Ist Gott die Liebe? - Spurensuche in Bibel und Tradition

Ist Gott die Liebe? - Spurensuche in Bibel und Tradition

 

 

 

von: Hansjürgen Verweyen

Verlag Friedrich Pustet, 2014

ISBN: 9783791760230

Sprache: Deutsch

208 Seiten, Download: 1034 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Ist Gott die Liebe? - Spurensuche in Bibel und Tradition



Einleitung


Paramahansa Yogananda, ein Mönch hinduistischer Prägung, gründete als geistlicher Lehrer 1920 in den U.S.A. die Gemeinschaft der „Self-Realization Fellowship“, die an einer bestimmten Form von Yoga orientiert ist. Schon der Titel „Gemeinschaft zur (oder: der) Selbstverwirklichung“ ist missionarisches Programm, gerichtet vor allem an westliche Menschen, die in ihrer Suche nach „Selbstverwirklichung“ in eine Sackgasse geraten sind. Auf unsere persönliche Entfaltung zentriert, erfahren wir den Widerstand, der von den Dingen oder anderen Menschen ausgeht, als störend. Diese Störung versuchen wir zu beseitigen, indem wir uns verfügbar machen, was unseren Plänen entgegensteht. De facto binden wir uns damit aber an die als Mittel zur Selbstverwirklichung angesehene Welt. Sie wird uns zur Quelle von Angst, weil es uns nie gelingt, sie ganz in die Hand zu bekommen, und sie uns am Ende doch entrissen wird. Der Tod erscheint dem um sich selbst kreisenden Menschen als endgültiger Verlust.

In dem Maße, wie der Mensch seine individuelle Existenz als eine nur vorläufige Erscheinung eines allumfassenden Seins erkennt, verliert auch die ihm zunächst als begehrenswert und zugleich bedrohlich begegnende Welt an Faszination und Schrecken. Die Aneignung von anderem oder die gefügig gemachten anderen verschaffen uns keinen realen Zuwachs an Sein. Je mehr uns die Loslösung von unserem streng bewachten Selbstbesitz gelingt, durchschauen wir als unbedeutend, was uns früher als Gewinn oder Verlust galt. Auf diese Weise lernen wir unsere wahre Wirklichkeit kennen: ein von der Sucht nach objektiv Fassbarem befreiter Lebenshauch, der von einem alles durchwebenden göttlichen Atem geleitet ist.

Auf diesem Hintergrund ist der im Folgenden aus dem Englischen übersetzte Text1 zu verstehen. Es handelt sich um eine 1952 gehaltene Abschiedsrede Yoganandas, die in gewisser Weise als sein Testament an die von ihm ins Leben gerufene Gemeinschaft angesehen werden kann. Der Guru spricht zunächst von seiner mühevollen Suche nach der göttlichen Liebe und schließlich von seinem Einswerden mit Gott als einer Liebe, die sich ihrer selbst in der Welt gleichsam erfreuen möchte.

„Ich suchte Liebe in vielen Leben2. […] Ich opferte alles auf, alle Anhänglichkeit und allen Wahn, um schließlich zu lernen, daß ich allein in die Liebe – in Gott – verliebt bin“. „Gott flüstert dir ständig leise zu: Ich bin die Liebe. Aber um das Geben und die Gabe der Liebe zu erfahren, habe ich mich dreigeteilt: in die Liebe, den Liebenden und den Geliebten“.

Yogananda geht dann die verschiedenen Gestalten von Liebe durch, in denen Gott diese seine Liebe kostet: in der Liebe des Vaters, der Mutter, des Kindes, der Liebe zwischen Herr und Knecht, der zwischen Freunden. Im Liebesverhältnis zwischen dem spirituellen Lehrer (guru-preceptor) und Schüler findet er den Kelch der reinsten Liebe: die alles dahingebende Verehrung des Meisters durch den Schüler. Dann fährt Gott fort:

„Ich bin allein in die Liebe verliebt (I am in love with Love alone), aber ich lasse es mir gefallen, in den Wahn hineingezogen zu werden, wenn ich als Vater oder Mutter nur an das Kind denke und für es fühle; wenn ich als Liebender nur für die Geliebte da bin […]. Aber weil ich allein die Liebe liebe, mache ich schließlich diesem Wahn meiner Myriaden von Menschenwesen ein Ende. […] Ich nehme den Säugling von der Mutter Brust, damit sie lerne, daß es meine Liebe ist, die sie in ihm verehrt hat. Ich wehe die Geliebte von dem Liebenden weg (spirit away), der meint, sie sei es, die er liebt, und nicht meine Liebe, die ihm in ihr Antwort gibt. So spielt meine Liebe Verstecken (hide-and-seek) in allen Menschenherzen, damit jedes schließlich lerne, nicht die der Zeit unterworfenen menschlichen Gefäße meiner Liebe zu entdecken und anzubeten, sondern meine Liebe selbst, die von einem Herzen zum anderen hinübertanzt“. „Der Mond lacht über die Millionen von gutgläubig Liebenden, die unwissentlich ihre Geliebten belogen haben: ‚Ich liebe dich für immer‘. Ihre Schädel sind weit über den winddurchfurchten Sand der Ewigkeit verstreut. Sie haben keinen Atem mehr, um zu sagen: ‚Ich liebe dich‘. Ihr Versprechen, einander auf immer zu lieben, können sie sich weder ins Gedächtnis zurückrufen noch einlösen. […] Ich bin die Liebe, die menschliche Puppen an den Fäden von Gefühlen und Instinkten tanzen läßt, damit sie das Drama der Liebe auf der Bühne des Lebens spielen.“3

Die hier zur Sprache gebrachte Liebe wird vielen, die nicht von östlichem Denken geprägt sind, befremdlich erscheinen. In den von den Schriften Israels ausgehenden Traditionen hingegen ist Gott keine bloße Metapher für ein Absolutes, das sich zwar dem jeweiligen menschlichen Fassungsvermögen entsprechend in polytheistische Mythen kleiden oder in je vorläufigen Personifikationen zeigen kann, grundsätzlich aber jeder Erkenntnis entzogen ist. Der in der Bibel zur Sprache kommende Gott redet selbst den Menschen an. Im Paradies ruft er nach dem Sündenfall bei seinem abendlichen Gang durch den Garten Adam zu: „Wo bist du?“ (Gen 3,8f). Gott spricht zu Noach, um ihn vor der Flut zu retten, mit der er die „Erde voller Gewalttat“ reinigt (Gen 6,13). Gott spricht zu Abraham (Gen 12,1ff), in dem drei Weltreligionen ihren Urvater sehen.

Dem Glauben Israels wie des Christentums zufolge steht Gott fest zu seinen an Menschen ergangenen Worten. Aber können diese Worte als Äußerungen einer unendlichen Liebe verstanden werden? Dieser Annahme scheint eine Vielzahl von Texten in Schrift und Tradition klar zu widersprechen. Die Suche nach Zeugnissen, denen sich entnehmen lässt, dass „Gott (die) Liebe ist“ (1 Joh 4,16), gestaltet sich hingegen als äußerst mühselig.

Auch der unbeirrbare Glaube daran, dass Gott die Liebe ist, kommt nicht an der Frage vorbei, was als eine solche Liebe gelten darf. Wer sich nicht ernsthaft mit dieser Frage auseinandersetzt, läuft Gefahr, in Schrift und Tradition nach „Belegstellen“ für seinen vorgefassten Begriff von Liebe zu fahnden und diesen dann schließlich bestätigt zu finden. Ein erster Hinweis für eine angemessene „Spurensuche“ besteht darin, dass das Was der Liebe, die Gott ist, weder auf dem Wege der Spekulation noch der mystischen Versenkung erkundet werden kann. Das Juden und Christen leitende Verständnis von Gott hat sich in einer Glaubensgeschichte von mehr als dreitausend Jahren herauskristallisiert. Dieser Gott gab sich menschlicher Erfahrung dadurch preis, dass er alle Wege der von ihm Erwählten mitging und von ihren Irrwegen zutiefst erschüttert war. Nur wenn man diesen Wegen nachgeht, vermag man dem „Was“ der göttlichen Liebe näher zu kommen.

Von dem Versuch, die Glaubensgeschichte Israels und ihr Weiterwirken in der Kirche nachzuvollziehen, sind vor allem die beiden ersten Teile des hier vorgelegten Buchs geleitet. Für den ersten Teil habe ich Texte ausgewählt, die wenigstens in Umrissen allen bekannt sein dürften, denen die Bibel überhaupt noch als lesenswert erscheint. Bei dem Überblick über die biblische Urgeschichte ging es mir vor allem darum, den engen Zusammenhang zwischen dem Bericht über die Schöpfung (Gen 1,1 – 2,4a), der Darstellung der Sintflut und schließlich dem Bund mit Noach (6,11–17) hervorzuheben. Gott schuf durch sein bloßes Machtwort die Welt. Diese Schöpfung kommt aber erst dort ans Ziel, wo Gott in dem Noach gegebenen Wort seine Macht völlig zurücknimmt, um die Menschen von der Angst zu befreien, dass die Welt noch einmal ins Chaos versinkt.

Für die Zeit der Väter bis zum Ende des Königtums habe ich Texte ausgesucht, die mit einem liebenden Gott völlig unvereinbar erscheinen. Die Geschichte von der Opferung Isaaks lässt sich von ihrem geschichtlichen Kontext her dem Verständnis näherbringen. Nicht zu beheben ist aber das Grauen, das einen bei der Schilderung der Einnahme Kanaans durch den als „Deuteronomisten“ bezeichneten Geschichtsschreiber überkommt, selbst wenn man die Motive für seine Darstellung des von Gott befohlenen Dahinschlachtens von Menschen näher benennen kann.

Unter der Überschrift „Neue Fragen nach dem Exil“ finden sich einige Hinweise auf die Bemühungen in Israel, dem überkommenen Glauben in der langen Zeit der Perserherrschaft eine der neuen Situation gemäße Gestalt zu geben. In diesen Zusammenhang gehört auch der Abschnitt über die „Jenseitsvorstellungen vor dem Einbruch der Apokalyptik“, der erst im zweiten Teil als Hintergrund für die nun entschieden andere Auffassung vom Jenseits ausgeführt ist. Die Interpretationsversuche zu den Büchern Ijob und Kohelet, die sich von ihrem Gesamtentwurf her zutiefst unterscheiden, sollen daran erinnern, welcher Vielfalt von Perspektiven der Glaube an den einen Gott Raum zu geben vermag.

Dem zweiten Teil kommt für das Verständnis des ganzen Buchs das größte Gewicht zu. Unter den kanonischen Schriften des Judentums hat nur das Buch Daniel einen zweifellos apokalyptischen Charakter, obwohl das jüdische Denken zur Zeit Jesu stark von einer ganzen Reihe apokalyptischer Texte geprägt war. Nach der Zerstörung Jerusalems hat sich das Rabbinentum weitgehend von den Grundvorstellungen der Apokalyptik gelöst. Auf das Christentum jedoch haben diese Vorstellungen schon vom Neuen Testament an einen, wie man wohl sagen muss, verheerenden Einfluss ausgeübt. Die kritischen Bemerkungen, die ich in den Kapiteln 3 – 5 gemacht habe, sind als Anstoß dazu gedacht, eine größere Distanz zu der aus apokalyptischem Erbe erwachsenen Theologie zu gewinnen,...

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