Posttraumatische Belastungsstörung - Diagnostik, Therapie und Prävention

Posttraumatische Belastungsstörung - Diagnostik, Therapie und Prävention

 

 

 

von: Sefik Tagay, Ellen Schlottbohm, Marion Lindner

Kohlhammer Verlag, 2016

ISBN: 9783170260702

Sprache: Deutsch

209 Seiten, Download: 4966 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Posttraumatische Belastungsstörung - Diagnostik, Therapie und Prävention



2         Historie der Psychotraumatologie


 

 

 

2.1       Historische Entwicklung der Psychotraumatologie


Psychotraumatische Ereignisse und ihre Folgen gehören seit jeher zu den Grunderfahrungen der Menschen. Die Menschheitsgeschichte war von Anfang an auch eine Geschichte individuellen Unglücks und kollektiver Katastrophen. Kriege, interpersonelle Gewalt, Naturkatastrophen und Epidemien mit schweren seelischen Erschütterungen und schmerzlichen Verlusten sind schon in den ältesten Schriften dokumentiert (Mythos von Gilgamesch, Altes Testament, Ilias von Homer). Schon immer hat es aber auch Versuche gegeben, die negativen Folgen psychischer Traumatisierung zu bearbeiten, abzumildern oder auszugleichen. Die Auseinandersetzung mit seelischer Verletzung fand bzw. findet bis heute auf verschiedenen Ebenen statt, wie beispielsweise in gesellschaftlich anerkannten Trauerritualen, mythologischen und religiösen Erzählungen, der Entwicklung der Heilkunde in der Kulturgeschichte vieler Völker, bildnerischen und literarischen Darstellungen sowie in philosophischen Reflexionen (Peterson et al., 1991).

Die wissenschaftliche Konzeptualisierung von Traumafolgestörungen nahm in der Chirurgie ihren Anfang. Von der Neurologie wurde dann die Frage nach den Traumafolgen weiter aufgegriffen, in der auch der Begriff der » traumatischen Neurose« geprägt wurde. Schließlich nahm der Begriff des Psychotraumas dann langsam einen Eingang in die psychosomatisch-psychologischen Fächer. Schon seit Anbeginn bestimmten zwei zentrale Fragen den wissenschaftlichen Diskurs: Sind die Menschen, die nach Gewaltereignissen seelisch mehr oder weniger zerstört sind, wirklich krank oder bilden sie sich ihr Leiden nur ein, vielleicht auch motiviert durch ein Interesse an Rente oder anderen Formen finanzieller Zuwendung? Und zweitens: Wenn sie krank sind, handelt es sich um eine körperlich-neurologische Erkrankung oder um eine psychologische Störung?

Berichte über die Auswirkungen traumatischer Erlebnisse sind in der Literatur vielfach dokumentiert. Ein anschauliches Beispiel findet sich im Tagebuch vom englischen Schriftsteller Samuel Pepys (1633–1703), der Zeuge des Londoner Großbrandes des Jahres 1666 geworden war; dabei wurden 75 % der Fläche der City of London zerstört. Sechs Monate später schrieb er: »Wie merkwürdig, dass ich bis zum heutigen Tag keine Nacht schlafen kann, ohne von großer Angst vor dem Feuer erfasst zu werden; und in dieser Nacht lag ich bis fast zwei Uhr morgens wach, weil mich die Gedanken nicht losließen.« (Daly, 1983, S. 66). Aus der Beschreibung werden die zentralen posttraumatischen Symptome erkennbar, wie z. B. die immer wiederkehrenden Gedanken an das Ereignis, die ständige Angst, wieder Opfer des Feuers zu werden, und eine erhöhte Wachsamkeit und Unruhe, die sich u. a. in einer Schlafstörung manifestiert.

Die Vorstellung, dass traumatische Erfahrungen psychische Folgeerscheinungen bewirken können, entwickelte sich in der medizinisch-psychologischen Diskussion im späten 19. Jahrhundert. So gab es dann auch erste systematische Beschreibungen der Symptome, die nach traumatischen Erlebnissen auftreten können, wie z. B. ungewolltes Wiedererleben des Traumas durch Flashbacks oder Alpträume, Anzeichen erhöhten Erregungsniveaus oder Schreckhaftigkeit und Schlafstörungen, wobei hier bezweifelt wurde, ob das Trauma-Ereignis selbst als wesentliche Ursache für die Symptomatik entscheidend war. Vielmehr wurden organische Ursachen für zentral gehalten. Im Jahre 1866 wurden von dem englischen Chirurgen Erichsen die psychologischen Probleme nach Eisenbahnunfällen sehr eindrucksvoll beschrieben mit der ganzen Symptompalette, wie wir sie aus der Beschreibung der posttraumatischen Störungen kennen (Erichsen, 1866). Diese Symptome versuchte er durch Rückenmarksprellungen zu erklären, was zu dem Begriff des » railway spine syndrome« führte. Dem widersprach sein chirurgischer Kollege Page (1883), der Ähnlichkeiten zur Hysterie (z. B. Symptome wie Lähmungen) sah und eher psychologische Gründe für Symptome nach traumatischen Ereignissen annahm. Die mit dem »railway spine syndrome« verbundenen Symptome wie Angst, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, belastende Träume, Irritierbarkeit und eine Vielzahl somatischer Erscheinungen verstand er als Folge ungünstiger psychologischer Entstehungsmechanismen. Der deutsche Neurologe Hermann Oppenheim (1889) schlug wenig später den Begriff der »traumatischen Neurose« vor und vermutete anatomische Veränderungen des Gehirns als Ursache.

Definition, Neurose: Sammelbegriff für eine Vielzahl von psychischen Störungen und Erscheinungsformen, deren Ursachen je nach psychologischer Richtung (z. B. Psychoanalyse, Verhaltenstherapie) uneinheitlich gesucht werden.

Heute im DSM-IV nicht mehr verwendeter (da diskriminierender) Begriff, von dem schottischen Arzt W. Cullen (1776) eingeführt (Häcker & Stapf, 2009). Er verstand darunter eine Nervenkrankheit, ohne anatomisch-pathologischen Befund. Der Umfang der damit gesammelten psychischen Störungen wird von der theoretischen Position der Autoren bestimmt. Aus psychoanalytischer Sicht sind Neurosen ein unbewusster Widerstand und die neurotischen Symptome lediglich Äußerungen psychodynamischer Konflikte. Dagegen werden von verhaltenstherapeutisch orientierten Autoren die neurotischen Konflikte selbst in den Vordergrund gestellt und als gelernte Fehlsteuerung interpretiert. Gemeinsam gilt ihnen die Neurose als Nichtbewältigung fundamentaler Lebensaufgaben. Eine grundlegende Theorie der Neurose stammt von Sigmund Freud. Nach ihm ist die Neurose das Resultat einer unvollständigen Verdrängung von Impulsen aus dem Es durch das Ich.

Wie Tabelle 2.1 demonstriert, verwiesen als Erste Pierre Briquet (1859), Herbert Page (1883) und Jean-Martin Charcot (Charcot & Richer, 1887) auf die psychischen Folgen traumatischer Erlebnisse. Im Jahre 1859 beschrieb der französische Psychiater Briquet Patienten mit hysterischen Symptomen und nahm bei einem großen Teil seiner Patienten traumatische Erlebnisse als Ursache der Erkrankung an. Auch der berühmte Neurologe Charcot (1825–1893) erforschte den Zusammenhang zwischen Traumatisierungen und hysterischen Symptomen. Charcot war entgegen der damaligen Lehrmeinung der Auffassung, dass traumatische Lähmungen nicht ausschließlich die Folge von Läsionen des Nervensystems seien, sondern in einem durch traumatische Erlebnisse ausgelösten Nervenschock begründet seien und damit eine psychische Ursache hätten.

Tab. 2.1: Historische Entwicklung der Psychotraumaforschung

Definition, Hysterie: Der Begriff der Hysterie (von griechisch hystera: Gebärmutter, verwandt mit lat. uterus) hat mit der Zeit einen solchen Wandel durchgemacht, wie kaum ein anderer Begriff aus der psychologischen Krankheitslehre. Bei der Hysterie handelt es sich um körperliche Beschwerden (z. B. Krampfanfälle, Arm- oder Beinlähmung, Ausfall der Sinnesorgane wie Stimmlähmung, Blindheit, Taubheit) ohne erkennbare medizinische Ursache. Im antiken Griechenland wurde die Ausbildung hysterischer Symptome auf die Wanderschaft der Gebärmutter zurückgeführt. Die Hysterie wurde vom griechischen Arzt Hippokrates (460–377 v.Chr.) erstmals beschrieben, der davon ausging, dass das Leiden von der Gebärmutter ausginge, die im Körper herumkrieche und wahlweise die Organe befalle. Deshalb könnten nur Frauen hysterisch sein – was sich später als Unfug erwies. Erst Breuer und Freud postulierten 1895 gemeinsam, dass Hysterie eine Neurose sei und ihren Ursprung in unbewussten seelischen Konflikten habe.

Pierre Janet (1859–1947) war französischer Psychologe, Philosoph und Psychiater in Paris. In seiner Freizeit arbeitete er als Freiwilliger im Krankenhaus von Le Havre und unternahm auf eigene Faust psychiatrische Forschungsarbeiten. Janet entwickelte ein umfassendes System der Psychologie und Psychopathologie. Er gilt als der Begründer der modernen dynamischen Psychiatrie. 1893 promovierte er über Hysterie und arbeitete ab 1894 in eigener Praxis. Zwischen 1890 und 1935 war er Inhaber des Lehrstuhls für experimentelle und vergleichende Psychologie am Collège de France. Sein Werk war eine der Hauptquellen für Freud (»Studien über die Hysterie«, Breuer & Freud, 1895) und weitere Psychoanalytiker wie Alfred Adler (1870–1937) und C.G. Jung (1875–1961). Er prägte als Erster das Wort »unbewusst«. Neben Charcot (Charcot & Richer, 1887) wies besonders Janet (1889) auf die Bedeutung der Traumata für ein Verständnis der hysterischen Symptombildung hin. Außerdem prägte Janet bereits 1889 den Begriff der...

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