Die Gnosis - Reclam Sachbuch

Die Gnosis - Reclam Sachbuch

 

 

 

von: Barbara Aland

Reclam Verlag, 2014

ISBN: 9783159605623

Sprache: Deutsch

248 Seiten, Download: 1174 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Die Gnosis - Reclam Sachbuch



III  Ansätze der Forschung

Das Phänomen Gnosis hat seit über 250 Jahren das Interesse der verschiedensten geisteswissenschaftlichen Disziplinen hervorgerufen. Religionswissenschaftler, Philosophen und Theologen, Philologen aller Fachgebiete, Orientalisten und Judaisten widmeten der Gnosis intensive Arbeit. Die gnostischen Quellentexte, deren Abgrenzung im Einzelnen nicht unumstritten ist, wurden von den verschiedensten Interessen her behandelt und den unterschiedlichsten Auslegungsmethoden unterworfen. Es entstand eine Vielzahl von Gnosisbildern, die teilweise bis heute nachwirken und Aspekte des Gesamtphänomens bleibend sichtbar gemacht haben. Wir skizzieren hier lediglich einige Hauptlinien der Forschung.

Schon die ältere Forschung des 19. Jahrhunderts war sich des orientalischen (I. J. Schmidt), des jüdischen (J. F. Buddeus, A. Neander, F. C. Baur) und vor allem des griechischen Anteils an der Gnosis bewusst. In diesem letzten Sinn bemühte sich insbesondere Ferdinand Christian Baur (1792–1860) um eine Bestimmung des Verhältnisses des »Christlichen« zum sogenannten »Heidnischen« (d. h. für ihn »Griechischen«) in der Gnosis. Baur sah der Gnosis ein spekulatives, philosophisches, nicht so sehr ein religiöses Interesse zugrunde liegen, was die Gefahr der Verflüchtigung des christlichen Inhalts in sich geborgen habe. Die Gnosis beurteilte Baur, von Hegel beeinflusst, geradezu als eine Entwicklungsstufe des Christentums, auf der Christus nicht mehr nur als Heilsprinzip, sondern als allgemeines kosmisches Prinzip verstanden werde. Denn Hauptinhalt der gnostischen Systeme sei aufgrund ihres durch und durch dualistischen Charakters »der Prozess der Weltentwicklung«, der aus der Berührung der beiden dualistischen Prinzipien, Gut und Böse, Gott und Materie, entstehe. Christus werde als Vollender in den Zusammenhang der Wiederherstellung der gesamten Weltordnung gestellt. Es handele sich also nicht mehr um das, was Baur als »ursprünglich« ansah, um eine »Erlösung im sittlich religiösen Sinne«.9

Adolf von Harnack interessierte sich für die Gnosis im Rahmen der Entwicklung der christlichen Dogmengeschichte, beschäftigte sich daher nur mit den »hervorragenden gnostischen Schulen«, d. h. denen des Basilides und Valentin, »wie sie im 2. Jahrhundert auf griechischem Boden ein wichtiger Factor in der Geschichte der Kirche geworden sind«.10 Die übrigen Quellen, die aus den Kirchenvätern zu erheben sind, erkannte er zwar an, tat sie aber als »syrische Vulgärgnosis« (so in der 3. Auflage, S. 289), ja sogar als »Kehricht« (5. Auflage, S. 249) ab. Er sah die von ihm gemeinte Gnosis analog zur katholischen Ausprägung des Christentums in »Lehre, Sitte und Cultus« sich ausbilden (S. 250) und charakterisierte sie als »acute Verweltlichung, resp. Hellenisierung des Christentums« (S. 250). Diese Einordnung, die ihre bleibende particula veri behält, sollte – diese Einschränkung muss beachtet werden – den Gnostikern »ihre Stellung in der Dogmengeschichte« anweisen (S. 250). Hier liegt das Interesse Harnacks. Seine Formulierung wurde berühmt. Für Harnack sind die Gnostiker »kurzweg die Theologen des ersten Jahrhunderts gewesen« (S. 250), will sagen: des ersten kirchenhistorischen Jahrhunderts.

Im Gegensatz zu dieser Wahrnehmung der Gnosis vom Rahmen der Kirchengeschichte her bezog zu Anfang des 20. Jahrhunderts Wilhelm Bousset und mit ihm die Religionsgeschichtliche Schule die Quellenfülle, die schon damals in den Kirchenvätern angedeutet war, in die Gnosisforschung ein. Bousset wollte das »gesamte für die Gnosis in Frage kommende Religionsgebiet« überschauen,11 d. h. auch und vornehmlich die von Harnack sogenannte Vulgärgnosis. Er wurde der Exponent einer »entschlossene(n) Inangriffnahme und Weiterführung der allgemeinen religionsgeschichtlichen Betrachtung« des Phänomens Gnosis. Dabei wollte er sich nicht auf eine »gnostische Grundidee« festlegen, sondern bewusst die »reiche Mannigfaltigkeit nebeneinander liegender, sich mannigfach verschlingender Gedanken« der Gnosis stehenlassen und sie einem umfassenden religionsgeschichtlichen Vergleich unterziehen (S. 8 f.). Im Unterschied zu Harnack sah er den wesentlichen Wert der erhaltenen gnostischen Zeugnisse darin, dass sie »ganze Schichten untergegangener religiöser Vorstellungen und Anschauungen in der Versteinerung und Erstarrung« erhalten (S. 8). Also nicht die vorliegenden Quellen interessierten in erster Linie, sie waren ja versteinert und erstarrt, sondern was sie in sich bargen und was der Historiker Bousset anhand der »Überreste einer verschollenen religiösen Vergangenheit« (S. 8) wieder lebendig machen wollte. Er fasst diese »Vergangenheit« und damit die »Grundvorstellungen dieser Gnosis« in einem rekonstruierten kosmogonischen, dualistischen Mythos zusammen (S. 320 f.). Dessen Entstehung (die ihm »fast restlos klar geworden« ist, S. 321) führt er auf den »Zusammenprall persischer und babylonischer Religionsgedanken«, »griechische Einflüsse« und »orientalische Parallelen« zurück, sieht also in der Gnosis eine »im Grunde durchaus heidnische Religion« (S. 323). Diese Vorstellung führte in die Irre. Es gibt keinen rekonstruierbaren orientalischen, vorchristlichen gnostischen Mythos, wie sich gleich noch näher zeigen wird. Bei bleibender Hochachtung vor der geleisteten gewaltigen Sammelarbeit kann das heute gesagt werden.

In Weiterführung des Ansatzes von Bousset entwickelte Richard Reitzenstein12 als Inbegriff und Ursprung aller Gnosis einen vorchristlichen Mythos vom »erlösten Erlöser«, den er auf iranischen Ursprung zurückführte. Er verstand darunter die Vorstellung von einem himmlischen Lichtwesen, einem Gott, »Mensch« genannt, der in die Finsternis gerät und daraus erst wieder gelöst werden kann, nachdem er einen Teil von sich zurückgelassen hat. Dieser Teil ist die in den Menschen dieser Welt eingekerkerte Lichtseele, von gleicher Substanz wie das himmlische Lichtwesen, der »Urmensch«. Daraus ergibt sich: Sowohl das Lichtwesen »Urmensch« muss seine versprengten Teile sammeln, um wieder vollständig zu werden, als auch die im Körper gefangenen einzelnen Lichtseelen müssen durch das Lichtwesen wieder befreit und gesammelt werden, da sie nur so der Einkerkerung in den Körper der Finsternis entkommen können. Der Urmensch, der diese Sammelarbeit vollbringt, ist also im Wortsinne »erlöster Erlöser«.

Diese Vorstellung eines erlösten Erlösers, verbunden mit dem entsprechenden kosmogonischen und anthropogonischen Mythos, hat die Gnosisforschung lange geprägt, mit starken Auswirkungen in die Theologie und biblische Exegese. Heute ist aufgrund der gelehrten Arbeit von Carsten Colpe13 allgemein anerkannt, dass es einen solchen Mythos aus vorchristlicher, archaischer Zeit niemals gegeben hat. Er ist weder ein uraltes Gebilde, das durch viele Kulturen gewandert ist, um in unterschiedlichsten Überlieferungskreisen seine Spuren zu hinterlassen, noch handelt es sich um einen definierbaren Mythos, noch geht er auf einen Ursprung, sei es Iran (Reitzenstein) oder das Judentum (Quispel) oder welche Kombination von Ursprungsgebieten auch immer, zurück. In verschiedenen Variationen hat sich die Theorie eines Erlösermythos dennoch fortgesetzt (Puech, Schenke, Bianchi, Rudolph, Holzhausen). Dem ist ein gewisses Recht insofern nicht abzusprechen, als die erhaltenen gnostischen Mythen – nicht deren erschlossener Ursprungsmythos – gewisse übereinstimmende Strukturmerkmale zweifellos aufweisen. Ich arbeite aus verschiedenen Gründen nicht mit diesem Konstrukt, obwohl zuzugeben ist, dass die mythische Ausdrucksweise der Gnostiker immer auch rätselhaft bleibt. Dazu unten mehr.

Dass das Thema Gnosis bis heute eine so ungebrochene Anziehungskraft entfaltet, verdankt es zum wesentlichen Teil einer Deutung aus den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts, die mit Recht die »intellektuell bedeutendste und wirkmächtigste Interpretation der Gnosis« (J. Halfwassen) genannt worden ist, der von Hans Jonas (Gnosis und spätantiker Geist, Teil 1, Göttingen 1934, Teil 2/1, 1954). Jonas verstand die Gnosis, damals ausgehend von der Existenzphilosophie Martin Heideggers, als Ausdruck der menschlichen Daseinserfahrung der Angst, der Einsamkeit und des Ausgesetztseins in dieser Welt, die als abgrundtief fremd gegenüber dem eigenen Ich erfahren wird. Jonas hat diese als Grundbefindlichkeit des Gnostikers angesehene Haltung in mitreißenden Interpretationen gnostischer Texte aufgezeigt und damit zutreffend ein Moment der Distanzierung des Ichs von dieser Welt namhaft gemacht, das zweifellos in den Texten enthalten ist. Ob es das auslösende Moment für die Gnosis ist, darf gefragt werden. Nach Jonas provoziert diese Grunderfahrung das, was er die revolutionäre »Projektion« eines überweltlichen Gottes nennt. Der sich in dieser Welt als fremd erfahrende Mensch projiziert einen solchen Gott, der sich in unsagbarer Überlegenheit gegenüber dieser Welt befindet, um seine eigene Verwandtschaft mit ihm zu legitimieren. Ihm fühlt sich der Gnostiker zu eigen, belehrt durch eine Erkenntnis, die er auf Offenbarung dieses Gottes zurückführt.

Mit dieser Deutung war Außerordentliches geschehen. Jonas fand in den gnostischen Texten des 2. und 3. Jahrhunderts eine Lebenseinstellung wieder, die der eminent modernen Einstellung des Existentialismus in der Mitte des 20. Jahrhunderts außerordentlich nahe, ja analog war, und er konnte sie in den Texten aufweisen! Die alten, merkwürdigen und skurrilen Texte...

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