Capabilities - Handlungsbefähigung und Verwirklichungschancen in der Erziehungswissenschaft

Capabilities - Handlungsbefähigung und Verwirklichungschancen in der Erziehungswissenschaft

 

 

 

von: Hans-Uwe Otto, Holger Ziegler

VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2008

ISBN: 9783531909226

Sprache: Deutsch

191 Seiten, Download: 790 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Capabilities - Handlungsbefähigung und Verwirklichungschancen in der Erziehungswissenschaft



Der Capabilities-Ansatz als neue Orientierung in der Erziehungswissenschaft (S. 9)

Hans-Uwe Otto / Holger Ziegler

Der mit den Namen des indischen Ökonomen und Nobelpreisträgers Amartya Sen (1992, 2000, vgl. Klasen/Günther 2006) und der US-amerikanischen Philosophin Martha Craven Nussbaum (vgl. 1999, 2006) verbundene Capabilities- Ansatz ist ein international zunehmend diskutierter, gerechtigkeitstheoretischer Ansatz, der die Frage nach einem guten Leben bzw. einer gelingenden praktischen Lebensführung in den Mittelpunkt stellt1.

Der primäre Fokus von Sens Capability Approach ist das Arrangement differenter Handlungs- und Daseinsweisen, über das je unterschiedliche Menschen verfügen und damit verbunden die Frage nach ihren positiven Freiheiten, sich für ein als erstrebenswert betrachtetes Leben entscheiden zu können. Demgegenüber schlägt Martha Nussbaum mit ihrem Capabilities Approach eine „objektive Liste" fundamentaler Möglichkeiten und Befähigungen vor, die sie als Grundlage eines erfüllten, gedeihlichen Lebens („human flourishing") im Sinne komplexer menschlicher Zustände und Handlungsweisen begründet.

Amartya Sen und insbesondere Martha Nussbaum schließen sich dabei mit ihren Begründungen des Capabilities-Ansatzes an eine aristotelische Ethik an, die im „tugendhaften Charakter" eine wesentliche Bedingung zur Führung eines solchen guten Lebens sieht. Ein solcher tugendtheoretischer Fokus ist für eine Erziehungswissenschaft attraktiv, die sich auf die Komplexität von Lebenswelten und Lebensführungen bezieht und auf AkteurInnen „mit einer konkreten Geschichte, Identität und affektiv-emotionalen Verfassung" (Benhabib 1989: 460) sowie auf Fragen von „Kultur, also von Haltungen, Einstellungen und symbolisch artikulierten Lebensentwürfen" (Brumlik 2007: 82).

Der aristotelischen Tradition folgend, nimmt der Capabilities-Ansatz über Regeln, Standards, Prinzipien und rationale Abwägungen hinaus auch Bedürfnisse, Neigungen, Empfindungen, Haltungen, Erlebnisperspektiven, Sinn- und Symbolsysteme sowie ästhetische Handlungsmotivationen der AkteurInnen in den Blick und verweist darauf, dass ein gutes Leben nicht nur ein individuelles, sondern immer auch ein soziales Projekt ist.

Mit seinem Bezug auf die aristotelische Tugendlehre stellt sich der Capabilities- Ansatz jedoch zugleich in eine Tradition, derzufolge sich ein gutes Leben dann einstellt, wenn Menschen ihr Leben gemäß einer spezifischen, ihnen ei- gentümlichen dispositionalen Anlage und Natur, führen (vgl. Quante 2003). Diese Prämisse alleine ist Anlass genug, um dem Capabilities- Ansatz mit Skepsis zu begegnen.

Denn eine solche Konzeptualisierung eines guten Lebens behauptet zumindest, über ein Grundverständnis darüber zu verfügen, was ein „wahres menschliches Leben" (Marx 1968) sei, um aus diesem eine objektive Bestimmung des Guten und eines gut geführten, erfüllten Lebens abzuleiten. Jeder Versuch, ein gutes, geglücktes oder glückliches Leben in einer solchen Weise substanziell zu bestimmen, gerät in den Verdacht eines metaphysisch-teleologischen Essentialismus.

Zumal, wenn in gängigen Interpretationen der aristotelischen Tugendtheorie das gute Leben im Sinne einer Erfüllungen essentieller Anlagen und Fähigkeiten und nicht als Selbstverwirklichung individueller Originalität und Einzigartigkeit in den Blick genommen wird (kritisch: Nussbaum 1999), münden hierauf berufende „Werde-der-du-bist"-Theorien eines gelingenden Lebens (vgl. Horn 2006) schnell in rückwärtsgewandte Formen der Modernisierungskritik, wie sie sich etwa in traditionalistischen Naturrechtsbegründungen aber auch im Zuge des Erstarkens eines neo-konservativen Kommunitarismus finden.

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