren. In Kapitel 1.3 wird auf diese einzelnen Interventionsformen noch genauer eingegangen.

Auf die Bedeutung einer theoretischen Fundierung (4) als ein Kriterium der Wissenschaftlichkeit und der empirischen Überprüfbarkeit bzw. Evaluation (5) wurde bereits hingewiesen. Klinisch-psychologische Interventionen beruhen in ihrer Konzeption nicht auf Alltagswissen, privaten Erfahrungen oder Überzeugungen, sondern auf z. B. lerntheoretischen, kognitionspsychologischen, psychodynamischen oder philosophischen/humanistischen Theorien. Diese theoretischen Grundkonzepte klinisch-psychologischer Interventionen werden in Kapitel 2 dieses Bandes ausführlicher vorgestellt. Professionelles Handeln beschreibt außerdem das „Wer“ bezogen auf den Behandler: Entsprechend ausgebildete Psychologen, Berater oder Ärzte verfügen über das für ihr Interventionsangebot notwendige Fachwissen. So kann z. B. der Beruf des Psychotherapeuten gemäß dem Psychotherapeutengesetz (s. unten) nur von einem Psychologen mit Hochschulabschluss und anschließender Weiterbildung (Psychologischer Psychotherapeut) oder von einem Arzt mit entsprechender Facharztweiterbildung bzw. Zusatzqualifikation ausgeübt werden.

Damit bleibt allerdings noch die Frage offen: „Bei wem sollte interveniert werden“? Die Beantwortung dieser Frage fällt, wie oben beschrieben, der Diagnostik und Indikation zu. Als wichtige Klientenoder Patientenmerkmale, die über die Interventionsbedürftigkeit entscheiden, sind zu nennen: Schwere der Beeinträchtigung (Komplexität und Chronizität der Probleme, Ausmaß der sozialen Beeinträchtigung), Persönlichkeitsmerkmale (individueller Copingstil, Selbstwertempfinden, Widerstand und Motivation) und Umweltfaktoren wie etwa soziale Unterstützung, zwischenmenschliche Aspekte und Ressourcen des Klienten (Lutz, Mocanu & Weinmann-Lutz, 2010). Nicht zuletzt sind Einsicht in das Vorliegen eines Problems, wahrgenommene Behandlungsbedürftigkeit und das Vorhandensein einer geeigneten Interventionsstrategie wichtig.

Auf der Ebene einer einzelnen Person (intrapersonelles System) können sich Interventionen auf einzelne gestörte Funktionen (z. B. Denken, Emotionen, Wahrnehmung, Gedächtnis, ...) oder auf gestörte Funktionsmuster (Affektive Störungen, Angststörungen, ...) beziehen. Interventionen auf der zwischenmenschlichen Ebene (interpersonelle Systeme) können beispielsweise bei Dyaden und Paaren, in Familien, Schulen oder Betrieben stattfinden, z. B. im Kontext …

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