Begutachtung von Pflegebedürftigkeit - Praxishandbuch zur Pflegebedarfseinschätzung bei Erwachsenen

Begutachtung von Pflegebedürftigkeit - Praxishandbuch zur Pflegebedarfseinschätzung bei Erwachsenen

 

 

 

von: Anne Meissner

Hogrefe AG, 2018

ISBN: 9783456957487

Sprache: Deutsch

368 Seiten, Download: 4261 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Begutachtung von Pflegebedürftigkeit - Praxishandbuch zur Pflegebedarfseinschätzung bei Erwachsenen



2 Allgemeine Rechtsgrundlagen der gutachterlichen Tätigkeit (S. 41-42)

Roland Uphoff und Joachim Hindemith

2.1 Einholung von Sachverständigengutachten als Beweismittel

Die Einholung von Sachverständigengutachten durch Gerichte ist heute ein weithin alltäglicher Vorgang, und zwar insbesondere im Zivilprozess. Je nach dem Gegenstand eines Rechtsstreits werden, wenn das Gericht zu einer sachgerechten Entscheidung kommen will, Gutachten ganz unterschiedlicher Thematik benötigt (typische Beispiele: Gutachten über Baumängel, Gutachten von Unfallursachenforschern über Ursachen und Ablauf eines Verkehrsunfalls, Gutachten zur Entstehung von Bränden, Gutachten über die Echtheit von Urkunden, Gutachten zu technischen Fragen, z. B. im Bereich des IT-Rechts). Die Praxis lehrt jedoch, dass die meisten Gutachten, die in Zivilprozessen eingeholt werden, medizinische Fragestellungen betreffen, wobei dieser Begriff hier sehr weit gefasst ist; er umfasst auch die typisch pflegewissenschaftlichen Fragen. Solche Fragen müssen im Bereich des Zivilprozesses vor allem dann gutachtlich geklärt werden, wenn die klagende Partei geltend macht, sie sei durch die beklagte Partei, z. B. ein Krankenhaus, gesundheitlich geschädigt worden und ein wesentlicher Teil des Schadens bestehe in vermehrten Bedürfnissen (§ 843 Abs. 1 BGB), die gerade daraus resultierten, dass sie infolge ihrer gesundheitlichen Schädigung pflegebedürftig geworden sei.

Spezifisch pflegewissenschaftliche Fragen können auch in einem Rechtsstreit vor einem Sozialgericht auftauchen. Erhalten Betroffene nicht den erwarteten Pflegegrad, so kann nach einem erfolglosen Widerspruchsverfahren bzw. bei privat Versicherten auch ohne ein Widerspruchsverfahren gegen die Entscheidung der Pflegekasse der Klageweg beschritten werden. In einem solchen Rechtsstreit wird dann die Einholung eines pflegewissenschaftlichen Gutachtens erforderlich.

Das Sachverständigengutachten ist ein Beweismittel. Der Sachverständigenbeweis, der in allen einschlägigen Prozessordnungen geregelt ist, steht im Prinzip in einer Reihe mit den anderen in den verschiedenen Prozessordnungen, insbesondere also in der Zivilprozessordnung, vorgesehenen Beweisarten (Augenschein, Zeugenbeweis, Sachverständigenbeweis, Urkundenbeweis, Beweis durch Parteivernehmung). Dass ein Rechtsstreit im Allgemeinen nicht ohne Beweisaufnahme entschieden werden kann, hat naheliegende Gründe. Es kommt sehr selten vor, dass die Parteien hinsichtlich des Sachverhalts, aus dem ihr Rechtsstreit entstanden ist, völlig einig sind und nur über eine Rechtsfrage streiten. Eher kommt es vor, dass die Parteien zwar über den Sachverhalt streiten, dass es aber auf die von ihnen gegebenen unterschiedlichen Darstellungen nicht ankommt. In den allermeisten Fällen ist hingegen der Sachverhalt streitig und es kommt für die Entscheidung auf die insoweit bestehenden unterschiedlichen Darstellungen an. In diesen Fällen kann das Gericht den Streit der Parteien nicht ohne Sachverhaltsaufklärung entscheiden. Es muss also eine Sachverhaltserforschung vornehmen. Dies geschieht im Wege der Beweisaufnahme. Sie erfolgt im Zivilprozess auf Antrag der Parteien, in allen anderen Verfahrensarten von Amts wegen.

In aller Regel geht es dabei zunächst um die Klärung von Fakten. Zeugen werden vernommen, weil sie (potenziell) Wahrnehmungen gemacht haben, die sie dem Gericht schildern sollen. Auch der Urkundenbeweis dient in den meisten Fällen (nicht immer) der Tatsachenfeststellung. Die Behandlungsunterlagen eines Arztes oder Krankenhauses, die in Arzthaftungsprozessen immer beigezogen werden, dienen dazu, den Behandlungsgang in tatsächlicher Hinsicht aufzuklären. Augenschein und Parteivernehmung sollen ebenfalls der Sachverhaltsaufklärung dienen. Man muss allerdings sagen, dass der richterliche Augenschein im Zivilprozess eher ein Schattendasein führt. Es kommt z. B. vor, dass ein Gericht eine Unfallstelle besichtigt, um die örtlichen Verhältnisse besser erfassen zu können. Auch die Verletzungen, die z. B. ein Unfallopfer erlitten hat, können Gegenstand eines Augenscheinbeweises sein. Zu einer Parteivernehmung kommt es ebenfalls eher selten, weil die Voraussetzungen, unter denen eine Parteivernehmung zulässig ist, streng sind. Viel häufiger machen heute die Gerichte in den Fällen, in denen sich die maßgeblichen Vorgänge unter vier Augen abgespielt haben, von der Möglichkeit Gebrauch, die Parteien, und zwar meistens beide Parteien, ohne förmliche Parteivernehmung anzuhören (§ 141 ZPO). Die Ergebnisse einer solchen Anhörung kann das Gericht ebenso wie das Ergebnis einer Zeugenvernehmung frei würdigen.

Der Sachverständigenbeweis nimmt unter den anderen Beweisarten insofern eine Sonderstellung ein, als die Aufgabe des Sachverständigen in aller Regel nicht darin besteht, den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufzuklären; vielmehr soll der Sachverständige auf der Basis seiner besonderen Sachkunde dem Gericht bei der Beurteilung des Sachverhalts behilflich sein. Geht es also z. B. um die Frage, ob einem Arzt ein Behandlungsfehler unterlaufen ist, so bedarf es zunächst in tatsächlicher Hinsicht der Klärung, wie der Arzt vorgegangen ist, was er also im Einzelnen getan oder veranlasst hat. Aufgabe des Sachverständigen ist es dann, dieses Vorgehen des Arztes fachlich zu würdigen. Erst auf der Basis einer solchen vorausgehenden fachlichen Bewertung kann das Gericht eine auf ihr aufbauende rechtliche Bewertung vornehmen.

Völlig trennscharf lässt sich diese Unterscheidung allerdings nicht durchführen. Häufig werden Sachverständige auch damit beauftragt, Tatsachen zu ermitteln, wenn dies nur aufgrund besonderer Sachkunde möglich ist. Das Gericht kann dem Sachverständigen z. B. aufgeben, einen Patienten zu untersuchen.

2.2 Erhebung des Sachverständigenbeweises im Besonderen

Die Normen, die die Erhebung des Sachverständigenbeweises im Rechtsstreit regeln, sind Bestandteil des Prozessrechts; sie finden sich demgemäß in verschiedenen Prozessordnungen. Für den Zivilprozess gelten §§ 402–414 der Zivilprozessordnung (ZPO). Im Strafprozess ist das Recht der Beweiserhebung durch Sachverständige in §§ 72–93 der Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Die einschlägigen Regelungen des Sozialgerichtsprozesses finden sich in §§ 103, 109, 118 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), wobei § 118 SGG eine Bezugnahme auf die einschlägigen Normen der ZPO enthält.

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