Psychodynamische Therapien mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen - Geschichte, Theorie, Praxis

Psychodynamische Therapien mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen - Geschichte, Theorie, Praxis

 

 

 

von: Arne Burchartz, Hans Hopf, Christiane Lutz, Hans Hopf, Arne Burchartz, Christiane Lutz

Kohlhammer Verlag, 2016

ISBN: 9783170298651

Sprache: Deutsch

211 Seiten, Download: 2915 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Psychodynamische Therapien mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen - Geschichte, Theorie, Praxis



2          Das Spiel ersetzt die Traumerzählung (Hermine Hug-Hellmuth, Anna Freud, Melanie Klein)


 

 

2.1       Am Beginn der Kinderpsychotherapie steht eine Tragödie


 

Hermine Hug-Hellmuth (eigentlich Hug Edle von Hugenstein, *1871 in Wien, †1924 Wien) gilt als die erste Kinderanalytikerin. Von Anfang an war sie davon überzeugt, dass das identische Ziel der Erwachsenen- wie der Kinderanalyse die Herstellung von psychischer Gesundheit sei. Unterschiede resultierten ihrer Meinung nach aus der noch nicht ausreichenden Einsicht der Kinder, die weder aus eigenem Antrieb zur Behandlung kommen, noch an ihrer Vergangenheit leiden oder sich gar ändern möchten. Als bedeutendste Neuerung führte Hug-Hellmuth ein, neben den Träumen auch auf das Spiel der Kinder einzugehen. Sie war der Auffassung, dass sich in den Spielformen manche Symptome, Eigenheiten und Charakterzüge erkennen ließen; bei jüngeren Patienten würde das Spiel sogar seine herausragende Rolle während der ganzen Behandlung behaupten (vgl. Heinemann & Hopf 2015). Inwieweit und wann freie Assoziation überhaupt anwendbar sei, ließ sich ihrer Meinung nach lediglich von Fall zu Fall entscheiden. Damit hat Hermine Hug-Hellmuth als erste die dem Traum oder der freien Assoziation gleichgestellte Verwendung des Spiels in die Kinderanalyse eingeführt (vgl. Geissmann & Geissmann 1994).

Ihre Leistungen auf dem Gebiet der Kinderpsychoanalyse wurden allerdings von den Umständen ihres Todes überschattet. Hug-Hellmuth hatte ihren Neffen, nichteheliches Kind ihrer Schwester, als kleines Kind selbst analysiert. Im Alter von 18 Jahren hatte er schließlich seine 53-jährige Tante, die seit seinem neunten Lebensjahr die gesamte Erziehungsverantwortung für ihn übernommen hatte, überfallen, beraubt und erdrosselt. Dieser tragische Vorfall bedeutete einen erheblichen Rückschlag für die gesamte Psychoanalyse, weil er alle damaligen Vorurteile zu bestätigen schien, dass es Schäden bewirken könnte, die Psychoanalyse in der Kindererziehung anzuwenden.

 

2.2       Anna Freud, die Verwalterin von Sigmund Freuds Werk


 

Als die eigentlichen Begründerinnen der Kinderanalyse gelten Anna Freud und Melanie Klein. Anna Freud (*1895 in Wien, †1992 in London) wurde als sechstes Kind von Martha und Sigmund Freud geboren. Ihr Traum, den sie im Alter von 19 Monaten hatte, wurde am Anfang des ersten Kapitels vorgestellt. Nach Gay (2006) wurde sie Sekretärin, Vertraute, Kollegin und Krankenschwester Freuds und vor allem zu einer glühenden Verfechterin und Verteidigerin seiner Theorien. Ihre ersten Überlegungen zur Technik der Kinderanalyse trug Anna Freud in vier Vorträgen vor der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung vor. Diese Vorträge wurden mit einem weiteren in dem Buch »Einführung in die Technik der Kinderanalyse« im Jahr 1926 publiziert.

Anna Freud entwickelte wesentliche Grundeinsichten der Kinderanalyse und eine spezielle Technik, die anfänglich darauf gründete, dass das Kind im Gegensatz zum Erwachsenen noch ein unreifes und unselbständiges Wesen sei, und der Entschluss zur Analyse nicht vom Patienten selbst, sondern von den Eltern oder seiner sonstigen Umgebung komme: »So fehlt uns in der Situation des Kindes alles, was in der des Erwachsenen unentbehrlich erscheint: die Krankheitseinsicht, der freiwillige Entschluss und der Wille zur Heilung« (1973, S.  16). Manche ihrer Ausführungen zur Einleitung einer Analyse und ihre frühen Äußerungen zum Erziehungsverständnis muten heute etwas befremdlich an. Wie bei Hug-Hellmuth können wir ihr damaliges Verständnis von Erziehung nur aus historischer Perspektive betrachten. Mittlerweile sehen wir es auch als Grenzüberschreitung in der Kinderanalyse, wenn – wie in den Anfangszeiten – Analytiker ihre eigenen Kinder analysieren, Sigmund Freud seine Tochter Anna, Melanie Klein zwei ihrer Kinder und Hug-Hellmuth ihren Neffen. Eine Vermischung von Elternschaft und Therapeut/Therapeutin wird inzwischen als inakzeptabel betrachtet, auch, aus ähnlichen Überlegungen, die gleichzeitige Behandlung von Familienangehörigen.

Einen besonderen Stellenwert nahm bei Anna Freuds kinderpsychoanalytischer Arbeit immer noch die Traumdeutung ein. »Dafür haben wir in der Traumdeutung ein Gebiet, in dem man von der Erwachsenen- zur Kinderanalyse nichts umzulernen hat« (ebd., S.  36). Das Kind stehe dem Traum noch näher als der Erwachsene. Darum sieht Anna Freud im Traum ein wesentliches Mittel der Kinderanalyse, das selbst weniger intelligenten Kindern (ebd., S.  36) zugänglich sei, da auch sie die Deutungen der Träume verstünden. Als großes Handicap sah sie lange Zeit, dass Kinder nur gelegentlich assoziieren. Die Einfallstechnik der Erwachsenen wurde bei ihr, hier griff sie auf die Arbeiten von Hug-Hellmuth und Klein zurück, durch das Spiel ersetzt.

Anna Freud glaubte, eine positive Übertragung herstellen zu müssen, negative Übertragungen gelte es abzubauen, »die eigentlich fruchtbringende Arbeit wird immer in der positiven Bindung vor sich gehen«, so Anna Freud (ebd., S.  54), daher war ihre Einleitung zur Kinderanalyse sehr aufwendig. Zudem ging sie davon aus, dass Kinder keine Übertragungsneurosen ausbilden, weil sie noch völlig von den Eltern bestimmt würden. Doch immer mehr begann sie, die Behandlungstechnik dem Kinde anzupassen: Kinder können sich zwar verbal ausdrücken, sie bekamen jedoch ergänzend Möglichkeiten angeboten, zu spielen, zu malen, zu dramatisieren oder zu agieren. Das Agieren müsste allerdings wiederum eingegrenzt und beherrscht werden, indem es von einem ständigen Deuten und Verbalisieren begleitet würde. Anna Freud ging davon aus, dass das Verbalisieren dem Ich des Kindes mit der Zeit die Möglichkeit verleihen würde, zwischen Wünschen und Phantasien einerseits und der Realität andererseits zu unterscheiden (Freud 1965, S. 2153; vgl. auch Katan 1961). Neben dem Verbalisieren erschien ihr die Durcharbeitung von Ich-, Es- und Über-Ich-Widerständen geboten sowie die Arbeit mit der Übertragung (Freud 1965, S. 2157).

Nach ursprünglicher Meinung von Anna Freud könnten Kinder zwar einzelne Übertragungsreaktionen entwickeln, jedoch keine volle Übertragungsneurose zustande bringen. Diese Tatsache rühre daher, weil das Kind – wie bereits erwähnt – noch in direkten Objektbeziehungen mit seinen Eltern in seinem häuslichen Umfeld lebt und der Analytiker Liebe und Hass mit den Eltern teilen muss. Da sich der Kinderanalytiker zudem viel aktiver in das spielerische Geschehen einlassen müsse, bleibe er natürlich auch nicht – wie der Erwachsenenanalytiker – restlos abstinent, sondern werde für das Kind eine unverwechselbare Persönlichkeit. Anna Freud gebrauchte in diesem Zusammenhang eine Kinometapher: Ein Bild lasse sich auf eine Leinwand, auf welcher bereits ein Bild sei, nur schlecht projizieren. Diese Überzeugung hat Anna Freud später revidiert (Freud 1965, S.  2157), als die ehemalige einleitende Phase nach Entwicklung der Ich-Psychologie durch eine konsequente Abwehranalyse ersetzt wurde. Hamann (1993) ist der Überzeugung, dass es im Laufe der Zeit zu vielerlei Veränderungen und zu einer gewissen Annäherung an die Vorstellungen von Klein im Hinblick auf die Handhabung der Technik kam, die aber nicht zu deutlich werden sollte!

Die von Anna Freud und ihrer Schule entwickelte ich-psychologische Behandlungstechnik wurde in den 1970er Jahren in Deutschland zur vorherrschenden Lehrmeinung hinsichtlich einer wirksamen kinderpsychoanalytischen Arbeit. Ihre theoretischen Überlegungen und praktischen Anweisungen werden in dem Gesamtwerk Die Schriften der Anna Freud (1965) dargestellt. In dem von Bittner und Heller (1983) herausgegebenen Buch Eine Kinderanalyse bei Anna Freud, mit allen Notizen und Materialien und mit Erinnerungen von Peter Heller, wurden die Anfänge der Kinderpsychoanalyse detailliert und authentisch nachgezeichnet. Heller war von seiner eigenen Psychoanalyse bei Anna Freud geprägt und blieb mit ihr zeitlebens herzlich verbunden. Aber er übte auch sanfte Kritik aus, wenn er – durchaus liebevoll – die Meinung vertrat, dass Anna Freud und ihrem Kreis die Grundstimmung einer »altjüngferlichen Heiligkeit und eines Puritanismus anhaftete«… (ebd., S.  297f.).

Empfehlenswert ist die Lektüre der Gesammelten Werke. Jeder Studierende der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie sollte jedoch wenigstens die folgenden Arbeiten kennen:

•  »Das Ich und die Abwehrmechanismen«: Die wesentlichen Abwehrmechanismen werden von Anna Freud...

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