Einführung in die Soziologie - Band 1: Der Blick auf die Gesellschaft

Einführung in die Soziologie - Band 1: Der Blick auf die Gesellschaft

 

 

 

von: Heinz Abels

VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2007

ISBN: 9783531905945

Sprache: Deutsch

402 Seiten, Download: 22065 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Einführung in die Soziologie - Band 1: Der Blick auf die Gesellschaft



1 Soziologisches Denken (S. 15)

In der Soziologie geht es nicht um ewige oder endgültige Wahrheiten, die einen beruhigen, sondern - so wird es am Ende dieses Kapitels heißen - um reflektierte Gewissheit. Die aber ist erst nach einiger Beunruhigung zu bekommen und - sie muss immer wieder neu gewonnen werden! Soziologie ist kein einfaches Geschäft, aber deshalb ist sie auch nicht langweilig. Mehr noch, sie vermag uns gerade dort zu überraschen, wo wir uns ganz sicher zu sein glauben.

Soziologie beginnt nämlich nicht weit über unseren Köpfen oder in einem fremden Land und auch nicht bei den anderen, sondern hier. Und deshalb müssen Sie auch damit rechnen, dass Soziologie Sie zunachst „desorientiert", wie es HANS PETER DREITZEL (*1935) einmal formuliert hat: Hans Peter Dreitzel: Desorientierung, Verfremdung, soziologisches Bewusstsein „Nichts braucht mehr Zeit und intellektuelle Anstrengung als die allmähliche Entwicklung eines ständig wachen soziologischen Bewusstseins. Denn es geht um eine vollständige Veränderung der gewohnten Perspektive, mit der wir uns in der Alltagswelt orientieren.

Der Anfänger im Studium der Soziologie wird denn auch seine Fortschritte zunächst an einer wachsenden und unter Umständen sehr tief gehenden Desorientierung gegenüber seinen eigenen Lebensverhältnissen erfahren, die nur durch die Faszination an dieser entfremdenden und relativierenden Erfahrung kompensiert werden kann. Nicht, dass das Studium der soziologischen Literatur sogleich zu umstürzenden Entdeckungen führen würde, im Gegenteil: Der Soziologe bewegt sich in der alltäglichen Welt der Menschen, seine Kategorien sind zumeist nur Verfeinerungen der Begriffe, in denen die Gesellschaft sich selbst versteht - Bürokratie, Betrieb, Klasse, Schicht, Rolle.

Daher erscheinen auch die Ergebnisse der soziologischen Forschung so oft als Banalität - man liest die Untersuchungen, findet die Ergebnisse selbstverständlich und fragt sich, wozu der große Aufwand nötig ist. Aber plötzlich entdeckt man eine Sicht der vertrauten Szenerie, die radikal das Bild der Dinge in Frage stellt, an dem man sich bisher orientiert hat. Mit diesem Wechsel der Perspektive beginnt die Faszination an der soziologischen Verfremdung unserer sonst so vertrauten sozialen Umgebung.

Wer diese verfremdende Wirkung des soziologischen Bewusstseins scheut, wer es vorzieht, die Gesellschaft und ihre Spielregeln für das zu nehmen, als was sie erscheinen und sich ausgeben, wird sich nicht ernsthaft mit der Soziologie abgeben konnen. Die Lektüre soziologischer Überlegungen und Untersuchungen wird ihn eher verwirren als orientieren, und ihre aufklärende Wirkung wird sein stereotypes Denken nicht erreichen." (Dreitzel 1966: Wege in die soziologische Literatur, S. 223)

Um die Verwirrung in Grenzen zu halten und die aufklärende Wirkung soziologischen Bewusstseins zu fordern, habe ich mir die Klage eines Mannes, der weder Wissenschaftler noch Soziologe war, zu Herzen genommen. Er hat die Gelehrsamkeit seiner Zeit so kritisiert: „Man treibt die jungen Leute herdenweise in Stuben und Horsäle zusammen und speist sie in Ermängelung wirklicher Gegenstände mit Citaten und Worten ab. Die Anschauung, die oft dem Lehrer selbst fehlt, mogen sich die Schüler hinterdrein verschaffen!" (zit. nach Falk 1832, S. 29)

Es war JOHANN WOLFGANG VON GOETHE, der sich vielleicht an sein eigenes Studium erinnert hat! Zwar werde ich nicht über „wirkliche Gegenstände" sprechen, denn in der Soziologie gibt es nur wenig, was man richtig anfassen kann, dennoch werde ich über „Wirkliches" sprechen, nämlich darüber, wie das soziale Leben im Innersten zusammengehalten wird und wie seine einzelnen Elementen wirken. In der Sprache der Soziologie waren das z. B. Strukturen, Prozesse oder Interaktionen. Um Sie aber nicht mit „Citaten und Worten" abzuspeisen, greife ich so oft wie möglich auf Alltagserfahrungen zurück.

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