Soziale Arbeit mit Jungen und Männern

Soziale Arbeit mit Jungen und Männern

 

 

 

von: Walter Hollstein

Ernst Reinhardt Verlag, 2006

ISBN: 9783497603183

Sprache: Deutsch

361 Seiten, Download: 1777 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Soziale Arbeit mit Jungen und Männern



Gier, Macht, Ohnmacht: männliches Suchtverhalten (S. 155-156)

von Wolfgang Heckmann

Im Fokus der Prävention süchtigen Verhaltens stehen mit gutem Recht die jungen Menschen, deren Verhalten sich noch nicht verfestigt hat und deren körperliche, psychische und soziale Gefährdung durch Suchtstoffe noch nicht weit vorangeschritten ist. Es stellt sich aber auch die Frage, ob gerade die Altersgruppe der 10- bis 20-Jährigen mit der Warnung vor Risiken überhaupt erreichbar ist. Immerhin ist es das zweite Lebensjahrzehnt (das Jahrzehnt des Herauswachsens aus der Kindheit, des Durchlebens der Adoleszenz und hernach des Erwachsens aus dem Jugendalter), das die größte Dichte von Risiko-Verhaltensweisen in der Lebensspanne aufweist (Raithel 2004).

Nach beinahe 40 Jahren Geschichte jugendtypischen Konsums illegaler Drogen in Deutschland lässt sich als allgemeine, bisher gültige Entwicklungsbeobachtung Folgendes festhalten: Die große Mehrheit junger Menschen gibt – trotz des höheren öffentlichen und Medien-Interesses an „Drogen-Wellen", exotischen Drogen und fremdartigen Exzessen – nach wie vor den legalen Drogen den Vorzug: Die Einstiegs-Droge ist Nikotin, die Alltags-(Rausch)Droge ist Alkohol (Chrapa/Heckmann 2002). Nach allerdings weit verbreitetem experimentellen Konsum illegaler Drogen, vor allem der Cannabis-Produkte, im Jugendalter erfolgt im frühen Erwachsenenalter eine Abkehr von illegalen Stoffen, eine – oft auch so erlebte – Anpassung an „bürgerliche Lebensverhältnisse" und ein Übergang auch dieser Konsument/innen zum Vorrang legaler Drogen. Nur eine recht kleine Minderheit bleibt auch im höheren Lebensalter beim Konsum von Cannabis oder wird von anderen Drogen, z. B. von Opiaten abhängig.

Diese Entwicklungspassagen folgen dem auch bei anderen Formen von Devianz beobachteten Modus, der sich allein dem Einstieg in das Berufsleben und dem Eingehen ernsthafter Lebenspartnerschaften (Farrall/Bowling 1999, 259) verdankt. Das Aufgeben von abweichendem Verhalten ergibt sich zudem aus einem noch banaleren Umstand: „Der Prozess des Älter-Werdens selbst lässt den Reiz und die Situationen der Jugenddelinquenz zurückgehen" (Matt 1999, 271).

Dieses „maturing out", dieses Herausreifen oder -wachsen aus dem illegalen Drogen-Konsum („desistance" im Sprachgebrauch der Kriminologie, Böttger 2000, 77) wird dadurch ermöglicht bzw. erleichtert, dass die traditionell konsumierten Drogen der Hippies und Aussteiger von Cannabis bis Heroin im wesentlichen dämpfende, entspannende Wirkungen haben, diese aber ohne weiteres durch die legal verfügbaren Mittel wie vor allem Alkohol, aber auch zahlreiche Medikamente erreicht werden können. Seit Anfang der 90er Jahre lässt sich jedoch ein tiefgreifender Wandel erkennen: Während sich der Konsum von Opiaten stabilisiert hat, in einigen Regionen sogar als rückläufig angesehen wird, ist die illegale Verbreitung aufputschender Mittel, v. a. der Amphetamine und deren Derivate („speed", „Ecstasy" etc.) enorm angestiegen (DHS 1999). Diese Entwicklung unter jüngeren Konsument/innen ist insoweit überraschend, als Deutschland seit Jahrzehnten – bis auf wenige Ausnahmen, z. B. in Kriegs- und Wiederaufbau- Zeiten – auch in allen anderen Altersgruppen eher eine Konsum-Tradition mit regressiven Zielen des Dämpfens, des Beruhigens, des „Zu-Machens" hatte (Heckmann 2005). Sie entspricht aber andererseits einem weltweiten Trend, der erstmalig einer Drogen-Sorte, nämlich „Ecstasy", und ihrem Image als „modern" innerhalb von nur einem Jahrzehnt zur Verbreitung auf allen Kontinenten verholfen hat (Klee 1997).

Cannabis spielt zwar in Deutschland nach wie vor die Hauptrolle beim illegalen Konsum, sogar in Szenen, die eher mit „Ecstasy" und „speed" identifiziert werden, wie Raves undTechno-Parties (Tossmann/Heckmann 1997). Dennoch ist die Erfahrung, Party, Wochenende, Spaß und Abtanzen unter dem Einfluss aufputschender Drogen gemeinsam zu erleben, für die Jugendlichen nicht mehr nur in den großen Städten alltäglich geworden und wird – auch bei persönlicher Entscheidung für Abstinenz oder Vermeidung illegalen Konsums – weithin akzeptiert. Das Herauswachsen aus diesen Konsumgewohnheiten und die Passage in ein „bürgerliches Leben" ist nun aber ungleich viel schwerer, denn unter den legalen Suchtmitteln gibt es keine aufputschenden Stoffe mit vergleichbarer Potenz und vergleichbarem Image wie z. B. „Ecstasy". Wer den „pop-Humanismus" (Klee 1997), also das durch „Ecstasy" wie auf Knopfdruck herstellbare euphorische und erregende Gefühl der Zusammengehörigkeit in das Erwachsenen-Leben retten will, muss sehr viel mehr leisten – Kommunikation, Engagement usw., als nur die passende Droge zu finden. Diese Dynamik dürfte dafür sorgen, dass die gegenwärtige Jugend-Generation es sehr viel schwerer haben wird als frühere, den devianten Konsum wieder aufzugeben. Und für die Gesellschaft dürfte sie den Kern des Drogenproblems der kommenden Jahrzehnte bilden.

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