Filmgenres: Western - Reclam Filmgenres

Filmgenres: Western - Reclam Filmgenres

 

 

 

von: Bernd Kiefer, Norbert Grob, Marcus Stiglegger

Reclam Verlag, 2014

ISBN: 9783159601267

Sprache: Deutsch

375 Seiten, Download: 4601 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Filmgenres: Western - Reclam Filmgenres



Einleitung

Western sind eher naive Filme: über Menschen an der Grenze zur Wildnis, in den USA, Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre1 des 19. Jahrhunderts.

Auf drei Epochen der realen Geschichte Amerikas rekurrieren die klassischen Western. Da ist zunächst die Eroberung des Landes im Westen und der grausame Kampf gegen die Indianer; dann die Zeit nach der Inbesitznahme des Landes, als die Städte aufgebaut und organisiert wurden; schließlich die Epoche nach der Eroberung und Zivilisierung, die Jahre der Rivalität zwischen Viehzüchtern und Farmern, zwischen den Pionieren, die schon da waren, und denen, die noch neu hinzukamen, auch zwischen Zivilisierten und Outlaws. Für Jean Mitry spiegelte sich diese historische Entwicklung in der ästhetischen Reifung des Genres wider, in der – nach der Epoche der naiven Western – die Filme stetig komplexer wurden: vom epischen über den dramatischen zum psychologischen Western.2

Der Typus des Westernhelden bildete sich allerdings unabhängig von dieser epochalen Differenzierung. Die Männer des Western bewegen sich da – mit Revolver im Gürtel – auf Pferden durch weite, oft raue und kantige Landschaften, suchen an Flüssen nach einer Furt oder in den Bergen nach einem Pass oder ruhen am Lagerfeuer in der Prärie. Dann, auf Ranches oder Farmen oder in kleinen Städten, geraten sie in einen Konflikt und werden zum Handeln gezwungen – und gewinnen durch dieses Handeln zugleich ihre Identität und zeigen, wer und was sie im Innersten sind. Diese Westerner mögen dabei sterben oder schwer verwundet werden oder einfach weiterziehen, immer setzen ihre Taten ein Signal, das von Mut und Entschlossenheit kündet; und von individueller Würde, die sie dem Wirrwarr aus Gier, Intrige und Gewalt, aus Geschäfts- und Machtinteressen entgegensetzen.

Westerner sind positive Helden, die in einem Spannungsfeld agieren zwischen ihrem Sinn für die Gemeinschaft und ihrem Hang zu einsamen Entscheidungen und Alleingängen. Häufig befinden sie sich anfangs an einem Wendepunkt: suchen nach neuen Trails (wie in The Covered Wagon, 1923, und The Iron Horse, 1924) oder kommen in eine fremde Stadt (wie in My Darling Clementine, 1946, The Man from Laramie, 1955, und Johnny Guitar, 1956) oder bemühen sich um eine friedfertigere Ordnung auf einer Ranch (wie in The Virginian, 1929, und Red River, 1948) oder sind auf Rache aus (wie in Stagecoach, 1939, und The Naked Spur, 1952, The Searchers, 1956, und Ride Lonesome, 1959) oder suchen ein ruhigeres Leben zu führen (wie in Shane, 1952, und The Big Country, 1958) oder wollen sich gerade verändern, beruflich und räumlich (wie in High Noon, 1952, und Dances with Wolves, 1991). Dann aber gelingen ihnen die geplanten Veränderungen nicht, weil andere sie herausfordern oder angreifen oder in etwas hineinziehen, das ihnen überhaupt nicht passt. So werden sie zum Handeln gezwungen, because there is something a man can’t run away from.

Als Genre ist der Western »ein Tanzfest auf der Grabplatte der Helden: Ballade und Ballett. […] Wie der Tanz hat der Western seine strenge Form und Choreographie. Die Figuren und ihre Bewegungen sind vorgegeben. Man erkennt sie sofort und sieht ihre nächsten Schritte voraus. Der Reiz besteht in der leichten Variation des festen Schemas, in der Ausfüllung der choreographischen Form durch ein Minimum an Psychologie, Plausibilität und Realismus, in der Haftung des Mythos an einer geschichtlichen Epoche, im Rhythmus von Bewegung und Ruhe, von Tragik und Komik. Im Kern ist der Western Musik, Projektion eines Westernsongs auf die Kinoleinwand.«3

In John Fords The Searchers weisen The Sons of the Pioneers in ihrem Lied aufs Zentrum dieser Western-Geschichten: »What makes a man do wander? / What makes a man do roam? / […] / A man will search his heart and soul, / go searching way out there / Yes, peace of mind he knows he’ll find. / But where, oh Lord, oh where? / Ride away, ride away, ride away.«

Wegen dieser naiven, doch gleichzeitig auch mythischen Kraft des Genres, die im Grunde (von wenigen Ausnahmen abgesehen) nachwirkte bis Mitte der 40er-Jahre, nannte André Bazin den Western auch »das amerikanische Kino par excellence«.4 Galoppierende Pferde, Menschen in Spannung zur Natur um sie herum, Schlägereien, all diese »auf die äußerste Spitze getriebenen ständigen Bewegungen« sind schon visuelle Attraktionen der besonderen Art, für Bazin letztlich aber »nur die Zeichen oder Symbole seiner eigentlichen Realität, nämlich des Mythos. Der Western wurde geboren aus dem Zusammentreffen einer Mythologie und einer Ausdrucksform«,5 der Mythologie, die gründete in der schon in Liedern, Märchen, Legenden und Romanen verklärten amerikanischen Geschichte zwischen 1776 und 1900, und der Ausdrucksform des Kinos, der fotografischen Objektivität in der Zeit. Unter dem Titel Gunfighter Nation hat der Kulturhistoriker Richard Slotkin 1992 die Evolution des Genres mit der Geschichte Amerikas im 20. Jahrhundert, dem Jahrhundert des Kinos, derart parallelisiert, dass sich die Einsicht ergibt: »Der Western ist amerikanische Geschichte.«6 Geschichte, die zum Mythos wurde.

Tanzfest auf der Grabplatte der Helden

Die historische Situation in den USA Mitte bis Ende des vorletzten Jahrhunderts bildet, wie oben bereits angedeutet, den Ausgangspunkt, von dem aus vom Entstehen der Zivilisation und von der Geburt einer Nation erzählt wurde. Wobei dieses Erzählen als »rewriting and reinterpreting« zu verstehen ist7. Was den Western strukturiert, sind die beiden Archetypen der Mythologie Amerikas: der Mythos der frontier, der Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation im Gefolge der Eroberung des Kontinents, also der Ära des Wild West, und der Mythos der regeneration through violence, der permanenten Erneuerung und Wiedergeburt Amerikas aus und durch die Gewalt im Kampf von Gut gegen Böse.

Der Begriff des Mythos zielt auf eine besondere Form der Welterfahrung. Mythos meint den Komplex traditioneller, amerikanischer Erzählungen, die zunächst mündlich tradiert und dann schriftlich fixiert worden sind. Erzählungen, in denen die Erfahrungen einer neuen, unbekannten Welt symbolisch gedeutet und zu Geschichten verarbeitet wurden, die später dem Verständnis amerikanischer Geschichte/Historie dienten. Mythos umfasst Berichte, Erzählungen, Legenden, in denen die amerikanische Kultur sich über sich selbst verständigt und die strukturiert werden durch oppositionelle Spannungsverhältnisse zwischen Wildnis und Zivilisation, Indianern und Weißen, Natur und Stadt, Naturrecht und Gesetz, Freiheit und Bindung, Mann und Frau.

Historisch situiert sind die Geschichten der Western in der Zeit zwischen der Gründung der USA 1776 und dem sich durchsetzenden Industriezeitalter, in der Ära, in der die Natur des unermesslich weiten Landes erobert, kultiviert und besiedelt wurde. Aus Siedlungen wurden Dörfer, aus den Dörfern Städte. Die meisten Western spielen in der für diesen Prozess entscheidenden Phase zwischen 1865 und 1890.

Besonders bei John Ford gibt es historische Bezüge, die sich in mythische Zusammenhänge einbinden, so lässt er seine Geschichten changieren in narrativen Übergangsstadien zwischen Realität und Legende. Frieda Grafe schreibt: »In Fort Apache und Liberty Valance überwuchert die erzählende Erinnerung die historische Begebenheit. Ford zeigt beides: die Realität und die Legende, die sich von ihr unabhängig macht, den Widerspruch zwischen Wunsch und Notwendigem. […] Er zeigt, wie Mythen entstehen.«8

Der Westerner ist eine in der historischen Ära des Wild West entwickelte, amerikanische Form der Männlichkeit. Als Hunter (Trapper und Jäger) oder als einsamer Waldläufer und Indianerkämpfer (Scout), als herumziehender Revolvermann (Gunfighter) oder später als Ordnungshüter (Sheriff oder Marshal) oder als Kopfgeldjäger (Bounty Hunter). Männer ziehen los, auf der Suche nach Abenteuern, nach Gelegenheiten, sich zu bewähren: Go west, young man, and grow up with your country. Sie agieren im Rahmen der mythisierten historischen Landnahme: Der Zug von Osten nach Westen; der Krieg gegen die Ureinwohner des Landes, die Indianer (ein Krieg, den der Western bis in die 50er-Jahre als den gegen das naturhaft Böse nachträglich noch ideologisch legitimierte; erst in der Zeit des Vietnamkrieges wurden im Western die Züge des Genozids an den Indianern – und dann als politische Allegorien – drastisch inszeniert, etwa in Ralph Nelsons Soldier Blue, 1969, in Arthur Penns Little Big Man, 1969, oder in Robert Aldrichs Ulzana’s Raid, 1972); die langsame Zivilisierung in den Siedlungen, die Befriedung der noch rauen und wilden Städte; der Kampf zwischen Bürgern und Gesetzlosen.

In den Filmen, spätestens nach Aufkommen des Tons, sind diese Abenteuer meistens gebrochen. In Victor Flemings The Virginian, dem ersten Tonfilm-epic, ist die Entschlossenheit, draußen zu handeln, gebunden an die Bereitschaft, drinnen sich zu befrieden. Ringo Kid führt in...

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