Musikpsychologie - Musikselektion zur Identitätsstiftung und Emotionsmodulation

Musikpsychologie - Musikselektion zur Identitätsstiftung und Emotionsmodulation

 

 

 

von: Wolfgang Auhagen, Claudia Bullerjahn, Holger Höge

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2011

ISBN: 9783840923876

Sprache: Deutsch

250 Seiten, Download: 1961 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Musikpsychologie - Musikselektion zur Identitätsstiftung und Emotionsmodulation



Tatsächlich sind bzw. waren Xylophone aber in Wirklichkeit gar keine typischen Instrumente der Ndebele. Vielmehr bevorzugten sie traditionell Vokalmusik, und der Gebrauch von Musikinstrumenten war bis weit ins 20. Jahrhundert im Wesentlichen auf Musikbogenund Rasselspiel beschränkt (vgl. Laade, 1991). Die unter der Shona-Bevölkerung verbreitete Idee, Xylophone in Zimbabwe entstammten der Kultur der Ndebele, beruht dagegen auf einer ziemlich neuen Entwicklung. An einer Musikakademie in Bulawayo, einer im Süden des Landes, also im NdebeleTerritorium gelegenen Stadt, hat man sich nämlich vor einigen Jahren bemüht, das Angebot an Instrumentalfächern zu verbreitern, u.a. um Xylophonspiel. Der Gebrauch solcher Instrumente kann also unterschiedlich gedeutet werden. Aus der Perspektive der Shona kann man sie als etwas Fremdes ansehen, das aus dem Süden – also von den Ndebele – stammt. Jemand mit etwas Hintergrundinformationen über das College of Music in Bulawayo würde diese Entwicklung dagegen als den Versuch interpretieren können, Musikinstrumente aus anderen afrikanischen Ländern in die urbane Musikszene Zimbabwes zu integrieren. Ein westliches Publikum wird bezüglich der Instrumentierung eines Stücks wie „Nyamaropa pachipembere“ der Shona-Musikerin Stella Chiweshe (von der CD Chisi) wohl annehmen, sie enthalte „einige traditionelle afrikanische Instrumente“, ein Shona-Publikum würde dagegen die Xylophone als externen Kulturimport wahrnehmen.

4.2.3 Beispiel 3: Gamelan

Im Folgenden soll ein Beispiel aus einer asiatischen Kultur angeführt und der Frage nachgegangen werden, wie in zentraljavanischer Gamelan-Musik melodische Patterns während der Performance extemporiert werden. Es gibt hier bestimmte Grundprinzipien, wie die Spieler bestimmter Gongspiele und Metallophone innerhalb des Ensembles ihre konkreten Spielparts aus der komponierten Kernmelodie eines Stücks mittels konventionell üblicher Regeln ableiten. Ein Experte kann darüber hinaus sofort erkennen, ob der Part im Stil eines der bekannten kulturellen Zentren dieses musikalischen Idioms wie Surakarta, Yogyakarta oder Semarang ausgeführt wird. In den Abbildungen 2 und 3 finden sich einige sehr einfache Beispiele für solche lokalen Unterschiede, die ich im Rahmen von Workshops mit javanischen Gamelan-Experten kennengelernt habe, dargestellt am Metallophon peking (Abb. 2) und am Kesselgongspiel bonang panerus (Abb. 3).

Während grundsätzliche künstlerische Kompetenz innerhalb der Traditionen zentraljavanischen Gamelan-Spiels von Künstlerkollegen und fachkundigen Hörer(inne)n anerkannt wird, erwarten Experten ein idiomatisches Spiel, das die Besonderheiten eines der vorhandenen Regionaloder Lokalstile berücksichtigt und umsetzt. Eine Vermischung von Elementen aus verschiedenen dieser Idiome wird normalerweise nicht goutiert oder zumindest als unpassend eingestuft. Manchmal experimentieren heute zeitgenössische indonesische Komponisten in ihren Stücken gezielt mit solchen Kombinationen, aber deren Akzeptanz beschränkt sich oft auf einen kleinen Zirkel von Musikhochschuldozenten und -absolventen.

4.2.4 Beispiel 4: Afrikanische Timeline-Patterns

Bevor auf die lateinamerikanische Musik eingegangen wird, soll eine besondere Eigenschaft mancher afrikanischer Musikformen vorgestellt werden, die vor allem in vielen westafrikanischen Traditionen zu finden ist. Sogenannte Timeline-Patterns haben hier die Aufgabe, einen kontinuierlichen musikalischen Part zu liefern, an dem sich die anderen Musiker mit ihren eigenen Parts orientieren. Diese Timelines bestehen normalerweise aus einer asymmetrisch aufgebauten rhythmischen Figur, die ohne Variation zyklisch wiederholt wird. In Abbildung 4 ist eine der bekanntesten dieser Formeln zu sehen. Sie hat eine Länge von zwölf kleinsten Zeitwerten (Pulsen).

Solch ein Pattern weist eine feste Relation zum sog. Beat auf9. So wird meist die aus einer Folge isochroner Schläge bestehende Orientierungsebene genannt, die allerdings nicht unbedingt hörbar gemacht werden muss. Sie kann auch als rein mentales Raster, auf das alle tatsächlich gespielten rhythmischen Figuren bezogen werden, die Zeit gliedern. Interessanterweise heben sich die betreffenden Musikkulturen nicht allein durch die Existenz dieser Timelines von angrenzenden ab, die dieses Element nicht aufweisen. Darüber hinaus kann die Beat-Relation eines rhythmischen Patterns von einer Kultur zur anderen unterschiedlich sein und so als ein ethnisch spezifisches Merkmal dienen, das entweder Zugehörigkeit oder Differenz signalisiert. Da die regelmäßigen Beats auch die Basis für die Tanzschritte und -bewegungen bilden, wird jegliche Unsicherheit hinsichtlich der intrakulturell korrekten Relation zwischen beiden Ebenen der temporalen Organisation, also Beat und Timeline, beispielsweise bei jemandem aus einer Tradition mit anderer Beat-Relation unmittelbar offensichtlich.

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