Politische Ideengeschichte

Politische Ideengeschichte

 

 

 

von: Marcus Llanque

De Gruyter Oldenbourg, 2007

ISBN: 9783486584714

Sprache: Deutsch

555 Seiten, Download: 4161 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Politische Ideengeschichte



1 Das griechische Gesprächsfeld (S. 15-16)

Der Ausgangspunkt der politischen Ideengeschichte liegt in Griechenland und nicht in den älteren Kulturen des babylonischen und ägyptischen Reiches oder den Kulturschichten, die das Alte Testament beschreibt. Politisches Denken war zwar vor den Griechen bekannt, nicht jedoch dessen Reflexion. Man kann beispielsweise das Alte Testament als Verfassung des Volkes Israel verstehen und das darin zum Vorschein gelangende politische Denken rekonstruieren und interpretieren (Herrmann 1988) oder man interpretiert die Genesis als politische Philosophie (Sicker 2002), man findet darin aber keine politische Theorie. Erst das griechische politische Denken wies den Weg zur politischen Selbstreflexion und zugleich blieb es als Anknüpfungspunkt weiterer Theoriearbeit beispiellos einflussreich auf die Kultur des Westens. Eine solche Selbstreflexion des politischen Denkens finden wir an keiner Stelle des Alten Testaments. Der Einfluss des Alten Testaments auf die Entwicklung des politischen Denkens setzt erst spät ein als Folge von spezifischen Rezeptionsprozessen.

Die ältesten griechischen Textzeugnisse politischen Denkens, allen voran die Homer zugeschriebene Ilias und Odyssee (8. vorchristl. Jahrhundert) sowie Hesiods Schriften (7. Jahrhundert), waren für die gesamte griechische Kultur Bezugspunkt der erst in der Klassik des 5. Jahrhunderts einsetzenden Reflexion, was das Politische sei. Bereits Mythos und älteste Dichtung des griechischen Kulturkreises kannten gedankenreiche Überlegungen zu sozialen Problemen (Lesky 1993, Fränkel 1960, 1993). Homer entwickelte in der Ilias (II 204) eine der ältesten und wirksamsten archaischen politischen Vorstellungen (u.a. zitiert bei Aristoteles Metaphysik Buch Lambda a. E., Bekker 1076a): die Vorzüge einheitlicher Herrschaft und damit die Legitimität fürstlicher Regierung. Die archaische Zeit maß das Handeln des Einzelnen nach den Werten der feudalen Kriegerkaste. „Immer Bester zu sein und überlegen zu sein den andern" hieß es bei Homer (Ilias VI 208, XI 783). Dies war ein „heroischer Code", der mit Eintritt in das Zeitalter der Polis zum Tugendklischee wurde und seinen institutionellen Platz auch im sportlichen Wettkampf fand, beispielsweise in den panhellenischen Spielen (Davies 1983, 140-141). Die homerischen Epen Ilias und Odyssee waren Bezugspunkt topischer Argumentation für den gesamten griechischen Sprachraum und formten ein hellenisches Kulturverständnis, das sich durch die expansive Kolonialbewegung über den gesamten Mittelmeerraum ausbreitete. Umschlagplätze für Ideen innerhalb der griechischen Zivilisation waren kultische Einrichtungen, allen voran Delphi mit seinem Orakel (Meier 1983, 73-76), das selbst von räumlich ferneren und zeitlich jüngeren Zivilisationen (Rom) aus dem Westen wie dem Mittleren Osten befragt wurde.

Zweimal versuchte das Persische Reich vergeblich, die kleine Halbinsel auf der anderen Seite der Ägäis zu unterwerfen. Aus den kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem übermächtig scheinenden persischen Großreich im 5. Jahrhundert erwuchs ein exklusives Selbstbewusstsein der Griechen, das sich nicht zuletzt aus der Beobachtung eines anderen Verständnisses von Politik speiste. Sie grenzten ihre Lebensart, die auf politische Selbstbestimmung ausgerichtet war, scharf von den Herrschaftsformen ab, die man bei den „Barbaren", also den nicht Griechisch sprechenden Völkern ringsumher beobachtete, allen voran den Völkern des Persischen Großkönigs. Die bei den Persern praktizierte Unterwerfung der Untertanen unter die unhinterfragte Alleinherrschaft war das Kontrastbild zum griechischen Politikverständnis. Noch Aristoteles definierte kategorisch, das Leben der Freien sei demje- nigen des Despoten vorzuziehen (Politik 1325a24). Despotie war gleichgesetzt mit A-Politie, also dem Verzicht auf Politik überhaupt.

Vor den Perserkriegen brachten die bedeutendsten kulturellen Leistungen nicht das griechische Mutterland, sondern die Kolonien in Sizilien, Unteritalien und dem griechischen Teil Kleinasiens (Ionien) hervor. Hieron, nach dem Xenophon ein Jahrhundert später eine Abhandlung benannte, war der vielleicht berühmteste Alleinherrscher Siziliens, der an seinem sog. Musenhof zu Syrakus 478-467 (also kurz vor Anbruch des klassischen Zeitalters in Athen) die Künste, besonders die Lyrik, zu einem frühen Höhepunkt führte. Sizilien war auch der Ausgangspunkt einer der wichtigsten Wandlungen der Struktur des Gesprächsfeldes, der Rhetorik. Die Perserkriege konnten nur siegreich bewältigt werden, weil die Hellenen auf Sizilien dem karthagischen Angriff aus dem Westen standhielten und so dem griechischen Mutterland die Möglichkeit gaben, sich auf die persische Invasion aus dem Osten zu konzentrieren. Aus Ionien in Kleinasien stammten die ersten bedeutenden Beiträge zur Philosophie (Heraklit). Auch das kolonialisierte Unteritalien brachte mit der dort beheimateten Schule der Pythagoreer bedeutende Leistungen hervor, die beispielsweise auf die sokratische Philosophie einen nicht zu unterschätzenden Einfluss ausübten.

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