Einführung in das Kinder- und Jugendhilferecht

Einführung in das Kinder- und Jugendhilferecht

 

 

 

von: Christian Bernzen

Kohlhammer Verlag, 2016

ISBN: 9783170300248

Sprache: Deutsch

153 Seiten, Download: 380 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Einführung in das Kinder- und Jugendhilferecht



Kapitel 1:Einführung


Einleitung


1Das Achte Buch des Sozialgesetzbuchs ist das in Deutschland geltende Kinder- und Jugendhilferecht. Es ist mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) zum 1.1.1991 in das SGB eingefügt worden. Durch dieses Recht wurde das zuvor im Jugendwohlfahrtsgesetz, früher im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz, enthaltene Recht reformiert. Die rechtlichen Regelungen beschreiben die öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen junger Menschen; sie benennen die Leistungen der Jugendhilfe und die Aufgaben der öffentlichen Stellen. Die Einführung eines achten Buches in das Sozialgesetzbuch war das Kernstück des SGB.

Regelungsgegenstand dieses Buches des SGB ist ein Bereich der sozialen Wirklichkeit, der sich aus der Armenfürsorge entwickelt hat und mit den Worten „Jugendpflege“, „Jugendfürsorge“ und – diese Begriffe zusammenfassend – mit „Jugendhilfe“ bezeichnet wird.

Zum KJHG ist eine Reihe von Kommentaren sehr verschiedenen Umfanges erschienen. Sammelbände geben einen Überblick über die Auswirkungen der Regelungen auf die Jugendhilfepraxis. Einige monographische Darstellungen zu einzelnen Fragestellungen liegen vor. Dieses Einführungsbuch will – von praktischen Fällen ausgehend – in das Rechtsgebiet praxisorientiert einführen.

Großkommentare zum SGB VIII
(mehrbändige Arbeitsmittel für die wissenschaftliche und vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Fragen des Kinder- und Jugendhilferechts)

K. Hauck/A. Stähr (Hrsg.), SGB VIII, Berlin, Loseblattsammlung: Stand Dezember 2014; K.-W. Jans/G. Happe/H. Saurbier/U. Maas, Kinder- und Jugendhilferecht, Loseblattsammlung, Stuttgart; Stand April 2014; R. Wabnitz/G. Fieseler/H. Schleicher, Kinder- und Jugendhilferecht, Neuwied Loseblattsammlung: Stand Dezember 2014.

Handkommentare
(Werke zur vertieften Auseinandersetzung mit dem Recht)

H.-P. Jung (Hrsg.), SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe, Berlin 2006; P.-C. Kunkel (Hrsg.), Sozialgesetzbuch VIII, 5. Aufl., Baden-Baden 2014; E.-W. Luthe/G. Nellissen (Hrsg.), JurisPraxiskommentar SGB VIII, Saarbrücken 2014; W. Möller/Ch. Nix (Hrsg.), Kurzkommentar zum SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe, München 2006; P. Mrozynski, Kinder- und Jugendhilfegesetz, 5. Aufl., München 2009; J. Münder u. a., Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl., Baden-Baden 2013; W. Schellhorn u. a. (Hrsg.), SGB VIII/Kinder- und Jugendhilferecht, 5. Aufl., Neuwied 2015; R. Wiesner (Hrsg.), SGB VIII, 5. Aufl., München 2015.

Auf zwei Wörterbücher zum Kinder- und Jugendhilferecht soll an dieser Stelle ebenfalls hingewiesen werden:

AGJ (Hrsg.), Kinder- und Jugendhilferecht von A-Z, München 2008; R. Wabnitz (Hrsg.), Handwörterbuch Kinder- und Jugendhilferecht, Baden-Baden 2004.

2In dem vorliegenden Buch werden historische Bezüge und sozialwissenschaftliche Sichtweisen in die Darstellung nur insoweit einbezogen, wie es zum Verständnis der juristischen Probleme erforderlich ist. Dies geschieht in vollem Respekt vor jenen Zugängen zu den Themen der Jugendhilfe und in dem Wissen, dass ein juristischer Zugriff besonders auf diese Themen notwendigerweise beschränkt ist. Mit ihren geisteswissenschaftlichen Methoden, Sollenssätze von Sollenssätzen abzuleiten, verzichtet die Rechtswissenschaft bewusst auf einen eigenen Zugriff auf die sozial- und naturwissenschaftlichen Formen der Erkenntnis, nämlich Regeln aus der Wirklichkeit abzuleiten. Insbesondere sozialwissenschaftliche Erkenntnisse aber sind für die jugendhilferechtliche Praxis von eminenter Bedeutung, weite Teile des Jugendhilferechts wären ohne sie unanwendbar. Deshalb werden in diesem Text die Stellen, an denen es entscheidend auf Erkenntnisse ankommt, die außerjuristischer Maßstäbe bedürfen, besonders gekennzeichnet. Falllösungen können so bei einem juristisch eindeutig richtigen Vorgehen tatsächlich mehrere richtige Ergebnisse haben, je nachdem, wie die Wirklichkeit zum Beispiel pädagogisch zutreffend zu beschreiben ist. Die sorgfältige Trennung der unterschiedlichen Zugänge zu einem praktischen Problem eröffnet für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter genauso wie für Juristinnen und Juristen die Möglichkeit, in eigener Kompetenz ihren jeweils notwendigen Beitrag zur Lösung eines Falles und damit letztlich zugunsten junger Menschen zu leisten.

Die ausgewertete Literatur und die zitierten Gesetze befinden sich auf dem Stand vom November 2015.

Dieses Buch ist wesentlich durch meine Lehrtätigkeit an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin inspiriert. Die Struktur ist von der Struktur der Lehrveranstaltungen zur Einführung in das Kinder- und Jugendhilferecht beeinflusst. Den Studentinnen und Studenten danke ich für vielfältige Hinweise und Nachfragen, die mich zu einer möglichst verständlichen Darstellung des Stoffes angespornt haben. Meinen Partnerinnen und Partnern in meiner Anwaltssozietät danke ich für einen fortdauernden und intensiven fachlichen Austausch und viele gute Ideen.

A. Die Entwicklung der Kinder- und Jugendhilfe


I.Voraussetzung


3Voraussetzung dafür, dass es ein Jugendhilferecht geben kann, ist das Bestehen einer Jugend. Dieses ist uns heute selbstverständlich, in Deutschland aber gab es die Jugend als eigenständige Lebensphase vor etwa 1850 nicht. Kinder lernten das für ihr Leben Erforderliche im besten Falle in der Schule und der Lehre, dann begann die Zeit des Erwachsenenlebens. Lediglich eine geringe Zahl ausschließlich männlicher Studenten hatte die Möglichkeit, in einer Weise zu leben, die man heute als jugendtypisch bezeichnen würde: Weitgehende Freiheit von der Kontrolle der Lebensführung durch Erwachsene bei gleichzeitiger ökonomischer Abhängigkeit von diesen.

Mit der Industrialisierung änderten sich auch diese Verhältnisse: Die Anforderungen an die Mobilität und die Ausbildung der Arbeitskräfte nahmen zu, viele Menschen zogen an Orte, an denen sie Arbeit finden konnten, und die Ausbildungsphasen wurden länger. Die Jugend entstand als eigenständige Lebensphase der großen Mehrheit der Menschen in Deutschland. Seit dem ist die Zeit zwischen dem 15. und dem 20.–30. Lebensjahr der Menschen in Deutschland in besonderem Maße von Freiheit und Schutzlosigkeit gekennzeichnet. Auf beides haben die Erwachsenen vielfältig reagiert: Die Schutzlosigkeit junger Menschen hat diese vielfach zum Opfer von Ausbeutung gemacht, anderseits Zuwendung bewirkt. Ihre Freiheit wurde misstrauisch betrachtet und immer wieder beschränkt. Zugleich war und ist sie so faszinierend, dass sich die Jugendphase gerade nach 1950 immer weiter verlängert hat.

II.Erste Regelungen


4Die ersten rechtlichen Regeln in Deutschland, die auf die neue gesellschaftliche Realität von Jugend reagierten, waren Jugendarbeitsschutzbestimmungen. Mit ihnen sollte verhindert werden, dass junge Menschen – in Sonderheit junge Männer – durch übermäßige Einbeziehung in die Erwerbsarbeit im Kindes- und Jugendalter gesundheitlich Schaden nahmen. Ausdrücklich wurde in der Begründung zu den preußischen Bestimmungen zum Jugendarbeitsschutz darauf verwiesen, dass zu intensive Einbeziehung von männlichen Jugendlichen deren Gesundheit so beeinträchtige, dass sie als Soldaten nur eingeschränkt zu verwenden seien.

Ein weiteres wichtiges Thema der Jugendgesetzgebung war der Schutz junger Menschen vor Einflüssen, die als gefährdend angesehen wurden: sowohl durch Medien wie auch den Aufenthalt an bestimmten Orten.

Mit der Abwehr der Gefährdungen junger Menschen waren vor allem im Bereich der Kirchen und der sozialistischen Arbeiterbewegung Bestrebungen entstanden, die einerseits die jungen Menschen in ihrer Entwicklung fördern und andererseits „verwahrloste“ Jugendliche außerhalb des Elternhauses erziehen wollten. Schließlich entwickelten sich etwa seit Beginn des 20. Jahrhunderts eigene Zusammenschlüsse junger Menschen, die heute als Formen der Selbstorganisation bezeichnet würden. Solche Formen hatte es zuvor praktisch nur in studentischen Zusammenhängen gegeben. Nun entstanden auch im kommunalen und staatlichen Bereich immer mehr Bestrebungen, das Handeln zur Förderung und Kontrolle junger Menschen zusammenzufassen. Es entwickelten sich erste Jugendämter. In ihnen wirkten Menschen mit unterschiedlichen praktischen Erfahrungen mit Jugendlichen zusammen; eine eigene Berufsausbildung für diese Arbeit fehlte noch völlig. Mit der Schaffung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes (RJWG) wurde 1922 das erste Mal deutschlandweit ein einheitlicher organisatorischer Rahmen für diese Aktivitäten vorgegeben; öffentliche und nicht-staatliche gesellschaftliche Gruppen sollten in planvollem Zusammenwirken die Bedingungen des Aufwachsens junger Menschen verbessern („Jugendpflege“). Zugleich sollten die Eltern in ihrem Erziehungshandeln und die jungen Menschen in weiten Bereichen ihres Verhaltens überwachen und bei konkreten Gefährdungen einschreiten („Jugendfürsorge“). Über diese Aufgaben der neuen öffentlichen Stellen, der bei den Kreisen und kreisfreien Städten angesiedelten Jugendämtern, bestand gesellschaftlich weitgehend Einigkeit, entsprechend waren die Schwerpunkte in dem RJWG auf die organisatorischen Fragen gelegt. Wichtige Aufgaben, die die neuen Jugendämter erfüllen sollten, kosteten ungewohnt viel Geld. Im Rahmen der Krise der...

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