Migration und Psychosoziale Adaptation
von: Hans-Christoph Steinhausen / Cinzia Bearth-Carrari / Christa Winkler Metzke
Hogrefe AG, 2009
ISBN: 9783456947082
Sprache: Deutsch
129 Seiten, Download: 2661 KB
Format: PDF, auch als Online-Lesen
3 Konzepte und Befunde der Forschung (Seite 27)
Die Migrationsforschung kam in Europa und der Schweiz Ende der Achtziger- bzw. anfangs der Neunzigerjahre auf, als man nicht mehr länger von einer Gastarbeiterpolitik ausgehen konnte (Weiss, 2003). Einen wichtigen Schritt machte die Schweiz Mitte der Neunzigerjahre, als das Bundesamt für Gesundheit die Abteilung «Migration und Gesundheit» schuf. Seitdem setzen sich zahlreiche Disziplinen mit diesem Thema auseinander. In der Psychiatrie gibt es bereits seit geraumer Zeit ein Interesse an transkulturellen Fragen. Die transkulturelle Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters hat sich dabei zu einem Spezialgebiet der Migrationsforschung entwickelt (Siefen, 2005). Sie befasst sich mit den kulturellen Aspekten der Entstehung, Häufigkeit, Form und Therapie psychischer Störungen in verschiedenen Kulturen.
3.1 Prozessmodell psychischer Akkulturation
Unter Akkulturation wird zunächst ein Intergruppenphänomen verstanden (Schmitt- Rodermund &, Silbereisen, 2002): «Der Begriff Akkulturation umfasst Phänomene, die sich aus dem direkten, dauerhaften Kontakt von Individuen verschiedener kultureller Gruppen ergeben und deren Folge ein allmählicher Wandel des ursprünglichen kulturellen Musters entweder einer oder beider Gruppen ist» (Redfield, Linton &, Herskovits, 1936). Je stärker sich Residenz- und Herkunftsland kulturell voneinander unterscheiden, desto mehr Veränderungen verlangt es von beiden Seiten ab. Unter Akkulturationsstil versteht man die Einstellungen und das Verhalten von Migranten gegenüber der Residenzgesellschaft. Eindimensionale Modelle gehen davon aus, dass mit der Zeit eine zunehmende Angleichung an die Aufnahmekultur stattfindet. In zweidimensionalen Modellen unterscheidet man unterschiedliche Akkulturationsstile, unabhängig davon, wie lange man im Residenzland wohnt (vgl. Tab. 3.1). Berry (1997) betrachtet auf einer Dimension den Aspekt, ob ein Migrant es für wertvoll erachtet, die Kultur des Herkunftslandes beizubehalten.