Grundsätze sozialer Gerechtigkeit. (Theorie und Gesellschaft, Band 58)

Grundsätze sozialer Gerechtigkeit. (Theorie und Gesellschaft, Band 58)

 

 

 

von: David Miller

Campus Verlag, 2008

ISBN: 9783593402796

Sprache: Deutsch

383 Seiten, Download: 2785 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


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Grundsätze sozialer Gerechtigkeit. (Theorie und Gesellschaft, Band 58)



5 Verfahren und Ergebnisse (S. 139-140)

Gesellschaften sind in dem Maße gerecht, so habe ich behauptet, wie ihre wesentlichen Institutionen mit Grundsätzen des Bedarfs, des Verdienstes und der Gleichheit übereinstimmen – mit Grundsätzen, deren Zusammenspiel jedem einzelnen Gesellschaftsmitglied ein Ensemble von Vorteilen und Nachteilen zuweist. Diese Vorstellung ist von all denen scharf kritisiert worden, die behaupten, dass man Gerechtigkeit als Eigenschaft von Verfahren und nicht von Ergebnissen verstehen muss, und die deshalb die in diesem Buch vertretene Idee von sozialer Gerechtigkeit rundheraus ablehnen. Um diese Kritik beurteilen zu können, müssen wir zunächst einmal den Unterschied zwischen Verfahren und Ergebnissen klären. Ein Allokationsverfahren ist eine Regel oder ein Mechanismus, vermittels dessen ein Akteur – ein Individuum oder eine Institution – einer Anzahl anderer Akteure Vorteile (oder Lasten) zuweist. Im Mittelpunkt steht dabei der konkrete Prozess, durch den die Menschen Ansprüche auf verschiedenartige Vorteile erwerben. Als Beispiele für Verfahren könnte man also die Lohnzahlungen eines Arbeitgebers an seine Beschäftigten entsprechend einer festgelegten Vergütungsskala nennen, oder die Zuteilung von Krankenhausbetten an Patienten nach einer Prioritätenliste seitens einer Krankenhausverwaltung.

Mit einem Allokationsergebnis ist dagegen eine Bedingungskonstellation gemeint, die verschiedene Individuen in die Lage setzt, jederzeit eine Reihe von Ressourcen, Gütern, Gelegenheiten oder Anrechte zu genießen. Zu den Ergebnissen kann man etwa die Gesamtverteilung der Vermögen in einem gegebenen Land zu einem bestimmten Zeitpunkt zählen, oder Art und Ausmaß der medizinischen Behandlung, die Menschen mit bestimmen Krankheiten erhalten, oder die Gesamtheit der verschiedenartigen akademischen Grade, die den Absolventen der Universität Oxford im Jahr 1998 verliehen wurden.

Es ist offensichtlich, dass sich die drei bisher untersuchten Kriterien der sozialen Gerechtigkeit – Bedarf, Verdienst und Gleichheit – im Sinne dieser Unterscheidung auf Ergebnisse beziehen. Wenn wir fragen, ob die Menschen haben, was sie verdienen oder was sie brauchen, oder ob sie gleiche Rechte genießen, betrachten wir ein Endergebnis oder einen Endzustand, in dem die Menschen im sicheren Besitz gewisser materieller oder immaterieller Vorteile sind. Natürlich beziehen wir uns dabei auf eine Verteilung zu einem bestimmten Zeitpunkt, und natürlich muss man sich eine gerechte Verteilung nicht als etwas Statisches vorstellen: Die Ansprüche, Verdienste und Grundbedürfnisse verändern sich im Laufe der Zeit und daher ändert sich zwangsläufig auch die Gestalt der gerechten Verteilung. Bisher hat sich unsere Gerechtigkeitstheorie jedoch mit Ergebnissen befasst und nicht mit den Prozessen oder Mechanismen, durch die diese zustande kommen. Aber ist das die richtige Perspektive? Manche behaupten, dass Gerechtigkeit im Grunde eine Eigenschaft von Verfahren ist und dass wir mit der Rede von gerechten Ergebnissen streng genommen nur meinen können, dass diese durch gerechte Verfahren hervorgebracht worden sind.

Mit dieser Frage nach Verfahren und Ergebnissen ist die Frage verknüpft, wie gültig das Ideal der sozialen Gerechtigkeit als solches ist, unterstellt man mit dessen Beschwörung doch, dass es sinnvoll ist, die gesamtgesellschaftliche Verteilung von Vorteilen und Lasten im Namen der Gerechtigkeit zu beurteilen. Wenn Gerechtigkeit dagegen eine Eigenschaft von Verfahren und nicht von Ergebnissen ist, kann zwar jeder einzelne Akteur (Person oder Organisation) durch Übertretung der gerechten Verfahrensregeln im Umgang mit anderen Akteuren eine Ungerechtigkeit begehen, es gibt dann aber keine unabhängigen Grundlagen dafür, eine Endverteilung von Vorteilen und Lasten als gerecht oder ungerecht zu bewerten. Jede solche Verteilung könnte demnach gerecht sein, solange sie nur in einem korrekten Verfahren zustande gekommen ist.

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