Kommunitarismus
von: Walter Reese-Schäfer
Campus Verlag, 2001
ISBN: 9783593415338
Sprache: Deutsch
158 Seiten, Download: 603 KB
Format: EPUB, PDF, auch als Online-Lesen
3 Ästhet, Manager und Therapeut als Charaktermasken: Alasdair MacIntyre (S. 47-48)
Alasdair MacIntyre ist der Moralphilosoph unter den Kommunitariern. Seine Wertmaßstäbe liegen in der Ideengeschichte. Darauf basierend entwickelt er eine radikale Modernitätskritik, die gleichermaßen souverän auf Aristoteles, den heiligen Benedikt, Marx und Trotzki zurückgreift. Die vorherrschenden Sozialcharaktere der Gegenwart, nämlich der Ästhet, der Manager und der Therapeut, erscheinen allesamt als unerträgliche Rollenmodelle. MacIntyres Denkansatz ist so radikal, dass er als der Einzige unter den Kommunitariern keine Reformperspektive aufzeigt und auch nicht aufzeigen will. Der kommunitarischen politischen Praxis steht er dadurch fern.
Im Unterschied zu den anderen kommunitarischen Kritikern des Liberalismus bietet Alasdair MacIntyre keinerlei politischpraktische Lösungen an, sondern beschränkt sich konsequent auf die Kritik. Anders als Michael Sandel käme er gewiss nicht auf den Gedanken, der Demokratischen Partei eine Rezeptur für ihren Sieg bei den Präsidentschaftswahlen auszustellen. So kann er die anderen Kommunitarier anRadikalität und Schärfe überbieten.Wenn ich sein Denken als die dritte unter den kom munitarischen Positionen darstelle, so ist das einerseits als Klimax gemeint, andererseits wollte ich aber auch dem Eindruck vorbeugen, alle Kommunitarier hätten ausschließlich Klagelieder über den Verfall der Sitten zu bieten. DerWert vonMacIntyres Denken liegt mehr in seinem eindrucksvollen Zugriff auf die gesamte Tradition der Moralphilosophie, die er in einer Reihe von Büchern dargestellt und kritisiert hat (z. B. MacIntyre 1966; dt. 1991). Diese Arbeiten erschienen ihm selbst als unzulänglich, und erst in seinem 1981 (dt. 1987) veröffentlichten Buch Der Verlust der Tugend hat er seine Kritik so sehr zugespitzt und auf den Punkt gebracht, dass von diesem Buch eine bemerkenswerte, über den akademischen Kreis hinausgehende Breitenwirkung ausging, die ihn mit einem Schlag bekannt machte.
Für ihn verkörpern der Marxismus wie der liberale Individualismus gleichermaßen das fragwürdige Ethos der modernen und sich modernisierendenWelt. Er glaubt,
»daß nichts weniger als die Ablehnung eines großen Teils jenes Ethos uns einen rational und moralisch vertretbaren Standpunkt liefert, von dem aus man urteilen und handeln kann – und aufgrund dessen man mehrere rivalisierende und verschiedenartige Moralsysteme, die um unsere Gefolgschaft wetteifern, zu bewerten in der Lage ist« (MacIntyre 1987, 10).